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verkorkste Hausfrau sich ausdenkt. Nichts Entgegenkommendes im Leben misstraut Philo. Noch dazu glaubt sie an Gott. Wahrscheinlich ist es aber wirk­lich besser, Gott die Möglichkeit zu geben, als sich vielmals zu erregen, wie ich. Freundin habe ich keine mehr, seit Melly Kim bezogen hat. Kim gibt die besseren Spiele und die bessere Musik daheim an. Melly besteht auf Abschießen, Bausteine, kleine Affen und Saurier. Ranziger, kalter Kaffee für mich. Außerdem geht Kim mit Melly ringeln. Und bei ihm lebt eine schmuddel boshaftige Katze. Gangsta benamt. Ordentlich blöd. Mit alledem diene ich nicht. Ich bin allergisch gegen Katzen und Ringeln.

      Philomena desinteressiert sich für Computerspiele. Würde sie das nicht, wären wir echte Geschwister. So sind wir allein biologisch gelinkt. Überhaupt weiß sie nicht viel über mein Herumgehen. Gut so, obwohl ich mir manchmal wünsche, ich könnte ihr Geheimnisse weihen. Sie ist in Zeiten wie diesen mein einziger Außenweltconnect. Vielmals geht sie mir einkaufen, mir glücklich im selben System installiert, Block 4, Bilabostraße.

      Philo hat Paul kennengelernt, gut. Aber Primus ist ihr geheim verblieben. Würde sie ihn kennen, würde sie die Welt scheinbar umgekehrt besehen. Früher hat sie Primus ein paarmal indirekt kontaktiert. Dann, wenn sie Bubi, meinen ältesten Neffen, mir und dem genialen Sinuswalk gestohlen hat. Zum Ausbaden, Aufgabenmachen oder sonstwas. Übrigens geht mir nicht auf, wie jemand ein Spiel wie das alte Donkey Kong Desaster einem hohen, intelligenten Adventure gleich Sinuswalk hervorziehen kann. Kim und Melly können. Sinnig besser, dass ich nun ungut mit ihnen befreundet bin. Wirklich froh bin ich, dass sie nie genug über Paul erhalten haben. Und Primus ahnen sie gar nicht. Er hat sich niemals bei ihnen eingeklinkt. Von anfang an auf mich gesetzt. Warum, weiß ich heute nicht genau. Mit Primus beleibt sich nicht über alles zu reden. Ohne den Service Professor Brachanskys kann ich ihm keinmal zusetzen.

      Mein Kumpel meint es sogar lachhaft, dass die echte Welt mich geruhsam am Arsch lecken mag. Eines Tages hab’ ich sein erstes E-mail bekommen, also einen elektroni­schen Brief, wie bedeutsam benamt, über das Internet aus irgendeiner Weltsequenz. Primus, präsentierte er sich.

      »Grüezi,« startete der Text. Weiterhin damit, dass den E-mail-Sender ein paar Seiten Webdesign von mir verzücken, für Galerien, Veranstalter von Openair-Raves und Puppendealer. Selber hat er einiges erforscht. Ich hab’ in dem Typen irgendwelchen Computerfreak geglaubt. Wir haben dann vielmals gemailt. Primus hat enorm begriffen, egal wie ich stimmte. Eines Tages hat er mir eine Newsgroup über Hass etabliert. End­lich konnte mir eingehen, wie anderen Leuten das Gefühl bekommt, das die Kaumus­keln verhärtet, die Nasenflügel bläht und faustfingert. Wer seine Zähne nicht besorgt, zerbeißt sie so fest, quillt Hass, dass sie knirschen. Zugleich beschleunigen Herzschlag und Atmung sich auffällig. In irrsinniger Frequenz blitzen tiefe Bilder geliebter Gewalt­akte. Hassgefühl schwillt. Anständig nicht zu dämmen. Man kann den Keim auch nicht vernünftig ersticken. Nein, es zerplatzt jedenfalls. Nur, wer erwägt, es zu gestehen?

      Dass die Newsgroup ein paar Beiträge über meine Hassgefühle gespeist hat, war erleichternd, wie beim Herunterholen und hat die Mithassenden geziemend ergötzt. Ich war simpel mordsmäßig mies zur Gesellschaft, das Leben, meinen finanziellen Mist, auf Melly, den Heizölfleck auf dem Teppich, mein Überge­wich­tiges, die versaute Platte im antiken Rho Phi 2 und alles. Primus hat schnell mitgeschnitten. Drogen hab’ ich nie viele angenommen. Vielfach teuer. Und glaub­haft bin ich wirklich zu feige. Pauls Meinung. Wenn sich mir der Boden unter den Füßen verzieht, was wird aus Rho Phi? Nein, nein, Gifte zum Spritzen oder Rauchen oder Schlucken, die Hirn und Magen wenden, kommen mir nicht. Noch hab’ ich Primus und das Netz nicht beendet. Und ich bin bei Paul immer­zeiten mit Konsequenz schuldig.

      Primus steht außerdem durch. Primus bedeutet »Der Erste«. Das ist er. Primus ist der erste und einzige VIP, mir bekannt.

      VIP benamt Virtual Independent Processor.

      Kurz vor Pauls Bruch in meine Tage, erlebte ich Hassen, das heute noch zubeißt. Ja, stimmt. Hass malte jener Tage mein Weltbild. Und heute? Fehlt die Anzeige. Endlich hatte das Werk den neuen Rho Phi, den 3er, befreit, das Gerät, für das verbrühte Freaks Pawlow schlucken würden. Ehrlich, ich tat es, bedachte ich den Wunderkasten. Wunderkasten. Es war Hochzeit, dass der 3er ange­kündigt wurde, sonst hätte ich meinen alten, schwachen 2er noch aus dem Fen­ster gestürzt. Und es vormals nicht eröffnet. Als der Rho Phi 3 eingeliefert wurde, suchte ich Jause in der Gasse. Eigentümlich appor­tierte ich zwei Mayon­nai­se­multis und vier Semmeln, weil dem Fleischer die Göttinger aus­ge­gangen war, aber wertlos. Der Tag wird mir mit oder ohne Mayonnaise auf ewig im Hauptspeicher picken. Auf nichts in meiner unübersehbar tristen Zukunft habe ich mich je gefreut wie momentan, den Rho Phi 3 zu betreiben. Gelechzt hab’ ich nach dieser wunderbaren, fabrikriechenden, blank unberührten Jungfrau, unbe­druckt das Gehäu­se, glanzflirrend der Monitor ... und datenbefreit das Hirn, lechzend nach Wissen, das ich ihm selbst verliebt einleiten würde. Empfänglich für mich, freudig und neu genagelt. Und ich wäre stets der Erste in Rho Phis Dasein. Derjenige, der ihm zu voller Kraft das Blut einspritzen, ihn gebähren würde. So stellte ich das gefällig vor mich hin.

      Als ich vom Jausenholen retournierte, besaß Alfred den knisternden Monitor. Alfred, ein bis dahin gemäßigt befreundeter Techniker, an diesem versauten Nachmittag in meine Bude geschleimt, bedurfte einer antiken 40er-zweieinhalb-Zoll-SCSI-Platte für einen Kunden. Hab’ das Blech dem Gerümpel extrahieren müssen. Dem Typen arg­wöhn­te ich immer schon, wie einer nur suspekt sein kann, der sich Leuten ergibt, die auf uralte Hardware wichsen. Alfreds dreckige Supporterklauen wischten Pho Phis Tastatur. Das Schwein rühmte sich gerade­wegs, meiner neuen Maschine die dritte Systemdiskette für das Tauriques 4.0/Quai zu füttern, und ich hab’ mein Leben vorbeilaufen sehen ...

      Alfred hat bald danach einen Job in der Madrid-Filiale von Styles akzeptiert. Damit ich unseren kommunalen Kunden weiter schmecke, man weiß nie genau, habe ich ihm ein paar Scheine für die neuen Zähne gesteckt. Nie wieder wird jemand, der mein pulsendes Herz quetscht, mit blöde unverständigem Grinsen mir zumuten, er hätte mir zu Gefallen sein wollen ...

      Am nächsten Tag erhielt ich ein E-mail von einem gewissen Brach, der erregte, ich solle mich präparieren. Die Zeichen stürmten. Aha, ich bedachte einen Literaturfreak. Keinmal cool. Bücher zu lesen hatte ich vor Jahren geopfert. Es frustrierte recht sehr hoch, dass ich keinmal lebhaft Abenteuer bezeugen würde. Warum also mir gedruckte Stories überziehen? Ähnlich verhalten sich heute die Filme ... Ahnungslos war ich, wohnte ohne Arg, Brachs mails konsu­mierend, wie der Weltrest ...

      Das Netz hyperprosperierte. Experten orakelten heimlich, die Datenmenge würde bald seine eigene Organisierbarkeit sprengen. Massenweise gestalteten Programme Web­design, niemand musste mehr den Code einstudieren, um seine Arbeiten zu ver­schicken. Alles war babyleicht zu handlen geworden. Jeder Idiot veranstaltete seine Homepages und den Rest selber und betrog damit meine Misere. Nach einer Dekade der Workshops und TV-Schulungen sprossen schon überzählig Internauten gegenüber Autoerfahrenen. Meine Fertigkeiten in dieser Branche waren zeitig ungefragt. Bier und Multis erschäftigte ich längstens durch kleine Infodienste und mikro Organisationsprogramme für hirntote User, Dealerei mit illegalen Spielen und peripher Hardwaresupport, freundschaftlich. Zwar zündete ich bereits eine veränderliche Idee, die Lage mir günstig zu kehren und selber Spiele zu schöpfen. Aber ich war träge und missmutig geworden. Lästig langsam marschierte alles, obwohl mein Rho Phi seine Kapazität meiner Liebe wegen steigerte. Getragen von Primus. Wie Primus das machte, ergab sich mir damals noch nicht. Nicht einmal, dass er mit Pauls Erscheinen betraut sein konnte. Aber auf seine Mails verließ ich mich täglich.

      Trotzdem, – alles Scheiße, obwohl Primus mir immermals schönes Sprechen erforderte. Es erfreute mich keinesfalls mehr wie in den späten neunziger Jahren, das World Wide Web zu durchsurfen. Naja, damals war ich keine zwanzig gewesen. Man erpresst sich präsent schnell allen Atem in den Netzmaschen. Die Leute lagerten dreckig darin. Es war im gange das Hirn im Global village zu wichsen. Auf dem Datenhighway watete man knöcheltief im Sperma der gelangweilten Freaks und der dumben Proleten, modemgeschlossen per Weih­nachts­geschenk. Im Internet zielten allein noch ultrakomplexe Suchpro­gramme nach gewünschten Informationen. Sie richtig schwingen ließen allein megakomplizierte Unterprogramme und Treiber. Händisch verdreht, kursierte der Kram auf der ganzen Welt, virtuell bezahlt, freiheitlich. »WebCrawler« begriff

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