Скачать книгу

dass sie begeistert sein würde. Wer wollte seine Tochter schon auf gefährlicher Schattenjagd wissen? Ob sie es mir vielleicht sogar verbieten würde? Einen Moment verspürte ich so etwas wie Panik in mir aufsteigen. Es war gefährlich, sogar lebensgefährlich, das war mir erst heute so richtig bewusst geworden. Und dennoch war die Schattenjagd nun ein Teil meines Lebens. Ich wollte sie nicht mehr missen, so seltsam das auch war.

      Marlene lächelte mich wieder an. »Aber natürlich. Es kann ja nicht sein, dass du solche Nachteile hast. Immerhin bist du eine große Hilfe. Und Noah hat Einfluss im Rat. Davon einmal abgesehen ist der Rat dir ohnehin noch was schuldig. Wenn ich da nur an die Ereignisse denke, als sie dich kennenlernen wollten …«

      Überrascht sah ich sie an. »Du weißt davon?«

      »Sicher, mein Mann und ich haben keine Geheimnisse voreinander. Und auch, wenn ich nicht Teil der ganzen Sache bin, bin ich froh, dass ich Bescheid weiß. Das wird sicher nicht leicht werden für deine Mutter, aber sie wird es akzeptieren. Glaub mir.«

      »Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte ich leise, und ich wunderte mich selbst, dass ich Marlene gegenüber so ehrlich war.

      »Natürlich wird es am Anfang schwer sein, das ist klar. Aber sie wird verstehen, wie wichtig das Ganze ist und was dein Beitrag ist. Sie kann stolz auf dich sein.«

      »Sie wird sich immerzu Sorgen um mich machen.« Nun sah ich Marlene direkt in die Augen. »Du machst dir doch bestimmt auch Sorgen um die Jungs, wenn sie unterwegs sind.«

      »Als Mutter macht man sich immer Sorgen. Es wäre schlimm, wenn es anders wäre. Aber es wird mit der Zeit ein wenig besser. Wenn du willst, kann ich mich ja dann mal mit deiner Mutter unterhalten. Und Noah kann ihr sicher auch gut zureden.« Sie lächelte traurig.

      »Das wär toll«, antwortete ich leise. Wir schwiegen einen Moment und hingen beide unseren Gedanken nach. Ich dachte an Noah, und ich wusste, dass auch sie an Noah dachte. Ob wir ihn wirklich finden würden? Schließlich räusperte ich mich. »Wo sind denn Gabriel und Joshua?«

      »Sie wollten mit dem Rat telefonieren. Ich nehme an, dass sie im Arbeitszimmer meines Mannes sind.«

      Ich nickte, zögerte aber.

      »Geh ruhig, sie warten sicher schon auf dich.«

      Noch einmal nickte ich ihr zu, dann ging ich zum Arbeitszimmer. Die Tür war verschlossen, aber eine dumpfe Stimme war zu hören. Ich klopfte kurz an und trat dann ein. Gabriel saß auf dem Stuhl seines Vaters, Joshua saß ihm gegenüber mit dem Rücken zu mir. Beide hatten sich über das Telefon gebeugt und lauschten einer tiefen Stimme, die durch den Freisprecher zu hören war. Ich erkannte die Stimme nicht wieder, aber ich war mir sicher, dass es der Ratsvorsitzende sein musste. Als Gabriel mich nun sah, lächelte er mich kurz an und bedeutete mir, mich zu setzen. Also setzte ich mich neben Joshua und hörte ebenfalls interessiert und gespannt zu, was der Ratsvorsitzende zu sagen hatte.

      »Es tut mir wirklich leid, dass ich nicht mehr tun kann«, sagte er in diesem Moment.

      Mein Herz blieb fast stehen. Was tat ihm leid? Wollte er etwa nicht helfen? Aber das ging doch nicht! Am liebsten hätte ich etwas gesagt, doch das hielt ich für keine gute Idee. Vielleicht hatte ich etwas falsch verstanden, also schwieg ich.

      »Ihr seht doch selber, was los ist«, fuhr der Ratsvorsitzende fort. »Im Stundentakt werden in den Nachrichten neue Städte gemeldet, in denen es zu Ausschreitungen kommt. Und wir wissen, dass das noch lange nicht das Ende ist. Es gibt neunzehn Portale. Wenn man die fünf Maya-Städte und Stonehenge nicht mitzählt, sind es also immer noch dreizehn Städte weltweit, die von den Unruhen betroffen sind. Und das Ganze wird sich ausweiten. Wir haben Krieg, und im Moment sieht es so aus, als ob wir verlieren. In Heidelberg geht es auch schon langsam los, und wir müssen jetzt dringend Schattenwächter organisieren und mit den anderen Räten besprechen, was zu tun ist. Wir müssen die Schatten vernichten, ansonsten …« Er verstummte, und ich konnte ihn seufzen hören.

      Ansonsten was? Mein Herz blieb wieder fast stehen. Würde dann wirklich die Welt untergehen? Würde sich die Menschheit mit Hilfe der Schatten selbst vernichten?

      »Ich weiß, dass Sie im Moment wirklich viel zu tun haben«, erwiderte Joshua. »Aber wir verlangen ja auch gar nicht Ihre körperliche Anwesenheit bei der Suche nach unserem Vater. Wir wollen nur, dass Sie uns bei den Überlegungen zur Seite stehen.«

      »Aber ihr habt doch noch gar keine Anhaltspunkte.«

      »Ja schon, aber das kann uns doch nicht davon abhalten, unseren Vater zu suchen«, meinte Gabriel nun. Er seufzte und strich sich mit einer fast verzweifelten Geste die Haare aus dem Gesicht. »Er ist immerhin Ratsmitglied. Sie sind es ihm schuldig. Außerdem hätte es auch Vorteile für Sie, wenn wir ihn finden würden. Nicht nur, dass Sie wieder eine Arbeitskraft mehr hätten. Vielleicht kann er uns auch wertvolle Hinweise geben. Immerhin war er oben auf der Thingstätte, als das Ganze los ging.«

      Am anderen Ende der Leitung herrschte kurz Schweigen, dann sagte der Ratsvorsitzende nachdenklich: »Ja, vielleicht. Aber vor morgen können wir euch dennoch nicht helfen. Es ist im Moment wichtiger, dass wir so viele Schattenwächter wie möglich nach Heidelberg bekommen.«

      »Aber …«, begann Joshua.

      »Ich weiß«, erwiderte der Ratsvorsitzende und seufzte wieder. »Noah ist euer Vater, und ich verstehe auch, dass ihr ihn finden wollt. Aber das Wohl der Menschheit geht vor. Ihr wisst, was auf dem Spiel steht. Kommt morgen Vormittag in mein Büro, ab neun Uhr, dann sehen wir weiter. Und bis dahin will ich euch bitten, euren Pflichten als Schattenwächter nachzukommen und so viele Schatten wie möglich zu töten. Das ist ein Befehl.« Seine Stimme duldete keine Widerrede.

      Gabriel wollte dennoch etwas erwidern, doch Joshua sah ihn eindringlich an und schüttelte den Kopf. »Wir werden sehen, was wir tun können. Bis morgen dann.« Joshua drückte auf einen Knopf am Telefon, bevor der Ratsvorsitzende noch etwas sagen konnte, und die Verbindung war unterbrochen.

      Gabriel lehnte sich in seinem Stuhl seufzend nach hinten und starrte auf die Tür. Joshua und ich blieben bewegungslos sitzen. Eine Weile schwiegen wir alle, dann sprach ich als Erste:

      »Was hat das zu bedeuten? Sie wollen uns wirklich nicht helfen?«

      Joshua sah mich an, sein Blick war traurig und verzweifelt. »Nicht vor morgen, das ist richtig. Du hast ja ihre Begründung mitbekommen.« Er seufzte. »Ich kann sie schon ein bisschen verstehen. Das Chaos droht auszubrechen. Natürlich ist es wichtig, dass wir Schattenwächter organisieren und die Schatten vernichten. Dennoch hatte ich mir etwas mehr von ihnen versprochen. Immerhin ist Noah nicht nur unser Vater, er ist auch Ratsmitglied.«

      »Ich find das nicht in Ordnung«, sagte ich. »Es müsste doch beides möglich sein. In einem solchen Fall lassen sich sicher auch ehemalige Schattenwächter und die Familienmitglieder rekrutieren.«

      »Haben sie bereits. Du wirst es nicht glauben, aber sie wollten sogar unsere Mutter um Hilfe bitten. Wir haben ihnen gesagt, dass sie das mal schön bleiben lassen sollen.«

      Ich wurde so langsam richtig wütend auf den Rat. Man sollte ja eigentlich meinen, dass es eine wichtige Organisation war, aber bisher hatte ich mit ihm nur schlechte Erfahrungen gemacht. Und dabei dachte ich nicht nur an mein erstes Zusammentreffen mit ihm und die miserablen Sicherheitsvorkehrungen. Sie hatten sich ja vorher schon geweigert, etwas wegen der Beschattungen von Klaus Brenner und Wilhelm Neuberg zu unternehmen, und mir waren sie bisher auch kein Stückchen entgegengekommen. Marlene hatte recht. Der Rat konnte nicht nur nehmen, er musste auch geben. Wenn das Ganze vorbei war, würde ich darauf bestehen, meiner Mutter die Wahrheit sagen zu dürfen. Immerhin hatten wir schon so viel für sie getan.

      Aber es half alles nichts. Sich jetzt aufzuregen, brachte uns nicht weiter, also schluckte ich meinen Ärger hinunter und fragte: »Und was machen wir nun?«

      Joshua stand langsam auf. »Lasst uns das gleich besprechen, ich sag erst mal Mutter Bescheid. Sie wird sicher wissen wollen, was der Rat gesagt hat.« Er schenkte mir ein zaghaftes Lächeln, dann ließ er mich und Gabriel alleine zurück.

      Ich sah Gabriel an, doch

Скачать книгу