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dann auch: „Wenn ich es wollte, hätte ich längst einen. Aber, glaub mir, das ist nichts für mich.“

      „Willst du dein Leben lang allein hier hocken“, gab Marco zu bedenken.

      „Ich versteh die ganzen jungen Burschen nicht, die wie du schon Torschlusspanik haben…“

      Marco schien zu überlegen. Er beneidete Martin für seine Abgeklärtheit, dieses Gelassene. All das hatte Marco nicht. Er kam sich neben seinem Kumpel vor wie ein Kind oder, schlimmer, wie ein weinerliches Weib. Martin setzte noch einen drauf: „Ein richtiger Mann macht sich da keine Gedanken.“ Und um dies zu unterstreichen, ließ er seinen rechten Bizeps spielen, der sich trotz des dicken Pullovers sehr gut abzeichnete. ‚Was ein Macho‘, ging es Marco durch den Kopf.

      „Ich brauche das nicht. Engt mich zu viel ein“, fuhr Martin fort.

      „Ja, ich habe es kapiert“, giftete Marco und wunderte sich selbst über seine plötzliche Gereiztheit.

      Martin staunte nicht schlecht, nickte leicht: „Junge.“ Er grinste – sein souveränes Grinsen, das dem Gesprächspartner unweigerlich signalisierte, wer hier im Zweifelsfalle jederzeit dominieren würde, falls es sein müsste.

      „Wie sieht’s denn bei dir im Moment aus“, hakte Marco nach.

      „Womit?“

      „Na, ob du jemanden hast…“

      „Meinst du die Frage ernst“, wirkte Martin fast empört.

      „Klar, sonst würde ich sie nicht stellen…“

      „Ich habe immer jemanden.“

      „Verstehe. Aber nur so, keine Liebe?“

      „Ach, Marco, hör doch damit auf! Das macht es nur kompliziert.“

      „Mann oder Frau? Bei dir weiß man’s ja nie…“

      Martin lachte: „Beides.“

      Marco verzog den Mund und schaute auf das ihm gegenüberhängende Bild, das eine Waldlandschaft mit zwei Hirschen zeigte. Martin hatte einen eigenartigen Geschmack, fand er.

      „Also bleibst du bei deinem Nein“, erkundigte sich Martin, als er bemerkte, dass Marco seine Hirsche betrachtete.

      „Bei welchem Nein?“

      „Dass ich Lupo nicht mal für die Jagd kriege…“

      „Nein, du kriegst meinen Hund nicht. Weiß gar nicht, was du mit dem auf der Jagd willst. Jagdhunde müssen doch ausgebildet werden“, verschwamm sein als Behauptung gedachter letzter Satz zu einer Frage.

      „Ja, stimmt schon. War eh mehr ein Witz… Jetzt noch ein Bierchen?“

      „Du, nee, ich glaub, ich muss langsam los, gleich zehn… War nett.“

      Marco erhob sich und Martin begleitete seinen Freund zur Türe. Als er dort stand und ihm nachsah, wehte ein kühler, frischer Nachtwind vom Fluss herauf. Martin griff in die Taschen einer unweit hängenden Jacke. In einer müsste noch ein Päckchen Zigaretten liegen. Er rauchte nicht oft, manchmal gar nicht am Tag, nun jedoch brauchte er eine. Er wusste nicht, ob die nächtliche Luft Schuld war oder das Gespräch mit Marco. Er kramte nach dem Feuerzeug, zündete die Zigarette an und stieg einige Stufen hinab bis zum Kirschbaum. Von hier aus beobachtete er den Verkehr auf der am Haus vorbeiführenden Bundesstraße. Jeder Zug entspannte ihn ein wenig mehr und es war, als verflüchtige sich mit dem Rauch auch sein Kummer, den er hatte, aber nie zugegeben hätte, nicht vor Marco, nicht vor sich selbst. Er besaß alles, was jemand in seinem Alter besitzen konnte, nur der eine, der besondere Mensch, der fehlte ihm. Unverständlich eigentlich. Ausgerechnet Martin besaß ihn nicht! Er drückte –unbewusst den Kopf schüttelnd – die Zigarette an der Baumrinde aus und nahm die Kippe mit ins Haus. In wenigen Stunden würde bereits sein Wecker rasseln…

      Kapitel 3

      Er hatte das Geschäft erfolgreich abschließen können: Ein Autoliebhaber, der einen alten Mercedes Benz 170V W136 wieder in Schuss bringen wollte, benötigte dafür etliche Ersatzteile, die Martin ihm besorgte. Leider fiel die Sache nicht ganz so lukrativ aus wie erwartet, aber eine kleinere Gewinnmarge hatte Martin natürlich einkalkuliert.

      Auf dem Rückweg vom Ruhrgebiet machte er an einer Raststätte Halt, pfiff sich eine Currywurst mit Pommes rein und ärgerte sich gleich, dass er seine überzähligen Kilos so nie loswürde. Schließlich fiel ihm eine Frau am Tisch gegenüber auf, die – vor einem Teller Salat sitzend – andauernd zu ihm glotzte. Sie hatte was, obwohl sie deutlich älter als er wirkte, was Martin normalerweise nicht sonderlich schätzte, aber hier, an ihr, er wusste nicht was, aber das etwas da war, o, Mann, sie machte ihn scharf! Gerade als er sich anschickte, zu ihr zu gehen, plumpste ein kräftiger Typ auf den Stuhl an ihrem Tisch. Martin blieb sitzen. War wohl nix. Dann eben ein andermal mit einer anderen. Er schlang die restlichen Fritten hinunter und überlegte, ob er nach der Wurst nicht noch Lust auf Amanda hätte. Er wischte auf seinem Smartphone herum, das neben seinem Teller lag, doch war keine Nachricht von ihr eingegangen und dass Martin sie gefragt hätte, das wäre nicht vorgekommen. Er fragte nie, er ließ fragen, damit bloß niemand glaubte, er hätte es nötig.

      Als er alles vertilgt hatte, stand er auf und trug sein Tablett fort. Auf dem Weg zur Abgabe zwinkerte er der Frau am Nachbartisch zu, deren Augen auf ihm hafteten, als suchten sie das Gespräch, während sie bereits die Antwort auf seine ungestellte Frage gegeben hatten. Sie nickte nur. Er ging zu den WCs, wo er mit angelehnter Tür in einer Kabine wartete. Keine halbe Minute später betrat jemand den Raum. Er erkannte sie durch den Spalt und zog sie zu sich in die Kabine, schloss die Tür. Ohne ein Wort stießen ihre Lippen aufeinander. Sie schmeckte nach der Knoblauchsoße ihres Salates, er nach Curryketchup. Bald schon drückte er sie sachte, jedoch entschlossen auf die Knie, öffnete seine Hose und spürte ihre heißen Lippen, die sich um sein sich erhärtendes Glied legten…

      Als er in seine Hofeinfahrt bog, wäre er am liebsten gerade wieder umgekehrt: Das Auto seiner Mutter parkte neben dem Kirschbaum. Vermutlich hockte sie längst in seiner Küche – wie häufig hatte er sich selbst dafür verflucht, dass er ihr damals einen Schlüssel gegeben hatte! Ein unverzeihlicher Fehler! Besonders bei seiner Mutter, diesem Besen, die in ihm immer noch nicht den Mann sah, der er war, sondern den kleinen Jungen, ihren kleinen Jungen, dem sie glaubte sagen zu müssen, was gut und was schlecht für ihn sei. Mürrisch trat er ins Haus. Seine Befürchtungen bestätigten sich: Kaum schlug die Tür zu, rief es aus der Küche: „Martin?!“

      Er warf mürrisch seine Tasche auf die Kommode und schlenderte in die Küche, mehr wie ein misshandelter Hund als wie der Herr des Hauses. Dort saß sie am Tisch, hatte sich einen Kaffee gekocht, als sei es ihre Maschine, ihr Kaffee und ihre Tasse, ein Löffelchen hatte sich auch gefunden und die Zuckerwürfel, deren sie stets drei versenkte, bevor sie ein Viertel der Tasse mit Milch füllte.

      „Na“, grüßte Martin, nicht recht wissend, ob er stehen bleiben oder sich setzen sollte.

      „Hallo. Setz dich doch“, sagte sie, wies auf einen Stuhl und nun wusste er endlich, was er sollte.

      „Was treibt dich her“, erkundigte er sich.

      „Ich muss einfach hin und wieder nach meinem Erstgeborenen sehen“, spöttelte sie.

      „Soweit ich weiß, bin ich auch dein Einziggeborener…“

      „Ja. Wäre dir Letztgeborener lieber gewesen?“

      „Das ist sicher nicht der einzige Grund…“

      „Nein. Bertolt ist im Krankenhaus. Ich war in der Gegend.“

      „Was hat er“, frage Martin regungslos.

      „Das Übliche. Herz.“

      „Gut.“

      „Interessiert dich doch sowieso nicht“, blaffte sie ihn an. Martin hasste seine Mutter für ihre Ruppigkeit und ihre Staccato-Sätze, die sie abfeuerte wie Maschinengewehrsalven.

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