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Ein Mitreisender erklärte mir, dass der Bau des Kanals durch einige natürliche Seen begünstigt wurde. So war es ganz erstaunlich, als wir durch die schmale Rinne des Kanals in den Timsahsee eingefahren sind. Unser Schiff konnte auf der gesamten Kanalstrecke keine volle Fahrt machen und so dauerten die knapp hundertfünfzig Kilometer bis zum Roten Meer fast einen ganzen Tag, aber darauf hatte mich ja bereits Mrs. Bly vorbereitet. Mich fasziniert auch, dass ich auf der Reise durch den Kanal wohl all das gesehen habe, was sie auch gesehen hat, die Wüstenküste, das Gebirge der zehn Apostel und sogar einige Kamelkarawanen. Das Rote Meer war aber nicht gleich das Rote Meer. Wir fuhren zunächst einen halben Tag in einem schmalen Finger dieses Meeres, der zu allen Seiten von Ägypten umrahmt ist. Erst nach dem Passieren einer weiteren Landenge öffnet sich das Rote Meer vollends. Von da an gab es außer Wasser nicht mehr viel zu sehen. Erst an einer weiteren Landenge, bei der wir dem Ufer gefährlich nahekamen, änderte das Schiff abrupt den Kurs. Unmittelbar hinter diesem Knick, dort wo sich das Meer wieder zu öffnen beginnt, liegt die Stadt Aden. Wir haben dort nicht angelegt, sondern sind ohne Stopp weitergefahren. Ich muss mich also mit dem begnügen, was Mrs. Bly mir über Aden berichtet. Heute Morgen nehmen wir nun Kurs auf den Indischen Ozean. Wenn ich mich dann am Meer, am endlosen Wasser sattgesehen habe, werde ich mich wieder meiner kleinen Bibliothek widmen, natürlich immer erst, wenn die Mädchen versorgt sind. Ach ja, Mrs. Bly und ich trennen uns hier. Mrs. Bly war vor fünf Jahren weiter Richtung Ceylon, Richtung Colombo gefahren. Meine gestrichelte Linie trennt sich jetzt von ihrer Reiseroute. Ich habe ihren Bericht über Colombo noch einmal gelesen, über das wunderschöne Colombo. Ich weiß daher beinahe mehr über Colombo als über Tahiti. Beides sind Inseln, Tahiti und Ceylon, auch wenn sie an Größe sehr unterschiedlich sind. Es wäre schön, wenn Papeete genauso wie Colombo ist, wie das Colombo, das Mrs. Bly mir beschrieben hat. Ich möchte von einem Ort träumen, der so ähnlich ist wie Colombo, der schöne Strände besitzt, Promenaden zum Flanieren, Theater und Bühnen, die natürlich mit nichts zu vergleichen sind, was ich aus Paris kenne, die aber gerade deswegen ihren Reiz haben. So will ich meine Reise mit diesem Gedanken, mit diesen Träumen fortsetzen und hoffe, dass ich jetzt zu einem solchen Ort fahre.

      Auf der New South Wales, 21. Mai 1895

      Bislang habe ich meine Mitreisenden nur flüchtig kennengelernt. Es blieb zumeist nur bei einer kurzen Begrüßung oder ein paar freundlichen Worten. Vorgestern jedoch habe ich mich sehr nett mit einer Engländerin unterhalten. Sie hat meine Aussprache gelobt. Sie selbst spricht leider kein Wort Französisch, was sie mehr bedauert als ich. Sie heißt Aliette Templier und reist allein. Sie ist erst in Port Said an Bord gekommen und hatte sich einige Tage in ihrer Kabine versteckt, um einen Sonnenbrand zu kurieren. Mrs. Templier hat mit mir etwas gemein, sie reist ebenfalls ihrem Mann nach, der auf Samoa stationiert ist. So wird sie mich noch bis Sydney begleiten, erst dort trennen sich unsere Wege. Ich habe mir angeschaut, wo Samoa liegt und festgestellt, dass wir künftig wohl Nachbarn sein werden. Das ist natürlich sehr optimistisch gedacht, denn obwohl sonst nichts außer ein paar Zentimeter Ozean zwischen Samoa und Tahiti liegen, handelt es sich immer noch um weit über tausend Kilometer, die uns trennen. Mrs. Templier interessiert sich für meine Bibliothek. Sie bedauert es, nicht selbst etwas zu ihrer Zerstreuung mitgenommen zu haben. Es war für mich natürlich selbstverständlich, ihr etwas anzubieten und so hat sie sich für den Robinson entschieden. Mrs. Templiers großer Vorteil ist, dass meine Bibliothek viele englischsprachige Werke umfasst.

      Auf der New South Wales, 23. Mai 1895

      In den letzten beiden Tagen habe ich die scheue Aliette etwas besser kennengelernt. Sie ist gar nicht so scheu, sie ist wirklich nur die starke Sonne nicht gewohnt. Ich habe noch nie jemanden mit so einer weißen Haut gesehen. Sie scheint die typische Engländerin zu sein, wunderschönes rotes Haar, das Gesicht über und über mit Sommersprossen. Aliette stammt aus Brighton und ist seit gut einem Jahr mir Captain Templier, einem Amerikaner verheiratet. Captain Templier ist seit einem halben Jahr auf Samoa stationiert und Aliette folgt ihm nun endlich nach. Victor wird auch schon mehr als ein halbes Jahr auf Tahiti sein, bis ich dort eintreffe.

      Auf der New South Wales, 28. Mai 1895

      Unser Kapitän hat ein Ziel, er will das Pfingstfest in Perth feiern, ob wir es schaffen, steht noch nicht fest. Die Reise wird zunehmend langweiliger. Ich hoffe dies ändert sich, wenn wir Australien erreicht haben. Der Kapitän hat angekündigt, dass wir auf dem Weg nach Sydney in Küstennähe fahren werden. Seitdem wir das offene Meer erreicht haben, geht mein Blick nur noch selten über die Reling. Wasser, nichts als Wasser. Thérèse hatte sich erkältet. Es war nicht schlimm. Julie blieb zum Glück davon verschont. Es war die erste Krankheit, die ich mit einem meiner Kinder durchgemacht habe. Mit Schwester Jolantas Unterstützung war es wieder einmal keine Belastung. Jetzt wo wir das offene Meer bald hinter uns haben, ziehe ich Bilanz. Es gab keine Stürme, keine raue See. Mrs. Bly ist auf dem Weg nach Hongkong in die Monsunstürme geraten, ihre Kabine war sogar einmal vom Meerwasser überspült worden. Dies ist uns zum Glück noch nicht widerfahren und ich habe mir auch noch nicht die Frage beantworten können, ob ich seekrank werde oder nicht. Es gibt zwar Leute, die schon beim Betreten eines Schiffes, noch im Hafen, seekrank werden, oder spätestens, wenn sich das Schiff vorwärts bewegt. Zu diesen Leuten gehöre ich anscheinend nicht, selbst eine kleine Dünung überstehe ich ganz gut, ich weiß aber eben nicht, wie es bei wirklich schwerem Wetter ist und ich will es eigentlich auch gar nicht wissen. Ich denke lieber an unsere Weiterreise. Wenn wir Perth erreicht haben, ist Sydney die nächste Station und von Sydney aus werden wir in den Stillen Ozean einfahren und der Name verheißt schon, dass es dort auch nichts zu überstehen gibt, wie ich zumindest hoffe, sodass der vermeintlich schlimmste Teil unserer Reise schon bald hinter uns liegt. Natürlich weiß ich, dass der Stille Ozean auch seine Gefahren birgt, dass es dort gewaltige Stürme geben kann. Unser Kapitän hat einmal von Taifunen und Hurrikanen gesprochen, eine böse Sache. Selbst bei Mrs. Bly konnte ich über einen solchen schlimmen Sturm lesen. Mrs. Bly hat einen Hurrikane auf ihrer Passage von Yokohama nach San Francisco erlebt. Egal was erzählt wird, oder was es zu lesen gibt, ich vertraue einfach meinem bisherigen Reiseglück.

      Perth, 5. Juni 1895

      Endlich wieder Land unter den Füßen, leider waren es nur sechs Stunden. Wir müssen unseren Zeitplan wieder aufholen. Das Pfingstfest haben wir nun doch auf dem Schiff verbracht. Für mich lässt sich Pfingsten ohne Victor ertragen, schwerer war das letzte Weihnachtsfest und vor allem Silvester und der Neujahrstag. Victor und ich sind den Neujahrstag immer ganz besonders angegangen, den ersten Tag im Jahr. Wir haben nicht zu Silvester über das gesprochen, was wir uns für das neue Jahr wünschen, sondern immer erst am Morgen des Neujahrstages, gleich nach dem Aufwachen. Wir lagen im Bett und haben uns nacheinander unsere Wünsche erzählt. Silvester und Neujahr auf einem Schiff, so wie es Mrs. Bly erlebt hat, ist für mich nur schlecht denkbar, es sei denn Victor ist bei mir, dann wäre es allerdings sehr romantisch. Das Pfingstfest haben die Kinder und ich jedenfalls auf hoher See verbracht, wenigsten kam am Abend des Pfingstmontags schon Land in Sicht. Wir sind gestern, am frühen Morgen, in den Hafen von Perth eingelaufen. Ich habe noch geschlafen. Zwei Stunden später, nach einem kurzen Frühstück, sind wir wie verdurstende von Bord gestrebt. Selbst die Mädchen haben gemerkt, dass etwas anders war als sonst, und sind ganz unruhig geworden. Ich denke es waren die Gerüche des Hafens. Ich hätte ihnen gerne mehr geboten, noch mehr Gerüche und einmal etwas anderes als immer nur Wasser, aber uns blieb nur Zeit für einen Spaziergang im Hafen, es war trotzdem herrlich. Leider war es kühl, und kurz bevor wir wieder aufs Schiff gegangen sind, begann es sogar noch zu Regnen. Gestört hat es uns aber eigentlich nicht, Hauptsache wir waren dem engen Stahl für einige Zeit entkommen. Seit vierundzwanzig Stunden hat uns die See nun wieder. Der Kapitän hat aber Wort gehalten, wir fahren in Sichtweite der Terra Australia. Die Küstenlinie lässt sich sehr gut erkennen. Das Schiff ist von Perth aus in einem großen Bogen um die südöstliche Spitze des Australischen Kontinents gefahren. Jetzt sind wir wieder auf westlichem Kurs.

      Sydney, 9. Juni 1895

      Wenn ich nicht an der Reling stehe, widme ich mich wieder meinen Büchern. Mit Melvilles »Moby Dick« habe ich keine gute Wahl getroffen. Ich überspringe

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