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könnte, die in der wissenschaftlichen Literatur über Schizophrenie und Depression so nicht zu finden ist.

      Wer mit meinen Darlegungen nichts anfangen kann, dem möchte ich Goethes Satz in Erinnerung rufen: „Du bist dir nur des einen Triebs bewusst, oh lerne nie den anderen kennen.“ Er hat offensichtlich den anderen noch nicht kennen gelernt. Ich wünsche es keinem, aber man wird nicht gefragt. Es ist ein Naturereignis. Wer sein Leben gestalten kann, ohne damit in Berührung zu kommen, den möchte ich nur beglückwünschen. Was ich schreibe ist in erster Linie für den gedacht, dem das nicht mehr gelingt, der sich dieser unausweichlichen Bedrängnis gegenübergestellt sieht.

      Ich möchte kurz für das Verständnis wichtige biographische und psychologische Hintergründe darlegen und meine Entwicklung beschreiben.

      Autobiographische Einblicke

      Wenn ich meine Lebensintention auf eine Kurzformel bringen wollte, würde ich mich im Kern als religiösen Sucher bezeichnen. Die zentrale Devise meines Lebens ist in dem Satz Jesu enthalten: „Suchet zuerst das Reich Gottes, und alles andere wird euch dazugegeben werden.“ Da ich im katholischen Oberbayern aufgewachsen bin, war ich als Kind überzeugt, dass es eigentlich den meisten Menschen darum ging, denn das war ja die Botschaft Jesu. Die vielen Menschen, die in die Kirche gingen, würden wohl seiner Botschaft zu folgen versuchen, so dachte ich. Erst allmählich begriff ich, dass es den meisten recht ferne lag, die Botschaft Jesu so ernst zu nehmen und sie in ihrem Leben umzusetzen. Für mich stellte sich als junger Mensch konsequenterweise die Frage, ob ich diesen Weg nur in einem Kloster oder auch in einem normalen Leben verwirklichen kann und mir ahnte, dass man dem konkreten Leben nicht ausweichen dürfe, dass man seinen Glauben in diesem konkreten Lebensalltag unter Beweis stellen müsse.

      Ich war, wie ich annehme, dass es eigentlich jeder Mensch ist, auf der Suche nach Erfüllung. Ein erstes Schlüsselerlebnis in diesem Verlangen nach Glück lag schon in meiner Kindheit, etwa in meinem 7. Lebensjahr. Als ich mir zu Weihnachten eine Mundharmonika wünschte und kaum zu hoffen wagte, sie auch zu bekommen – es war die Nachkriegszeit - und ich meinen Augen nicht traute, als sie unter dem Weihnachtsbaum lag, empfand ich mich als den glücklichsten Menschen der Welt. Ich konnte es nicht begreifen, als wenige Wochen später die Mundharmonika achtlos in der Ecke lag. Wie konnte es sein, dass etwas, was man sich so sehnlichst wünscht, auf das man sich hinstreckt und das für einen den Inbegriff an Glückseligkeit darstellte, nach so kurzer Zeit so bedeutungslos geworden war? Was war da schief gelaufen? Diese Frage wurde für mich zu einem großen Rätsel des Lebens. Später las ich bei Sigmund Freud, dass das Glücksverlangen illusorisch sei; er lieferte auch gleich Verhaltensweisen dazu, wie man damit umgehen sollte: Man sollte die Glückserwartung nicht zu hoch hängen, sollte nicht nur von einem Gebiet das Glück erwarten, sondern klug verteilen, so wie man seine Aktien streuen soll, damit beim Zusammenbruch eines Unternehmens nicht gleich alles verloren wäre, und man soll sich klar machen, dass die Glückserwartung sowieso eine Illusion sei und überhaupt nicht erfüllbar wäre. Das habe ich nie glauben können. Gäbe es Durst, wenn es kein Wasser gäbe oder Hunger, wenn es nichts gäbe, was ihn stillen könnte? Ich kann es mir nicht vorstellen; mir liegt es viel näher zu glauben, dass wir einfach an der falschen Stelle suchen. Mich hat immer schon nachdenklich gemacht, dass die Selbstmordzahl nicht in den armen Ländern am höchsten ist, sondern in den reichen. Wir glauben doch alle, dass wenn wir all die schönen Dinge haben, die das Leben angenehm, bequem und leicht machen, wir dann umso glücklicher seien. Warum erstrebten wir sie denn? Es wäre nicht verwunderlich, dass Menschen verzweifeln, die nicht wissen, wovon sie am nächsten Tag leben und wovon sie ihre Kinder satt bekommen sollen – aber gerade hier zeigt sich ein Überlebenswille, der denen scheinbar fehlt, die im Überfluss leben. Ist das nicht eine verkehrte Welt?

      Was läuft eigentlich schief in dem Unternehmen „Mensch sein“, dass wir nicht fähig sind, in Frieden miteinander zu leben, dass langjährige Partnerschaften kaum noch möglich, von vielen überhaupt nicht mehr gewünscht sind, dass wir unfähig sind, glücklich zu werden?

      Später suchte ich diese Erfüllung – ich glaube, auch darin keine Ausnahme zu sein -, in der Sexualität. Aber auch da merkte ich, dass die Erwartung – die absolute Erfüllung -, ausblieb, und mir wurde klar, dass sich die Erwartung nicht auf die konkrete Frau richtet, sondern auf ein Bild der Frau, auf etwas, wofür die Frau nur Symbol ist. Die Frau repräsentiert das Weibliche als solches, und davon ist der Mann fasziniert. Das Weibliche fasziniert und wird in einer Frau erlebt. Es ist das, was Jung mit Anima bezeichnet. Als ich darüber bei Jung gelesen habe, war es mir völlig klar. Die Anima lockt, verführt und lässt einen enttäuscht zurück. Dieses Spiel wiederholt sich tausendfach, bis man begreift, dass das, wovon der Mann fasziniert ist, in der eigenen Seele liegt, und deshalb kann die Erfüllung von keiner konkreten Frau kommen. Dass mir das schon früh klar wurde, hat mich sicher davor bewahrt, eine ähnliche Dummheit zu begehen, wie sie vielen Männern passiert, die in einer festen Partnerschaft leben. Ich bin sicher, dass mir dieses Wissen geholfen hat, nicht diesen Fehler zu begehen; dennoch war es ein harter Kampf, sich das Verlangen nach anderen Frauen aus dem Herzen zu reißen. Aber mir war absolut klar, dass, wenn ich Erfüllung erlangen wollte, das nur dadurch zu erreichen war. Bei Jung kann man nachlesen, welch ungeheure moralische Kraftanstrengung es bedeutet, sich mit der Anima auseinander zu setzen und sie als das zu erkennen, was sie ist: nämlich ein Urbild in der eigenen Seele. Damit muss sich das Verlangen nicht mehr auf eine Frau richten, sondern auf das Einswerden mit der eigenen Seele. Aber wie ist das zu bewerkstelligen?

      Es wird nicht verwundern, dass ich als Beruf Religionslehrer wählte, eine Möglichkeit, die sich in den 60er Jahren erst allmählich für Laientheologen eröffnete. So konnte ich das, wovon ich überzeugt war, an junge Menschen herantragen in einer Zeit, in der die Religion zunehmend aus dem öffentlichen Leben und Bewusstsein entschwand.

      Ich war wohl kein sehr guter katholischer Religionslehrer, jedenfalls nicht in den Augen der kirchlichen Obrigkeit. Schon früh (mit etwa 17 Jahren) beschäftigte ich mich mit Zen-Buddhismus, fühlte mich von Meister Eckehart – der von der Kirche exkommuniziert wurde - angesprochen und später vom Taoismus. Mein Horizont war damit echt katholisch, das heißt allumfassend. Es ging mir ganz zentral um die unmittelbare Beziehung zu Gott, und Anleitungen dazu fand ich im Zen-Buddhismus mehr als im traditionellen Christentum. Sehr wohl aber fand ich im Neuen Testament gleiche Elemente, wie sie auch in anderen Religionen, gerade in den mystischen Richtungen, zu finden waren. Das „Es schießt“ von Eugen Herrigel in der „Kunst des Bogenschießens“ war für mich gleichbedeutend mit „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ eines Paulus. Diesen Zustand zu erreichen, war mir Lebensziel.

      Ich bewunderte Zen-Schüler, die ihr Leben damit verbrachten, tagaus tagein vor einer Wand zu sitzen und sich dem Lösen von Koans zu widmen. Ich war überzeugt, dass es dabei um die Überwindung unseres normalen Denkens ging, dass ein Durchbruch zum wahren Sein nur erfolgen könnte, wenn das normale Bewusstsein überstiegen würde.

      Mit Koans aber konnte ich mich nicht anfreunden, ich versuchte es mit Meditations- und Konzentrationsübungen und merkte, wie unfähig ich war, auch nur eine Sekunde „gedankenlos“ zu sein. Immer stand ich im Mittelpunkt des Handelns, ich war es, der die Absicht hatte, absichtslos zu werden und damit war immer ein Teil meines Geistes außerhalb. Es war immer ein Beobachter vorhanden, der mich anhielt, antrieb und mahnte, wohl das, was S. Freud als Über-Ich bezeichnen würde. Und der Beobachter stand immer außerhalb des Vorgangs und mir war klar, dass volle Konzentration nur zu erreichen war, wenn es keinen Beobachter mehr gäbe. Aber wie war das zu erreichen?

      Ich bin sicher ein introvertierter Typ (nach C. G. Jung), d. h. mich interessierte das Innenleben viel mehr als das Außen, die Welt. Der Introvertierte ist sehr mit sich beschäftigt, die Welt und der andere Mensch interessieren ihn nicht wirklich. Ich kenne keine Untersuchung, die den Anteil der Introvertierten an der Schizophrenie aufzeigt;

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