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du weißt es?“

      „Sprich mit Roswitha Brun. Sie kennt Link besser als irgendjemand sonst.“

      „Sebastians Freundin?“

      „Oder hol dir einfach den Jungen und lass alles Weitere auf sich beruhen.“

      Was Link sich vorstellt (aber dann doch nicht tut, vorerst)

      Tag 4 der Entführung.

      Was soll ich tun, was kann ich machen? Was als Abenteuer begann, verwandelt sich in etwas Langweiliges und Bedrückendes. Ich sitze in meinem abgewinkelten Großraum-Wohnzimmer und rauche zum ersten Mal seit meiner Jugend wieder Joints, um die aufkommenden Dämonen in Schach zu halten. Großer Fehler, Sebastian entführt zu haben, großer Fehler, keinen Plan zu haben, großer Fehler, unterschätzt zu haben, was es bedeutet, jemanden im Haus zu haben, der ununterbrochen nachdenkt und dadurch alles vergiftet. Als säße ein monströses Ungeziefer in meinem Keller, man kann über nichts anderes mehr nachdenken als darüber, dieses Ding loswerden zu müssen, egal wie. Diese Ausdünstungen, dieser Angstschweiß, diese Feuchtigkeit, diese Gerüche - dieses riesige, lebendige Stück Fleisch in meinem Keller! Das, wie alles Leben, unglaublich zäh ist, nicht kaputtgeht, nicht den Geist aufgibt, beziehungsweise erst nach einem langen, furchtbaren Kampf.

      Meine Tage mit Sebastian, jeder Tag düsterer als der davor. Nach der ersten Ansprache, dem ersten Post, dem ersten Schlag in die Fresse, schien sich eine Welt aufzutun, die man mit Vorfreude betrat und der Hoffnung, dass sich alles wendet, wenn nicht zum Guten, dann doch zum Besseren.

      Link sieht Sebastian drei oder vier Stunden am Tag, er muss sich überwinden, hinunterzusteigen in den Keller und sich diesem blöden, fragenden Blick auszusetzen, der manchmal panisch wirkt (aber nicht panisch genug), manchmal trotzig (aber nicht trotzig genug). Sebastian isst das Zeug, das Link von 1-a-Cateringfirmen herbeischaffen lässt, und wenn er ihm den Schlüssel zuwirft, um sich loszumachen, damit er aufs Klo kann oder zum Duschen, versucht er nicht, das zu nutzen für einen Fluchtversuch. Link hat eine Waffe in der Hand, ja, aber trotzdem! Treudoof und lammfromm folgt Sebastian Links Anweisungen, eine traurige Gestalt ohne Mumm in den Knochen. Wenn man ihm frische Kleidung hinwirft, zieht er sich bedrückt und kleinlaut an. Die Fitnessclub-Muskeln nichts anderes als ein Witz, schön anzusehen, aber im Grunde komplett unbrauchbar. Sebastians Bauchmuskeln sehen aus wie ein dekoratives Element und kein bisschen männlich. Wenn Link den Jungen nackt in der Dusche sieht, stellt er sich vor, wie sie es mit Roswitha getrieben haben. Erst er, Sebastian, dann er, Link, und dann wieder Sebastian. Unter dem ganzen Material, das Link seit zwei Jahren immer manischer anhäuft, Small Data for a Big Idea, befindet sich auch ein heimlich aufgenommenes Video, das ihn beim Sex mit Roswitha zeigt.

      Jedes neue Dokument fühlt sich an wie eine Waffe. Aber Link weiß nicht, was ist, wenn er Sebastian, der von der Affäre seiner Freundin nichts ahnt und nichts weiß und überhaupt so wenig Ahnung hat von allem, worauf es ankommt, dieses Video zeigt. Oder dabei ist, wenn Link es ins Netz stellt, wo es irgendwo verkümmert oder eine Reise antritt, geteilt wird, irgendwo auftaucht, viral wird! Allein der Gedanke, dass Roswithas nackter Körper von dem Moment an, an dem er das Video irgendwo im Netz platziert, grundsätzlich auffindbar ist, macht Link mehr an als der Sex, den er mit Roswitha hatte. Sie zu bumsen, war etwas herzustellen, was dann auf der Welt war. Kann sein, dass das Video ewig schläft wie eine Krankheit, die niemals ausbricht; kann sein, dass irgendwann irgendwer Roswithas Vater einen Link schickt, schauen Sie, Ihre Tochter, die Schlampe.

      Schieß ihm ins Knie oder hau ihm noch eine rein.

      Was lässt sich aus Druckstellen, Abschürfungen und blauen Flecken für den Tathergang ableiten? Sebastian auf dem Seziertisch, „schauen Sie sich seine Füße an, was hat das zu bedeuten?“

      Ich bin offen für alles, was mich stoppt, bis zur letzten Sekunde, meine Pistole an Sebastians Schläfe, ich werde ihn töten, wenn nichts passiert, was mich davon abhält.

      Zum Beispiel das Telefon in meiner Hand. Ich wehre mich nicht dagegen, die Polizei anzurufen, ich warte, ob der Impuls groß genug wird, es tatsächlich zu tun. Wie sie in meinem Haus auftauchen, zwei der Beamten gehen in den Keller, und als klar wird, dass da tatsächlich jemand eingesperrt ist, der von mir entführt worden ist, verliere ich umgehend die Verfügungsgewalt über mich. Wow, es ist wirklich real, denke ich und wehre mich pro forma, keiner hat etwas dagegen, die Beamten sind dankbar, ihr für solche Situationen gelerntes Programm in Anwendung zu bringen, ich bin nicht bewaffnet, von mir geht keine Gefahr aus. Sie kommen jetzt mit ins Präsidium, das lieben sie, diesen Ernst, mit dem sie einen Kapitalverbrecher (von dem keine Gefahr ausgeht) verhaften, ich kenne das aus meinem eigenen Beruf, wie warm es sich anfühlt, professionell zu sein, irgendeine Scheißverhandlung, bei der es eigentlich um gar nicht viel geht, aber wir setzen einen bestimmten Blick auf und lehnen uns auf unserem schweineteuren Bürostuhl sanft zurück, unser schönstes Ich. Okay, ich bin verhaftet, und das ist doch schon mal was, nämlich was anderes, etwas ganz anderes. Es beginnt eine Geschichte, die ich eigentlich für Sebastian vorgesehen hatte, meine Geschichte für Sebastian war: Das Entführungsopfer, das einiges durchmachen muss, dem dafür aber ein neues Leben geschenkt wird, und zwar eines, das in den Medien stattfindet. Du kannst dich nicht mehr nur im Spiegel betrachten, sondern auch in der Zeitung und in Magazinen und auf Facebook. Die Reporter verfolgen dich und du darfst dich wegducken, du darfst so tun, als sei dir das lästig, du darfst durch einen Hintereingang in das Gerichtsgebäude und dir beim Aussteigen aus dem Wagen die Hand vors Gesicht halten, weil ein paar Photoreporter ja dennoch da sind und den entführten Millionärssohn, der auf Facebook postete und sein zerschlagenes Gesicht beinahe in Echtzeit der Öffentlichkeit präsentierte, ablichten wollen. Psychologen beantworten vor Gericht die Frage, was die Entführung in dir angerichtet hat. Hat es etwas zerstört? Und hast du eine Mitschuld, war die ganze Entführung - eine sensationelle Wende im Prozess - eine abgekartete Sache, um sich an dem feisten Vater zu rächen? Es ist deine Entscheidung, ob du dich nach der Verhandlung zurückziehst und deine Wunden leckst (und dann doch ein paar wenige Leute exklusiv an dich heranlässt, die das sehr zu schätzen wissen und davon berichten werden) oder ob du den Weg in die Öffentlichkeit suchst. Was immer du tust in den kommenden Wochen und Monaten, es ist ein Geschenk, das ich dir gemacht habe.

      Aber die Dinge, wenn man sie sein lässt, können sich auch ganz anders entwickeln. Wenn du dich einem Algorithmus übergibst und der als die richtige Lösung errechnet, dass du dich stellst. Wir füttern die Maschine, die entscheidet, was wir tun. Ob ich heil aus der Sache herauskomme, was ein Leichtes wäre, ein Kinderspiel, nach all den Vorbereitungen, die ich getroffen habe, oder ob ich erst gefasst und dann an die Öffentlichkeit ausgeliefert werde. Der Absturz eines erfolgreichen Managers, wie es dazu kommen konnte, Wie krank ist Hubert Link wirklich? Journalisten, die in meiner Vergangenheit wühlen, Psychologen, die mich untersuchen und denen ich alles erzähle. Drei Jahre Knast, und wenn ich rauskomme werfe ich ein Buch auf den Markt, das ich in der Haft geschrieben habe.

      Du musst dein Leben ändern! Das geht klein und langsam und beschwerlich. Oder es geht groß und schnell und über Nacht.

      Wie krank bin ich wirklich? Nicht sehr, nicht völlig, solange ich in der Lage bin, diesen sozialen Medienstrom in meinem Kopf immer wieder zu stoppen und für Ordnung zu sorgen. Morgen wird der entscheidende Tag, dachte Link.

      Aber es ging schneller. Als Link auf das Display neben der Tür schaute, um zu sehen, wer am Tor seiner Villa klingelte, sah er eine gedrungene Gestalt mit einem abstrus ernstem Blick. Link zögerte keinen Augenblick.

      „Kommen Sie rein, Dallanski.“

      Wie ist es Sebastian in der Zwischenzeit ergangen?

      Gestern das Verrückte: Sebastian darf ohne Aufsicht auf Facebook posten. Allerdings hat Link alle Zugangsdaten und die Ansage lautet: Wenn Sebastian verrät, wo er sich aufhält, wird er umgehend erschossen.

      „Das glauben Sie selber nicht.“

      „Doch, das glaube ich schon.“

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