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gänzlich zu Tode gehetzt ist – es kann nur vom Dichter jeweils an seinem Platz zum Leben erweckt werden –, verbietet sich schon darum, weil das chinesische Wort Te moralisch gänzlich indifferent ist. Es kann ebensowohl minderwertiges, ja schlechtes Te geben, wie gutes.

      In Lautses Gedanken ist das „Leben“ einfach der im Einzelwesen sich auswirkende SINN. Je weniger das Leben sich selber sucht, desto höher ist es, und desto reiner ist die Offenbarung des SINNES in ihm. „Das höchste Leben sucht nicht sein Leben, darum hat es Leben.“

      Was ist nun aber der „SINN“?

      Die alte chinesische Volksanschauung war von der Überzeugung ausgegangen, daß Himmel und Erde, das Unsichtbare und das Sichtbare, bewußte Wesen seien: der Vater und die Mutter alles Bestehenden. Dabei hatte der Himmel als Herr noch eine besonders bevorzugte Stellung. Der Himmel gebietet z. B. im Buch der Lieder dem König Wen etwas. Er spricht zu ihm:

      „Der Himmel schaut herab auf die Menschen hier unten.“

      Er ist gnädig oder zornig.

      „Ehret den Zorn des Himmels!

      Wagt nicht zu spotten und lachen!

      Ehret die Gnade des Himmels!

      Wagt nicht zu rennen und laufen!“

      Er schickt Freude und Leid den Menschen zu.

      „Der Himmel schickt Trauer und Wirren,

      Hungersnot und dürre Zeit.“

      Hier setzt nun Lautse mit seiner Kritik ein. Das Naturgeschehen ist für ihn nichts Bewußt-Absichtliches. Es vollzieht sich spontan, ohne Rücksicht auf Menschenwohl und Menschenwürde. Unfühlend ist die Natur.

      „Nicht Liebe nach Menschenart kennt Himmel und Erde.

      Ihnen sind alle Wesen nur Heuhunde.“

      Bei Dschuangdsї haben wir eine Erklärung der seltsamen zweiten Zeile. Bei Opfern nämlich wurden Figuren aus Heu geformt und aufgestellt. Solange sie beim Opfer ihre Dienste taten, wurden sie geschmückt und geehrt, war ihre Arbeit getan, so konnten sie gehen, sie wurden weggeworfen und lagen auf der Straße umher und wurden von den Vorübergehenden zertreten. So ist für Lautse in der Natur der Einzelne nichts, alle Bedeutung gewinnt er nur durch die Rolle, die er in ihr zu spielen hat. Ist seine Zeit gekommen, so pulsiert der große Lebensstrom in ihm. Herrlich blüht er auf, verklärt von den Kräften der Welt. Ist seine Zeit vorbei, verschwindet er und wird unbeachtet vernichtet von den auflösenden Kräften des Todes.

      Wenn aber so für Lautse jeder Anthropomorphismus in der Natur rettungslos dahinfällt, so ist er darum nun doch nicht hoffnungslos atheistisch. Durch Innenschau hat er etwas entdeckt, etwas Unsagbares, Unräumliches, ein Nichts. Und auf diesem Nichts beruht die ganze massive Wirklichkeit. Dieses „Nichts“ ist noch jenseits von Himmel und Erde. Es ist ewig und schlechthin wirkend. Weil es nichts Einzelnes ist, ist es unbehindert von allem Einzelnen. Über, dieses „Nichts“ sagt Lautse folgendes:

      „Es gibt etwas, das ist unterschiedslos vollendet,

      Es geht der Entstehung von Himmel und Erde voran.

      Wie still! Wie leer!

      Selbständig und unverändert,

      Im Kreise wandelnd ungehindert.

      Man kann es für die Mutter der Welt halten.

      Ich weiß nicht seinen Namen.

      Ich bezeichne es als SINN,

      Notdürftig nenn ich es: das Große.“

      „Wie ist der Große SINN allüberflutend!

      Er kann zur Linken sein und auch zur Rechten!

      Alle Wesen halten sich an ihn, um zu leben,

      Und er versagt sich ihnen nicht.

      Ist ein Werk fertig, so nennt er's nicht sein.

      Er kleidet und nährt alle Wesen und spielt nicht ihren Herrn.

      Wie aber betätigt sich nun dieser unsichtbare SINN in der sichtbaren Wirklichkeit? Wenn Lautse den SINN als „Nichts“ bezeichnet, so ist dadurch selbstverständlich nur sein Gegensatz zur Welt der Wirklichkeit zum Ausdrucke gebracht. Er bezeichnet sozusagen eine Wirklichkeit höherer Ordnung, die jenseits von der massiven Außenwelt ist, die aber nicht räumlich getrennt von ihr ist. Man kann das Verhältnis von SINN und Wirklichkeit auch nicht unter der Kategorie von Ursache und Wirkung erfassen – denn die setzt selber schon die Wirklichkeit voraus. Ein sehr hübsches Gleichnis von diesem „Nichts“ gibt Lautse in folgendem Abschnitt:

      Dreißig Speichen umgeben eine Nabe:

      Auf dem Nichts daran beruht des Wagens Wirkung1.

      Man macht Schüsseln und Töpfe zu Gefäßen:

      Auf dem Nichts darin beruht des Gefäßes Wirkung.

      Man höhlt Türen und Fenster aus an Zimmern,

      Auf dem Nichts darin beruht des Zimmers Wirkung.

      Darum: das Etwas schafft Wirklichkeit,

      Das Nichts schafft Wirkung.

      Das „Nichts“, um das sich das Rad dreht, das „Nichts“, das die Gefäße zu ihrem Zweck erst tauglich macht, das „Nichts“ der Fenster, Türen und des Zimmers, das den Raum erst bewohnbar macht, ist nicht die Ursache, d. h. die kausale Ursache des umgebenden Etwas, und doch wird das Wirkliche, das Reale erst zur Wirkung gebracht durch diese Leere, diesen Abstand.

      Wenn man nun aber auch nicht sagen kann, daß der SINN die Dinge verursacht, so ist er doch der teleologische Grund der Dinge. Hier kommen wir nun auf eine sehr merkwürdige Intuition des Lautse: nämlich obwohl der SINN jenseits der körperlichen Wirklichkeit und damit auch jenseits von Einheit und Vielheit ist, so ist in ihm doch eine innere Mannigfaltigkeit angelegt, die natürlich den Sinnen unzugänglich ist:

      „Man schaut nach ihm und sieht es nicht,

      das heißt mit Namen das Luftige.

      Man horcht nach ihm und hört es nicht,

      das heißt mit Namen: das Dünne.

      Man greift nach ihm und faßt es nicht,

      das heißt mit Namen: das Unkörperliche.

      Diese drei lassen sich nicht auseinanderhalten,

      So sind sie durcheinander und bilden eins.

      Sein Oben ist nicht heller,

      Sein Unten ist nicht dunkler,

      Ununterbrochen zieht es sich hin,

      So daß man es nicht benennen kann.

      Er kehrt wieder zurück ins Nichtdingliche:

      Das heißt die gestaltlose Gestalt,

      Das dinglose Bild,

      Das heißt das Neblig-Verschwommene.

      Ihm entgegentretend sieht man nicht sein Antlitz,

      ihm folgend sieht man nicht seinen Rücken.

      Es handelt sich also um eine Konzeption, die auf der Grenze der Welt der Erscheinungen liegt. Sie ist jenseits der Erscheinungen, die die sinnlich-wirkliche Welt konstituieren, sie ist unsichtbar, unhörbar, untastbar. Aber die Qualitäten der sinnlichen Wahrnehmbarkeit sind keimartig doch schon in ihr angelegt, obwohl alles Räumliche: oben und unten, vorn und hinten, rechts und links in der Ununterschiedenheit aufgehoben ist. Diese Keime nun deuten auf etwas, das erstens irgendwie der Sichtbarkeit entspricht, etwas Bildartiges – man ist hier unwillkürlich versucht, an die platonischen Ideen zu denken –, zweitens irgendwie der Hörbarkeit entspricht, etwas Wortartiges – man könnte hierbei an den λóγοϛ denken –, drittens irgendwie der Ausgedehntheit entspricht, etwas Gestaltartiges. Aber dieses Dreifache ist nicht deutlich geschieden und definierbar, sondern ist eine unräumliche (kein Oben und Unten) und unzeitliche Einheit (kein Vorn und Hinten). Um zu verstehen, wie

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