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Winnetou Band 1. Karl May
Читать онлайн.Название Winnetou Band 1
Год выпуска 0
isbn 9783742772329
Автор произведения Karl May
Жанр Языкознание
Серия Winnetou
Издательство Bookwire
ich zu gehen wünsche. Er weigerte sich nicht, und wir wurden jetzt auch ich noch freundlicher entlassen,
als der Empfang gewesen war.
Als wir dann so weit gegangen waren, daß man uns von dem Bureau aus nicht mehr sehen konnte, blieb
Henry stehen, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte, indem sein Gesicht in heller Genugtuung
leuchtete:
»Sir, Mann, Mensch, Jüngling, Greenhorn, aber habt Ihr mir eine Freude gemacht! Ich bin ja förmlich
stolz auf Euch!«
»Warum?«
»Weil Ihr meine Empfehlung und die Erwartung dieser Leute noch übertroffen habt!«
»Empfehlung? Erwartung? Ich verstehe Euch nicht.«
»Ist auch nicht nötig. Die Sache ist aber sehr einfach. Ihr behauptetet kürzlich, etwas von der
Feldmesserei zu verstehen, und um zu erfahren, ob dies etwa nur Flunkerei gewesen sei, habe ich Euch zu
diesen Gentlemen, die gute Bekannte von mir sind, geführt und Euch von ihnen auf den Zahn fühlen
lassen. Es ist ein sehr gesunder Zahn, denn Ihr habt Euch höchst ehrenvoll herausgebissen.«
»Flunkerei? Mr. Henry, wenn Ihr mich solcher Dinge für fähig haltet, werde ich Euch nicht mehr
besuchen!«
»Laßt Euch nicht auslachen! Ihr werdet mich alten Kerl doch nicht der Freude berauben, die mir Euer
Anblick macht. Wißt schon, wegen der Ähnlichkeit mit meinem Sohne! Seid Ihr vielleicht einmal beim
Pferdehändler gewesen?«
»Täglich des Morgens.«
»Und habt den Rotschimmel geritten?«
»Ja.«
»Wird etwas aus dem Pferde?«
»Will es meinen. Nur bezweifle ich, daß der, welcher es kauft, so gut mit ihm auskommen wird wie ich.
Es hat sich nur an mich gewöhnt und wirft jeden Andern ab.«
»Freut mich, freut mich ungeheuer; es will also, wie es scheint, nur Greenhorns tragen. Kommt einmal
mit durch diese Seitenstraße! Weiß da drüben ein famoses dining-house, in welchem man sehr gut speist
und noch besser trinkt. Das Examen, welches Ihr heut so vortrefflich bestanden habt, muß gefeiert
werden.«
Ich konnte Henry nicht begreifen; er war wie umgetauscht. Er, der einsame, zurückhaltende Mann, wollte
in einem dining-house essen! Auch sein Gesicht war ein anderes als gewöhnlich, und seine Stimme klang
heller und froher als sonst. Examen hatte er gesagt. Das Wort fiel mir auf, konnte hier aber ein ganz
bedeutungsloser Ausdruck sein.
Von diesem Tage an besuchte er mich täglich und behandelte mich wie einen lieben Freund, den man
bald zu verlieren befürchtet. Aber einen Stolz über diese Bevorzugung ließ er in mir nicht aufkommen; er
hatte stets einen Dämpfer bereit, welcher in dem fatalen Wort Greenhorn bestand.
Sonderbarerweise hatte sich zu derselben Zeit auch das Verhalten der Familie, in der ich wirkte,
verändert. Die Eltern hatten sichtlich mehr Aufmerksamkeit für mich, und die Kinder waren zärtlicher
geworden. Ich überraschte sie bei heimlichen Blicken auf mich, die ich nicht verstehen konnte; ich hätte
sie liebevoll und auch bedauernd nennen mögen.
Ungefähr drei Wochen nach unserm sonderbaren Besuche im Bureau bat mich die Lady, am Abend, der
heut für mich ein freier war, nicht auszugehen, sondern das supper mit der Familie zu nehmen. Als Grund
dieser Einladung gab sie an, daß Mr. Henry kommen werde, und außerdem habe sie zwei Gentlemen
geladen, von denen der eine Sam Hawkens heiße und ein berühmter Westmann sei. Ich als Greenhorn
hatte diesen Namen noch nicht gehört, freute mich aber doch darauf, den ersten wirklichen und sogar
berühmten Westmann kennen zu lernen.
Da ich Hausgenosse war, brauchte ich nicht bis Punkt zum Glockenschlage zu warten, sondern stellte
mich einige Minuten vorher in dem dining-room ein. Dort sah ich zu meiner Verwunderung nicht das
gewöhnliche Arrangement, sondern es war wie zu einem Feste gedeckt worden. Die kleine, fünfjährige
Emmy hatte sich allein in dem Raume befunden und den Finger, um zu naschen, in das Beerenkompott
gesteckt. Sie zog ihn, als ich eintrat, schnell zurück und wischte ihn spornstreichs an ihrem hochblonden
Frisurchen ab. Als ich nun mit strafendem Winke den meinigen erhob, kam sie auf mich zugesprungen
und flüsterte mir einige Worte zu. Um ihr Vergehen gut zu machen, teilte sie mir das Geheimnis der
letzten Tage, welches ihr das kleine Herzchen fast abgedrückt hatte, mit. Ich glaubte, falsch verstanden zu
haben; sie aber wiederholte auf meine Aufforderung dieselben Worte: »Your farewell-feast.«
Mein Abschiedsschmaus! Das konnte doch unmöglich sein! Wer weiß, durch welches Mißverständnis das
Kind auf diese jedenfalls irrige Meinung gekommen war. Ich lächelte darüber. Dann hörte ich Stimmen
im Parlour; die Gäste kamen, und ich ging hinüber, sie zu begrüßen. Sie waren alle drei zu gleicher Zeit
gekommen, auf Verabredung hin, wie ich später erfuhr. Henry stellte mir einen jungen, etwas stumpf und
ungelenk aussehenden Mann als einen Mr. Black und dann Sam Hawkens, den Westmann, vor.
Den Westmann! Ich gestehe offen zu, daß ich, als mein Auge verwundert auf ihm ruhte, wohl nicht sehr
geistreich ausgesehen haben mag. Eine solche Gestalt hatte ich denn doch noch nicht gesehen; später
freilich habe ich noch ganz andere kennen gelernt. War der Mann schon an sich auffällig genug, so wurde
dieser Eindruck dadurch erhöht, daß er hier in dem feinen Parlour ganz genau so stand, wie er draußen in
der Wildnis gestanden haben würde, nämlich ohne die Kopfbedeckung abzunehmen und mit dem
Gewehre in der Hand. Man denke sich folgendes Äußere:
Unter der wehmütig herabhängenden Krempe eines Filzhutes, dessen Alter, Farbe und Gestalt selbst dem
schärfsten Denker einiges Kopfzerbrechen verursacht haben würden, blickte zwischen einem Walde von
verworrenen, schwarzen Barthaaren eine Nase hervor, die von fast erschreckenden Dimensionen war und
jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. Infolge dieses gewaltigen
Bartwuchses waren außer dem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgane von den übrigen
Gesichtsteilen nur die zwei kleinen, klugen Äuglein zu bemerken, welche mit einer außerordentlichen
Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit einem Ausdrucke von schalkhafter List auf mir ruhten.
Der Mann betrachtete mich ebenso aufmerksam wie ich ihn; später erfuhr ich den Grund, warum er sich
so für mich interessierte.
Diese Oberpartie ruhte auf einem Körper, welcher bis auf die Knie herab unsichtbar blieb und in einem
alten, bockledernen Jagdrocke stak, der augenscheinlich für eine bedeutend stärkere Person angefertigt