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Kurt, "und suche meine Eltern. Hast du eine Ahnung, was aus ihnen geworden ist? Von unserem Haus ist ja nicht viel übrig geblieben; genau wie von eurem nebenan."

       Elisabeth senkte den Kopf. "Von unseren Eltern auch nicht", wisperte sie. "Du und ich - wir sind die beiden letzten unserer Familien. Tut mir leid, dir das gerade an Weihnachten mitteilen zu müssen."

       "Ich habe es geahnt, als ich von den schweren Angriffen auf unsere Stadt hörte", sagte Kurt müde. "Aber ein Funke Hoffnung bleibt wohl immer in einem."

       "Was wirst du jetzt tun, Kurt?", wollte das Mädchen wissen.

       Der junge Mann zuckte die Achseln.

       "Wenn du willst, kannst du mit zu mir kommen", schlug Elisabeth vor. "Ich habe es mir in einem Keller, der heil geblieben ist, einigermaßen wohnlich eingerichtet. Du bist gerne eingeladen. Luxus darfst du natürlich keinen erwarten, aber besser als nichts ist es schon. Sogar eine Tasse Kaffee kann ich dir anbieten."

       "Also doch Luxus", lächelte Kurt. "Ich nehme deine Einladung dankend an. Wohin sollte ich auch sonst gehen?"

       Es war ein winziger Keller, in dem Elisabeth hauste. Vor die Fenster hatte sie Bretter genagelt und die Ritze mit Lumpen abgedichtet, um so der Kälte wenigstens ein bisschen Herr zu werden, die selbst ein mit Holz befeuerter alter Küchenherd nicht abhalten konnte.

       Eingerichtet war der Keller mit Überresten von Möbeln, die sie auf den umliegenden Trümmergrundstücken zusammengesucht hatte. Sogar ein Sofa, das ihr offensichtlich als Bett diente, hatte sie herbeigeschleift. Beleuchtet wurde der Raum von Kerzenstummeln, da die Glühbirne, die an der Decke baumelte, gestern - wie sie erzählte - ihren Geist aufgegeben hatte.

       Und es gab sogar einen kleinen Tannenbaum, den sie in einer Ecke auf einer Kiste aufgebaut und mit den unmöglichsten Dingen wie Papierschnitzeln, Metallspänen und Glassplittern geschmückt hatte.

       "Mehr kann ich dir leider nicht bieten", entschuldigte sie sich, nachdem sie ihn eintreten und auf dem Sofa hatte Platz nehmen lassen.

       "Es ist mehr, als ich erwartet hatte", erwiderte er. "Mein Gott, Elisabeth, was ist bloß aus uns geworden?"

       "Ein Volk von Maulwürfen, das unter der Erde sein bisschen Leben zu erhalten sucht", sagte sie. "Wir ernten, was wir gesät haben. Aber lass uns jetzt nicht mehr davon sprechen. Es ist Weihnachten, und ich bin froh, dass du bei mir bist. Weißt du eigentlich, dass ich einmal sehr in dich verliebt war? Vierzehn oder fünfzehn muss ich damals wohl gewesen sein."

       "Nein, davon weiß ich nichts", bekannte er.

       "Kein Wunder", lächelte sie. "Als flotter Soldat hattest du natürlich andere Interessen als mich junges, unterentwickeltes Ding ohne Busen und so."

       "...aus dem inzwischen eine bezaubernde junge Dame geworden ist", ergänzte er und bemerkte, wie sie bis zu den Haarwurzeln errötete.

       "Ich möchte wissen, was an mir noch bezaubernd sein soll", meinte sie. "Als Vogelscheuche könnte man mich in einen Baum setzen. Kein Spatz würde es wagen, auch nur eine Kirsche zu stehlen."

       "Nun untertreibe mal nicht", sagte er. "Die Fassade ist zwar leicht lädiert, aber man kann immer noch erkennen, was daraus werden wird, wenn sie erst einmal wieder renoviert worden ist."

       "Du musst mir keine Komplimente machen", versetzte sie verlegen.

       "Es sind keine Komplimente", entgegnete er. "Ich meine es ernst, Elisabeth. Du bist ein wunderschönes Mädchen. Ich muss blind gewesen sein, dass ich das nicht längst entdeckt habe."

       "Wir haben uns lange nicht gesehen, Kurt", sagte Elisabeth.

       "Viel zu lange, Elisabeth", erwiderte er nachdenklich. "Unsere Jugend haben sie uns genommen, oder zumindest einen Großteil davon. Wir werden uns beeilen müssen, sie nachzuholen."

       Es wurde trotz der Umstände, in denen sie ihn verbrachten, der schönste Weihnachtsabend ihres Lebens. Sogar ein Fläschchen Wein hatte Elisabeth aus besseren Zeiten in die heutige hinübergerettet, das sie gemeinsam und jeden Schluck genüsslich auskostend, leerten.

       Irgendwann küssten sie sich, und es war wie selbst verständlich, dass sie dann auch miteinander schliefen.

       "Was wirst du jetzt von mir denken?", sagte sie, als sie später auf dem alten Sofa lagen und ihre erhitzten Körper nicht allein der Kälte wegen in inniger Umarmung aneinanderpressten. "Gibt sich dem ersten Mann hin, der ihr über den Weg läuft. Und du warst der erste, das kannst du mir ruhig glauben."

       "Ich weiß", erwiderte er und küsste ihr zärtlich zwei Tränen von den Augen, die sich bei ihren Worten dorthin verirrt hatten. "Und ich bin dankbar dafür, dass ich es sein durfte; denn nun weiß ich wieder, wohin ich gehöre. Wie ein Licht bist du aus dem Dunkel zu mir getreten, neue Hoffnung hast du mir ins Herz gesenkt. Dafür liebe ich dich, mein kleines, süßes Mädchen. Gemeinsam werden wir uns an den Aufbau machen, und gemeinsam werden wir es auch schaffen."

       Und so war es denn auch. Wie ein wunderschöner Film liefen die folgenden Stationen ihres gemeinsamen Lebens noch einmal an Kurts Augen vorbei:

       Als strahlende Braut, in einem geliehenen Kleid zwar und auch noch ein wenig mager, sah er sie; den Tag, an dem sie ihm seinen Sohn geschenkt hatte, durfte er erleben; bei Klaus' Taufe und seinem ersten Schultag war er dabei; er baute noch einmal sein Häuschen im Grünen, von dem sie immer geträumt hatten; alle schönen Stunden kehrten einmal noch zu ihm zurück.

       "Das war es, Kurt", sagte die Stimme endlich. "Hat dir mein Weihnachtsgeschenk gefallen?"

       "Oh ja", erwiderte Kurt. "Es war herrlich. Könnten wir es nicht noch einmal wiederholen?"

       "Leider nein", bedauerte die Stimme. "Aber ich sagte dir ja schon zu Beginn, dass es ein einmaliges Geschenk ist."

       "Schade", sagte Kurt. "Aber trotzdem vielen Dank. Du hast mir eine sehr große Freude bereitet."

       "Dazu bin ich, und dazu ist das Weihnachtsfest da", versetzte die Stimme, und dann war es still um Kurt; still wie in einem Dom. - - -

       "Sieh mal dort drüben auf der Bank", sagte eine Friedhofsbesucherin am nächsten Morgen zu ihrem Mann. "Da sitzt ja einer. Völlig eingeschneit ist er. Mein Gott, der scheint tot zu sein!"

       Sie traten näher und stellten fest, dass sie es tatsächlich mit einem Toten zu tun hatten.

       "Schau dir sein Gesicht an", sagte der Mann bewegt. "Dieser Friede, dieser Ausdruck höchsten Glücks, der auf ihm liegt."

       "Ja", erwiderte die Frau. "Er scheint mit einem wunderschönen Traum im Herzen gestorben zu sein; als ob er dabei in den Himmel gesehen hätte."

       EIN UNVERHOFFTES WIEDERSEHEN

       Eine Liebesgeschichte

       Helga Jansen war auf alles, das zur Gattung Mann zählte, sauer. Schuld an dieser betrüblichen Tatsache war ihr eigener. Nach zehnjähriger Ehe hatte er darauf bestanden, ihren obligatorischen Osterurlaub getrennt verbringen zu wollen. Als Frischzellenkur für ihre Liebe, die zur Gewohnheit zu erstarren drohe, hatte er es bezeichnet. Neuen Spaß im Bett hatte er ihr prophezeit, wenn sie mal für eine Weile verschiedener Wege gingen. Aus einmal in der Woche würde vielleicht wieder zwei- oder gar dreimal werden; die hohen Feiertage nicht mitgerechnet und demnach also noch zusätzlich....!

       Meine Güte, was für rosige Aussichten!

       Nach längerem Hin und Her hatte sie sich darauf eingelassen und war, während er ins Ötztal zum Skifahren abdampfte, nach Maspalomas auf Gran Canaria geflogen.

       Nun hockte sie allein auf der Trauminsel herum und tat, was den meisten, die sich hier aufhielten, nie in den Sinn gekommen wäre: Sie langweilte sich fast zu Tode.

       Natürlich hätte sie sich amüsieren können, wenn sie gewollt hätte. Tausend Gelegenheiten dafür hätte es gegeben. Auch Männerbekanntschaften hätte sie machen können. Die hungrigen Augen, mit denen die hier anwesenden Herren der Schöpfung ihren wohlproportionierten Körper

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