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wir alles schaffen."

      Gis ertrug ihre Umarmung, presste sie ebenso fest an sich, wie sie sich an ihn. Sein Herz klopfte wie wild. Was machte das Weib mit seinem Körper? Was für ein Gefühl durchzog ihn von den Spitzen der Haare bis zu denen der Zehen?

      „Sag, dass es nicht wahr ist“, bettelte er.

      "Es ist nicht wahr. Du hast den Franken erschossen. Jetzt müssen wir aber wirklich eilen", keuchte Kaya unter der festen Umarmung. Sie kreuzte ihre Finger bei der Lüge. Rechne es mir nicht zu, bat sie ihre Göttin inständig.

      "Das Reh nehmen wir auf dem Rückweg mit. Und sammle die Pfeile ein." Kaya triumphierte. Sie konnte den Kleinen formen. Und Gis fühlte sich erleichtert, tat, wie ihm geheißen. Kurze Zeit später lagen Bögen und Pfeile in ihrem Versteck, saßen der Junge und das Mädchen, der eine erste Männlichkeit fühlende Gis und die überglückliche Kaya auf der schwarzen Stute, er vorn, sie dahinter. Sie wusste, man durfte einen Mann nicht zu sehr herausfordern. Und er empfand ihre Nähe plötzlich nicht mehr bedrohend, vielmehr Begehr erweckend. Als sie ihre Zehen auf seine Fußrücken legte, ließ er sie gewähren, drückte nur leicht die Fersen in der Stute Flanken, sie zu schnellem Schritt bewegend. Doch im hintersten Winkel seiner Seele bohrte der Zweifel. Hatte er den Franken nicht doch verfehlt, erst Kayas Pfeil das Werk vollendet?

      "Ihr seid spät dran", empfing sie Frysunth.

      "Mutter hatte das Essen nicht eher fertig", log Gis. Und der Ziehvater glaubte ihm. Allein das Wort Mutter rührte sein Herz, zeigte es doch die Verwurzlung des Wahlsohnes in seiner Familie.

      "Wenn wir Altje das Reh geben, wird sie sich sicher freuen und uns unser spätes Kommen verzeihen", versuchte Gis vordergründig Kaya, vor allem aber sich selbst zu beruhigen.

      "Da wäre ich mir nicht sicher. Außerdem würde sie nachfragen, wie wir es erlegen konnten. Was willst du dann sagen? Willst du dann mein", Kaya stockte, überlegte kurz, bevor sie weitersprach, "unser Geheimnis verraten?"

      Nein, das wollte Gis nicht. Doch sollten sie die Beute, die so hart erkämpfte Beute, die gegen alle seine Vorsätze und ohne Zwang getötete Beute verkommen lassen?

      "Was schlägst du denn vor?", fragte er und drosselte den Schritt des Reittieres, als wolle er Kaya Zeit zum Nachdenken geben.

      "Wir schenken es Tahnker." Kayas Plan schien bereits festzustehen. "Zum Dank soll er dir aus dem Fell Schuhe für den Winter machen, schöne neue Schuhe, um die dich Tammo beneiden wird."

      Winter? Daran hatte Gis noch gar nicht gedacht. Ja, im Winter brauchte er warme Kleider und natürlich Schuhe. Früher sorgten seine Mutter und der Großvater dafür, dass er nicht fror. Doch die waren gestorben. Wie konnte er nur so einfach voraussetzen, dass auch Frysunth und Altje für ihn sorgten? Andererseits musste er ja auch begründen, warum gerade Tahnker ihm Schuhe schenkte.

      "Und damit keiner dumme Fragen stellt, erzählen wir, du hättest während des großen Festes für Tahnker gearbeitet. Die Lüge wird keinem auffallen. Beim großen Fest besaufen sich die Erwachsenen so, dass sie fast alles vergessen. Wirst es ja bald erleben." Kaya spuckte auf den Boden. Ihr war Erntedank ein Graus. Wie konnte man sich nur so völlig unkontrolliert und wie ein kleines Kind benehmen? Sie würde wie jedes Jahr weder Met noch Bier annehmen, den Inhalt ihres Krugs wie immer unbemerkt im Erdreich versickern lassen. Und da sie bei Gis eher das Gegenteil befürchtete, schließlich waren seine Stiefbrüder das leuchtende Beispiel, wie Jungen völlig aus der Fassung geraten konnten, besonders wenn die Alten es ihnen vormachten, schien es ihr überaus willkommen, ihn von dem Fest fernzuhalten. Tahnker würde ihre List schon unterstützen.

      Der Sommer wich einem goldenen Herbst. Die Striemen auf Gis Rücken, gezogen von Frysunths Gürtel, als Strafe für die Lüge, überwacht von Altjes strengem Blick, sie fürchtete nicht unbegründet, der Gatte könne zu viel Mitleid mit dem Findelkind haben, zu wenig Strenge auf seine Erziehung verwenden, jene über Tage brennenden, erst roten, später grünlich violetten Streifen waren kaum mehr zu sehen, taten längst nicht mehr weh. Weh tat allein die Erinnerung. Es waren gewiss nicht die ersten Schläge, mit denen Erwachsene versuchten, Gis zu erziehen. Es waren allerdings mit Abstand die Härtesten. Doch Gis hatte nicht geschrien, hatte Kaya gezeigt, dass er hart sein konnte. Und Kaya hatte seinen Rücken gepflegt, mit der kühlenden Salbe be-, mit sanfter Hand darüber gestrichen. Und noch etwas tat sie für ihn. Sie hielt Tammo im Zaum, den überheblichen Bruder, dem das neue Verhältnis seiner Schwester zu dem dahergelaufenen Sachsenjungen nicht verborgen blieb. Sobald er auch nur ein zündelndes Wort sagen wollte, spien ihre dunkelbraunen Augen heiße Flammen und ließen Tammo schweigen. Den Grund kannten nur die Schwester und er. Er könnte sich noch täglich dafür ohrfeigen, den nassen Fleck auf seinem Lager nicht besser verborgen, dem schwarzhaarigen Biest ein solch starkes Argument geliefert zu haben. Doch er konnte es auch nicht unterlassen. Zu stark kochten seine Hormone, auch wenn er nachher im Boden hätte versinken wollen, zumal wenn die Schwester, die diesen Augenblick zu riechen schien, ihn mal wieder beim Beseitigen der Spuren ertappte. Gis wusste davon natürlich nichts. Er hielt Kaya noch immer für verbunden mit dunklen Mächten. Allein er fürchtete das weniger, je mehr sein Körper die Berührungen der jungen Frau genoss. Und es gab jemanden, der bestärkte ihn in seinen positiven Gefühlen.

      "Du hütest einen Schatz", sagte Tahnker, wenn er mit Gis über Kaya sprach. "Bewahre ihn gut."

      Die neue Vertrautheit zwischen den Kindern, zwischen Gis, den Frysunth noch immer als seinen Erben ansah, der für Altje allerdings von geringem Stande war, ein Problem, welches zwischen den Eheleuten unausgesprochen aber fast täglich spürbar stand, die Vertrautheit also zwischen dem Sachsenjungen und seiner Schwester Kaya, blieb nicht lange unbemerkt. Nicht Tammo war es, der die Sinne der Stiefeltern für das wachsende Pflänzchen sensibilisierte. Er schwieg lieber, wusste er sich doch von Kaya durchschaut und erpressbar. Es war die Unbekümmertheit der beiden, die sich nicht als Bruder und Schwester, sondern als vom Schicksal zusammengeführte Leidensgenossen sahen. Mochte es anfangs angehen, dass die in Heilkunde erstaunlich erfahrene Kaya, ihre Mutter hatte ihr dieses Wissen vermittelt, sich um Gis Wunden kümmerte, so beäugte Altje die Fürsorge der Kleinen für den auf die Pueritia zusteuernden Knaben nach einiger Zeit mit großer Skepsis. Anfangs tat er ihr leid. Frysunth hatte wahrlich hart zugeschlagen, seiner Enttäuschung sichtbar Ausdruck verliehen. Später hingegen schien die Pflege der verheilten Wunden immer mehr Vorwand für eine nicht tolerable Beziehung unter Geschwistern zu sein. Und da Altje die Organisation des täglichen Lebens oblag, schickte sie ihre vier Jungs, selbst Tammo, der sich stets für etwas Besseres hielt, kam gegen ihren Befehl nicht an, zur Ernte auf die Felder, dass ihnen kaum ausreichend Gelegenheit zum Essen und Schlafen blieb. Kaya wiederum verbrachte die Zeit vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang gemeinsam mit Altjes leiblichen Töchtern beim Sammeln der reifen Früchte des Waldes, bei der Herstellung eines ausreichenden Holzvorrats für den bevorstehenden Winter und bei der Verarbeitung des Ernteguts. Wenn dann schließlich alle unter dem gemeinsamen Dach schliefen, blieb die Trennung zwischen Mann und Weib streng gewahrt. Eine Armlänge mindestens musste der Abstand betragen. So kam es, dass Kayas Höhle verwaiste, Gis die junge Frau nur mehr als Schatten in der Nacht zu Gesicht bekam, die Gefühle seines Körpers mangels Auffrischung langsam verblassten und das alte Bild der Hexe sich wieder aufdrängte, war es doch seit Generationen im Volke der Sachsen verwurzelt und unter der christlichen Missionierung mit neuer Schande belegt worden. Hexen sollten brennen, wusste Gis. Er erschrak bei diesem Gedanken. Würde auch Kaya ein solches Schicksal bevorstehen? Und was würde aus ihm, brächte man ihn mit ihr in Verbindung? Gis hatte keine Ahnung von den Anordnungen des großen Karl, des Königs der Franken, der für ihn ohnehin eine ferne abstrakte Gestalt blieb. Er wusste nicht, dass dieser bereits im Jahr von Widukinds Taufe den Hexenglauben unter Strafe gestellt hatte. Wie sollte er es auch wissen. Der Herrscher war fern und seine progressiven Ideen auch. Das Wissen der Bauernkinder beruhte vor allem auf den Erzählungen der Alten, auf dem Abschauen ihres Tuns und neuerdings auf dem Wirken christlicher Missionare, die in ihrem Denken von den progressiven Ideen ihres Königs mindestens so weit entfernt waren, wie die von ihnen Bekehrten. Und noch etwas drängte sich Gis auf, wenn er mit seinen drei Brüdern die Halme schnitt und zu Bündeln schnürte, wenn er diese auf dem nackten Rücken schleppte, das noch immer einzige in seinem Besitz befindliche Hemd schonend. Es waren Kayas Worte

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