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die Tochter Adina geboren.

       Es folgten glückliche Jahre. Keinen Tag davon hätte er hergeben wollen.

       Dieser tödliche Unfall riss ihn in einen Strudel bodenloser Verzweiflung.

       Zuletzt betäubte er den maßlosen Schmerz und die wachsende Leere mit kleinen Dosen Cannabis, bis die Rationen doch bald größere wurden.

       Einmal, dann ein zweites Mal stand er leicht benommen und etwas lallend vor der Gruppe der versammelten Studenten seines Seminars. Er hatte jede Selbsteinschätzung verloren.

       Sein Zustand war offensichtlich. Für einen Dozenten mit Vorbildfunktion ein unverzeihlicher Fehltritt. Es folgte die Suspendierung.

       Nochmals ein Sturz ins Bodenlose.

       Und eine Gerichtsverhandlung stand an.

       Er, von dem man über alle Jahre seines bisherigen Lebens hätte sagen können, er sei „in einer Glückshaut geboren“ – attraktiv, schlank, dynamisch, verwöhnt von Erfolg - war endgültig ein gebrochener Mann.

       Er hatte am Sarg seiner toten Frau und an den Särgen seiner toten Kinder gestanden und für immer Abschied von ihnen genommen.

       Und jetzt geschah etwas, das ihn wie mit der Wucht eines Blitzes traf, der ihn innerlich fast versengte.

       Seine Kinder lebten.

       Irgendwo in Rumänien.

       Was war geschehen?

       Der Unfall ein inszeniertes Manöver?

       Hatte der damals verlassene rumänische Ehemann grausam Rache genommen?

       Der Tod Catalinas ein Mord?

       Er musste aufbrechen. Aufbrechen in ein fremdes Land, in dem ein altes Clandenken und das Denken in archaischen Ehrbegriffen noch weit verbreitet waren.

       Sein Leben sollte sich von diesem Moment an für immer verändern.

       x x x x

       Ich, der ich Lukas schon seit meiner Studienzeit zu meinen besten Freunden zähle, berichte es Schritt für Schritt.

       Tag X

      Lukas hatte endlich die Tabletten zusammen, die den friedlichen endgültigen Schlaf herbeiführen konnten.

      Er trat hinaus auf den Balkon, es war Mitte Mai, die Luft vibrierte von Vogelstimmen, die parkenden Autos spiegelten im Licht der Frühlingssonne, die von einem klaren Himmel herabfunkelte, für Lukas doch blieb alles ohne Glanz. Nichts berührte ihn mehr. Die maßlose Trauer, die jetzt über Monate dauerte, hatte ihn von Innen zerfressen. Sein Entschluss stand fest.

      Er kehrte in die Wohnung zurück, durchwanderte noch einmal die Zimmer: das Kinderzimmer mit den bunt bemalten Laken an den Wänden, den aufgehängten Kasperlepuppen, den zwei schmalen Betten mit dem Tigerentenüberzug am Fenster; das Zimmer seiner Frau mit dem Flügelspiegel und dem Frisiertischchen, der Vitrine, in der Vasen, Steine und Muscheln gesammelt waren. Schließlich suchte er wieder sein Wohnzimmer auf, wo er seit Monaten auf einer Matratze hauste und ein verwahrloster Schreibtisch mit ungeöffneten Papieren stand.

      Alles was sein Interesse hier noch einmal anziehen konnte, war die Wand mit den Fotos. Sie standen auf einem schmalen Brett über den zwei übereinander montierten Synthesizern. Auf diesen Instrumenten hatte er, oben und unten zugleich spielend und improvisierend, häufig ein ganzes Orchester zum Klingen gebracht, Geigen, Oboen, Trommeln, Trompeten und Triangeln. Nicht einmal das reizte ihn noch in den letzten Wochen.

      Das eine der Fotos zeigte eine junge dunkelhaarige auffallend schöne Frau, lachend an seiner Seite. Auf einem zweiten Foto blickte sie ernst, was ihre Schönheit fast noch mehr hervorstechen ließ. Das dritte Foto zeigte zwei lachende Kinder, einen Jungen, ein Mädchen, der Junge acht Jahre alt, das Mädchen sechs.

      Er hatte alles gut vorbereitet. Das Wasserglas, in dem er die Tabletten gelöst hatte, stand auf dem kleinen Nachttischschrank neben seiner Schlafmatratze. Er musste es jetzt nur trinken, sich dann nach hinten lehnen und er würde nichts spüren, als dass er friedlich einzuschlafen begann.

      In diesem Moment läutete das Netztelefon auf dem Schreibtisch.

      Es läutete vier- fünf Mal.

      Lukas biss in Abwehr die Zähne zusammen. Niemand durfte es wagen, ihn in diesem Moment noch einmal zu stören.

      Endlich war Stille. Er griff nach dem Glas.

      Da setzte das Läuten wieder ein. Dieser Anrufer war hartnäckig.

      Es läutete viermal, fünfmal, ein sechstes Mal.

      Lukas stellte das Glas zurück und sprang auf. Dabei verfing er sich in der Schnur der Lampe auf seinem Nachttischschrank, die stürzte und damit rollte auch das Glas, es wanderte an den Rand des Schränkchens, jetzt schlug es klirrend am Boden auf.

      Durch Lukas fuhr ein wilder heftiger Fluch. Im selben Moment nahm er den Hörer ab.

      „Hallo?“

      „Lukas am Apparat?“

      Es sprach eine markante Männerstimme, die Vitalität und gute Laune spüren ließ.

      „Wen bitte spreche ich?“

      „Lukas – altes Haus! Ich erkenne dich doch, deine Stimme.

      Wie geht’s dir?“

      „Wer bitte ist dort?“

      „Keine Ahnung?“

      Der Mann stimmte den Beatlesong „Yesterday“ an.

      „Noch eine Hilfe: Baseballkappe mit blauen Strei-fen... Dämmert was?“

      „Gerd -?“

      Der alte Schulfreund. Auch Lukas erkannte jetzt klar die Stimme.

      Gerd antwortete mit dem Unterton des Strahlemanns: „Richtig - Gerd! Volle Punktzahl für den Kandidaten! Deinen Spickzettel, den du mir bei der Abi- Klausur in Bio hast rüberwandern lassen, besitze ich noch. Hat einen Ehrenplatz in einer Schublade.“ Er lachte heftig. „Wie geht’s dir, altes Haus?“

      Lukas musste sich sammeln. Nichts konnte er als so störend und deplaziert empfinden wie diesen Anruf von Gerd. Und dieser betrachtete ihn offenbar noch immer als Freund, obwohl sie sich seit Jahren nicht mehr gesehen hatten.

      „Bin für zwei Tage hier in der Stadt,“ sagte Gerd. „Aus meinem Notebook sprang mir eben deine Adresse und deine Telefonnummer entgegen…“

      Eine Stille.

      Gerd sprach jetzt mit etwas gedämpfter Stimme: „Sag mal – hattest du da eben geflucht? Gerade als du den Hörer abgehoben hattest…“

      „Möglich.

      Ein kleines Malheur. Etwas ist umgestürzt.“

      Er blickte erneut nach dem Glas. Scherben, zahllose kleinere Splitter. Die Flüssigkeit war als große Pfütze über den Boden verteilt, der größere Teil über den an die Matratze angrenzenden beigefarbenen Teppich, der ihn längst aufzusaugen begann.

      „Mein Anruf war schuld?“

      „War er.

      Nicht mehr zu ändern.

      Also, zwei Tage bist du hier in der Stadt...“

      „Bis morgen Mittag.

      Wie wär’s? Hast Zeit für mich heute Abend?“

      „Heute Abend?“

      „Schon anders verplant?

      Bin

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