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dem inneren Sinn gestanden haben – eine künstlerische Intuition, die auch sonst ihre Parallelen hat. Daher kann man es nicht benennen, es ist gestaltlose Gestalt und dingloses Bild.

      Immerhin handelt es sich nach der Auffassung des Lautse um eine innere Stufenfolge, um eine Annäherung an das Wirkliche: vom Bild durch den Namen zur Gestalt. So heißt es an einer andern Stelle:

      Der SINN bewirkt die Dinge

      Ganz neblig, ganz verschwommen.

      So verschwommen, so neblig

      Sind in ihm Bilder,

      So neblig, so verschwommen

      Sind in ihm Dinge!

      So innerlich, so dunkel

      Sind in ihm Samen!

      Diese Samen sind ganz wahr,

      In ihnen ist Zuverlässigkeit.

      Von alters bis heute

      Verschwinden nicht diese Namen,

      Mit denen alle Wesen benannt werden können;

      Denn woher weiß ich denn, daß alle Wesen so sind (wie sie sind)?

      Eben durch sie –

      Hier wird ganz deutlich der Prozeß angedeutet, der zur Verwirklichung führt. Erst heißt es:

      So verschwommen, so neblig

      Sind in ihm Bilder!

      Dann kommt der Umschlag:

      So neblig, so verschwommen

      Sind in ihm Dinge!

      Nachdem so – wenn auch übersinnliche – Dinge vorhanden sind, entsteht das Problem des Erkennens. Der Grund, warum man nach Lautse die Dinge erkennen kann, ist, daß jedes Ding innerlich, samenartige, essentielle Qualitäten hat, die das eigentliche, innerste Wesen des Dinges mit zuverlässiger Deutlichkeit repräsentieren. Darum heißt es:

      Diese Samen sind ganz wahr,

      In ihnen ist Zuverlässigkeit ...

      Diese Eigenschaften der Dinge, wie z. B. die Kälte und die weiße Farbe des Schnees, sind durchaus zuverlässige Wirklichkeiten für das Erkennen. Diese Wirklichkeiten sind befaßt in den Namen, den überzeitlichen Begriffen der Dinge. Diese Begriffe dauern, während die durch sie befaßten Erscheinungen der Dinge dem zeitlichen Wechsel, dem Werden und Vergehen unterworfen sind. Der Schnee fällt, der Schnee schmilzt, aber der Begriff des Schnees bleibt. Die einzelnen wirklichen Menschen werden geboren, sie sterben, aber der Begriff Mensch verschwindet nie. Darum heißt es:

      Woher weiß ich denn, daß alle Wesen so sind?

      Eben durch sie, d. h. die Namen, die Begriffe. Zur Erkenntnis ist man wesentlich auf die Begriffe angewiesen.

      So hat hier Lautse eines der wichtigsten Probleme der älteren chinesischen Philosophie angeschnitten, das jahrhundertelang einen Gegenstand der Untersuchung bildete: das Problem des Verhältnisses von Begriff und Wirklichkeit – das im indischen Nama-Rupa auch enthalten ist.

      Die Wirklichkeit ist begrifflich erkennbar, weil die Begriffe nicht bloß willkürliche Namen sind, sondern weil in den Dingen selbst etwas irgendwie Rationales der Begriffsbildung entgegenkommt.

      Aber obwohl Lautse die Bedeutung der Begriffe für die Erkenntnisbildung sehr wohl kennt, ist das Problem damit für ihn nicht erledigt, daß er weiß, daß die Namen, die Begriffe ein nützliches Werkzeug des Erkennens sind. Denn hier erhebt sich für ihn eine sehr große Gefahr. Durch die Bewußtheit, die Erkenntnis entsteht für ihn wie für die Paradiessage eine Art Sündenfall. Denn nun wird das Einzelne aus seinem Mutterboden herausgelöst und verliert den organischen Zusammenhang mit dem Fluß des Lebens. Das Individuum ist da, und mit der Bewußtheit zugleich taucht die Selbstsucht auf, damit aber das „Widersinnige“, das zum Tode führt, je mehr des Lebens Fülle begehrt wird. Begriffe führen zu Erkenntnis, Erkenntnis führt zu Begehren, Begehren führt zu Selbstsucht, Streit, Gegensatz, Tod und Untergang. Und nicht etwa nur das Wissen um das Böse hat diese Folgen, sondern jedes Erkennen. Denn jedes Erkennen setzt mit seinem Objekt zugleich dessen Gegensatz. Aus der ursprünglichen Einheit tritt man mit dem Erkennen heraus in den Dualismus und muß da nun Partei nehmen.

      Wenn alle Menschen auf Erden das Schöne als schön erkennen,

      So ist damit schon das Häßliche gesetzt.

      Wenn alle Menschen auf Erden das Gute als gut erkennen,

      So ist damit schon das Böse gesetzt.

      Darum ist Lautse alles andere als kulturfreudig. So hat er den bekannten Angriff auf das Leben in Erkenntnis und Kultur ausgeführt, der in den von ihm beeinflußten Kreisen noch jahrhundertelang nachgewirkt hat:

      „Die Farben machen der Menschen Augen blind,

      Die Töne machen der Menschen Ohren taub,

      Die Geschmäcke machen der Menschen Gaumen schal,

      Rennen und Jagen machen der Menschen Herzen toll,

      Schwer zu erlangende Güter machen der Menschen Wandel lahm.“

      Hier ist nun ein schwebender Punkt der Weisheit des Lautse. Die Namen entstehen mit einer gewissen Notwendigkeit aus dem SINN, und soweit sind sie an ihrem Platze – solange sie nicht übergreifen – als Prinzip der Individuation ganz gut, sie leiten hinüber zur Wirklichkeit. Nur sind sie nicht das Höchste. So heißt es gleich zu Beginn des Buchs vom SINN und LEBEN:

      „Der SINN, den man ersinnen kann, ist nicht der höchste Sinn.

      Die Namen, die man nennen kann, sind nicht die höchsten Namen.

      Das Namenlose ist der Anfang von Himmel und Erde,

      Das Namenhabende ist die Mutter aller Einzelwesen.

      Darum muß man sich an das höchste Nichtsein halten, wenn man seine Geheimnisse schauen will, Und an das höchste Sein, wenn man sein Äußeres schauen will.“2

      Hier haben wir deutlich den Stufenunterschied des Namenhabenden und Namenlosen. Es ist nicht wesensverschieden, sondern das Namenlose ist nur das Tiefere, Geheimnisvollere, das Himmel und Erde, die unsichtbaren und sichtbaren Welten, das Schöpferische und das Empfangende Prinzip in die Wirkung treten läßt, während das Namenhabende die Geburt der zahllosen, unterschiedenen Einzeldinge bewirkt. So gelangt man durch das Namenlose, das höchste Nichtsein zu den Geheimnissen der Welt, während man durch Anwendung der Namen, der Begriffe, die Welt nur von außen „in ihren Zwischenräumen“ erkennt.

      Die Entwicklung des Erkennens, den intellektuellen „Sündenfall“ schildert Lautse sehr bezeichnend:

      „Der SINN als höchster ist namenlose Einfalt.

      Obwohl klein, wagt die Welt ihn nicht zum Diener zu machen.

      Wenn Fürsten und Könige ihn so wahren könnten,

      So würden alle Dinge sich als Gäste einstellen.

      Das Volk würde ohne Befehle von selbst ins Gleichgewicht kommen.

      Wenn erst das Dasein der Namen geschaffen,

      So erreichen die Namen auch das Dasein.

      Da kommt denn auch das Erkennen herbei.

      Kommt das Erkennen herbei, so entsteht dadurch die Unordnung.“

      Die Aufgabe der Leiter der Menschen besteht nun eben darin, zu verhindern, daß Intellektualismus und Rationalismus um sich greifen:

      „Die in alten Zeiten das Lenken ausübten,

      Taten es nicht durch Aufklärung des Volkes,

      Sondern sie machten es töricht.

      Daß das Volk schwer zu lenken ist,

      Kommt daher, daß es zu viel weiß.

      Darum, wer durch Wissen das Reich lenkt,

      Ist des Reiches

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