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      Brisbane, 11. Februar 1916

      Das Jahr hat kaum richtig begonnen und ich habe schon so viel erreicht. Mit meiner Schule bin ich zwar erst im September fertig, aber ich habe schon eine Anstellung im französischen Konsulat. Ich arbeite auch bereits zwei Tage die Woche. Ich übersetze Schriftstücke, über deren Inhalt ich meistens nicht sprechen darf. Es sind keine Geheimdokumente, obwohl es um den Krieg in Europa geht. Die richtig geheimen Dokumente bekomme ich natürlich nicht zu sehen, so vermute ich es zumindest. Bei meinen Texten geht es um Bestellungen für Lazarette, um Verbandsmaterial, Bettwäsche oder Medikamente. Dann noch um Maschinen, die Frankreich braucht und die von Australien nach Europa geliefert werden sollen. Natürlich bekomme ich mehr über den Krieg mit, als aus den Zeitungen zu erfahren ist. Es ist schon etwas bedrückend. Der Krieg war seit seinem Beginn immer ein Thema für Vater und mich, besonders weil Vater auch einmal Soldat war, weil seine früheren Kameraden oder die Männer, die er befehligt hat, sicherlich in diesem Krieg kämpfen müssen. Zum Glück gibt es auf dem Konsulat auch andere Aufgaben, die ich erledige. Ich übersetzte nämlich auch Zeugnisse und Urkunden von Einwanderern. Das Konsulat beglaubigt die übersetzten Dokumente, damit die Leute ihre Unterlagen auch in englischer Sprache bei den Ämtern und den australischen Arbeitgebern vorlegen können.

      Brisbane, 17. Februar 1916

      Über die Vorfälle in Casula war in den vergangenen Tagen überall zu lesen. Im Courier habe ich einen Artikel gefunden und ich muss sagen, dass ich anderer Meinung bin. Unzufriedene Rekruten haben einige Pubs verwüstet und einen Eisenbahnzug gestürmt. Die Zerstörungen sind natürlich eine Unmöglichkeit. Wir befinden uns im Krieg und jeder muss Opfer bringen und die harte Ausbildung, über die die Zeitungen berichten und die zum Unmut geführt hat, kommt den Soldaten doch später zugute, wenn sie in Europa kämpfen müssen. Hier stimme ich noch überein. Ich bin aber empört, dass wir es nötig haben, einen unserer eigenen Männer zu erschießen. Unsere Feinde lachen uns doch aus, wenn wir uns gegenseitig töten. Selbst ein einziger Toter ist da zu viel.

      Brisbane, 29. Februar 1916

      Ich hatte eigentlich vor, zu meinem Geburtstag nach Hawaii zu reisen, um Vater dort zu besuchen. Aus der schönen Reise wird nichts. Vater hat mir abgesagt, aber nicht, weil er mich nicht sehen will, sondern weil er selbst noch vor dem 17. März zurückkehrt. Die Gründe hat er mir in einem kurzen Telegramm mitgeteilt, aber ich habe es noch nicht richtig verstanden. Ich bin schon etwas enttäuscht. Tom und ich wollten vier Wochen auf Hawaii bleiben. Es wäre die letzte freie Zeit gewesen, die ich vor meinen großen Prüfungen gehabt hätte. Wenn ich nicht verreise, wenn ich in Brisbane bleibe, werde ich mich ohnehin nur mit meinen Büchern beschäftigen. Ich muss mir etwas anderes überlegen, eine andere Reise. Ich habe mir fest vorgenommen, erst Anfang Juni mit dem Lernen zu beginnen.

      Brisbane, 2. März 1916

      Um Weihnachten herum habe ich das erste Mal von der Vorschule gehört. Ich habe mich entschieden, Tom noch nicht dorthin zu schicken. Ich war aber heute einmal dort, um mir den Unterricht anzusehen. Die Klasse mit den Vier- bis Fünfjährigen wird seit einem Monat unterrichtet. Die Lehrerin hat mir gezeigt, was sie alles mit den Kindern unternimmt. Auf dem Lehrplan steht auch das Lesenlernen. Die Vorschule ist privat und es besteht keine Schulpflicht. Ich möchte, dass Tom erst im nächsten Jahr in einen solchen Unterricht geht, um dann in einem weiteren Jahr die richtige Schule zu besuchen. Was ich aber in jedem Fall schon vorher mit ihm lernen möchte, ist das Lesen. Vater soll mir dabei helfen.

      Brisbane, 20. März 1916

      An meinem Geburtstag haben wir nicht über den Krieg gesprochen, jetzt müssen wir es wieder. Unsere Truppen wurden nach Frankreich geschickt. Was schreibe ich da, die australischen Truppen wurden geschickt, um unser Heimatland zu verteidigen, so muss es lauten, aber mein Herz schlägt natürlich für beide Nationen und ich will nicht nachdenken, für welche es stärker schlägt.

      Brisbane, 15. April 1916

      Australische und neuseeländische Truppen kämpfen von Ägypten aus in Palästina. Ich wusste gar nicht, dass Jerusalem seit Jahrhunderten im Besitz der Türken ist.

      Brisbane, 27. April 1916

      Olga hat mir heute Fotos aus Russland gezeigt. Jeder kann ihren russischen Akzent heraushören, er ist viel, viel schlimmer als mein Französischer. Auf den Bildern gab es so furchtbar viel Schnee zu sehen. Olga vermisst den Schnee manchmal und das Schlittenfahren. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man für alle seine Erledigungen mit einem Schlitten fährt, dass auf jedem Weg, über Meilen hinweg, genug Schnee liegt, sodass eine Kutsche überhaupt keine Räder braucht. In Sankt Petersburg ist dies im Winter möglich. Wir haben uns Sankt Petersburg im Atlas angesehen, es ist so furchtbar weit von Australien entfernt. Es liegen ganze Kontinente und Ozeane zwischen Sankt Petersburg und Brisbane.

      Brisbane, 7. Mai 1916

      Für Tom waren natürlich die Spielsachen das Wichtigste, aber ich habe ihm zu seinem Geburtstag auch eine Schiefertafel geschenkt. Auf der Tafel will ich ihm die Buchstaben des Alphabets aufschreiben und er soll sie nachschreiben. Ich war ja schon einmal Lehrerin. Ich möchte, dass Tom noch in diesem Jahr alle Buchstaben kennt und sie auch schreiben kann.

      Brisbane, 11. Mai 1916

      Die Anwaltskanzlei hat über ihren chilenischen Mandanten neue Mandanten bekommen, was auch mir neue Aufträge eingebracht hat. Ich glaube nicht, dass ich in ein paar Jahren, wenn ich den Beruf erst einmal lange genug ausübe, noch über solche Kleinigkeiten schreibe. Jetzt ist es aber allemal erwähnenswert.

      Brisbane, 20. Mai 1916

      Bisher habe ich immer am Küchentisch gelernt und gearbeitet. Vater hat mir jetzt einen richtigen Schreibtisch geschenkt, mit Schubfächern und mit jeder Menge Platz für Papier und Stifte und meine Bücher. Wir haben in meinem Schlafzimmer etwas aufgeräumt und den Kleiderschrank verschoben. Der Schreibtisch passt gut hinein und steht jetzt vor dem Fenster. Der Arbeitsplatz ist richtig gemütlich. Ich werde mir aber wohl endlich eine Tagesdecke für mein Bett kaufen müssen, gerade jetzt, wo ich mich öfter als sonst in dem Raum aufhalte.

      Brisbane, 1. Juni 1916

      Vieles gibt es über den Krieg in Europa nicht zu berichten. So weit vom Geschehen entfernt ist die Sicht doch recht oberflächlich und unpatriotisch. Ich weiß, dass der Feind noch immer in Frankreich steht. Der Begriff »Stehen« ist hier wohl sehr angebracht, wie auch Vater meint, denn es werden keine neuen Eroberungen gemacht und es sind auch keine weiteren Gebietsverluste hinzunehmen. Dies gilt für alle Kriegsparteien. Wir hoffen natürlich, dass Frankreich und England siegen können. Vater hat nie in einem Krieg für Frankreich gekämpft, obwohl er solange Soldat war. Ich habe den Schrecken des Krieges bislang nur als Unbeteiligte erfahren. Ich kenne nämlich niemanden, keinen Freund, keinen Bekannten, der in Europa gefallen ist. In Brisbane wird es schon Todesanzeigen aus Europa geben, aber ich habe bislang noch nicht darauf geachtet und so soll es auch bleiben.

      Brisbane, 10. Juni 1916

      In den nächsten Wochen muss ich einfach alles ausblenden und nur noch lernen. Die Prüfungstermine wurden jetzt festgelegt. Ich bin in der Woche vom 21. bis zum 25. August dran. In jeder Sprache drei Prüfungen. Grammatik und Sprachverständnis jeweils schriftlich und Konversation mündlich. Ich werde jetzt von montags bis donnerstags nur noch auf Spanisch und Portugiesisch denken und sprechen und am Freitag und Samstag das Ganze auf Holländisch. Der Sonntag ist dann zur Erholung. Tom wird seine Mutter für verrückt halten, aber ich will mich eben gut vorbereiten. Eigentlich bin ich auch gut gerüstet, ganz besonders in Spanisch, wo ich doch schon seit einem Jahr Briefe übersetze.

      Brisbane, 21. Juni 1916

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