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warum ausgerechnet das Lieblingskind schon so jung mehrmals ihren Wunschberuf geändert hatte. Gewöhnlich hielten viele Menschen an der Erfüllung ihres Lebenstraums fest. Selbst wenn sie ihn nicht sofort verwirklichen konnten. Manche in ihrem Leben sogar nie. Natürlich gab es Ausnahmen und dass Menschen, etwa aufgrund bestimmter Erlebnisse, ihre Lebensläufe änderten, war nicht ausgeschlossen. Doch das war in seinen Augen nicht die Regel.

      Anja riss ihn aus seinen Überlegungen. „Soll ich die Bilder wieder einpacken?“

      Raphael legte eine Hand auf ihren Arm. „Wenn es Ihnen also nichts ausmacht, würde ich sie gerne gleich mitnehmen.“

      „Kein Problem“, sagte sie erfreut. „Behalten Sie ruhig die komplette Mappe. Schließlich arbeite ich, wie Sie schon wissen, an einer neuen Serie von Bildern.“

      Raphael schob die Mappe neben sich. „Wie sieht es aus? Wollen wir eine Kleinigkeit essen?“

      Anja schüttelte bedächtig den Kopf. „Es tut mir leid, ich bin noch mit meinen Freundinnen im Eberts verabredet. Wir treffen uns dort regelmäßig. Wenn ich mir vorher den Magen vollschlage, kann ich dort den Abend über nichts mehr zu mir nehmen. Vielleicht ein anderes Mal.“

      Raphael zuckte mit den Schultern. „Kein Problem. Kann ich Sie nach Kassel fahren? Oder haben Sie bereits eine Mitfahrgelegenheit? Schließlich werden Sie sich wohl kaum mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Weg in die Stadt machen wollen. Da sind Sie ewig unterwegs.“

      „Danke für das Angebot“, erwiderte Anja erfreut. „Ich hätte mir tatsächlich eine Mitfahrgelegenheit gesucht. Meistens stelle ich mich an die Straße und es dauert auch nicht lange, bis mich einer mitnimmt.“

      „Ist das nicht gefährlich?“, fragte Raphael mit unschuldiger Miene. In Wahrheit konnte er nicht zulassen, dass sie in den kommenden Tagen durch die Gegend trampte. Er musste sich unbedingt eine Erklärung einfallen lassen, um sie zukünftig davon abzuhalten. Wie sollte er sie beschützen, wenn sie sich leichtfertig in Gefahr begab? Bisher hatte sich der Unbekannte mit Drohungen zufriedengegeben. Doch was würde er machen, wenn er bemerkte, dass sein Opfer keine Angst zeigte? Nach Raphaels Erfahrung würde der Täter solange weiter machen, bis er sein Ziel erreicht hatte.

      Anja lächelte müde. „Jetzt klingen Sie schon wieder wie mein Vater. Alle meine Freunde machen das. Und bisher hat keiner von uns schlechte Erfahrungen damit gemacht.“

      Er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe Sie nicht. Einerseits sind Sie hochintelligent, andererseits scheinen Sie in diesem Punkt völlig naiv zu sein. Die Menschen sind nicht immer gut und liebenswürdig.“

      „Das mag sein“, bemerkte Anja spöttisch. „Aber Sie sind ein echter Schwarzseher. Wahrscheinlich laufen in Ihrer Welt lauter Verbrecher herum. Sie vergessen dabei eines, wir leben nicht in den Vereinigten Staaten oder in Mexiko oder in irgendeinem Staat, in dem Verbrechen an der Tagesordnung sind und Gauner von einer korrupten Justiz gedeckt werden.“

      Raphael seufzte. „Fahren wir und ich erzähle Ihnen unterwegs eine Geschichte, eine wahre Geschichte. Vielleicht denken Sie dann ein wenig anders über Ihr leichtsinniges Verhalten.“

      8

      Der Cleaner legte das Fernglas zur Seite, nachdem sein Zielobjekt in den Wagen des Mannes eingestiegen war. Selbst wenn er von seinem Auftraggeber keine entsprechende Mitteilung erhalten hätte, wäre ihm nicht entgangen, dass der Kerl ein Bulle war. Er roch solche Typen meilenweit. Immerhin hatte er das Verhalten von Polizisten häufig genug studiert, um ihre Bewegungen zu erkennen. Der Mann hatte aufmerksam die Umgebung beobachtet und zu keiner Zeit nachlässig gewirkt.

      Wenn er es nicht besser wüsste, würde er ihn für ein Mitglied einer Spezialeinheit halten. Doch nach den Informationen seines Auftraggebers war er lediglich Hauptkommissar der Mordkommission. Vorher sollte er mal beim BKA gewesen sein. Genaueres hatte man ihm nicht verraten. Es war im Grunde für ihn auch nicht so wichtig. Er hatte bisher lediglich die Anweisung erhalten, einige brisante Informationen an sich zu bringen, die sich bei der Zielperson befinden sollte. Dummerweise konnte sein Auftraggeber ihm nicht sagen, in welcher Form die Informationen inzwischen existierten, ob es sich dabei um ein Stück Papier, eine Disc oder einen USB-Stick handelte. Dem Alter der Frau nach würde er eher Letzteres vermuten. Die jungen Menschen besaßen einfach eine stärkere Affinität zu der modernen Technik. Seltsamerweise sollte er die junge Frau nicht eliminieren. Zumindest nicht nach dem jetzigen Stand der Dinge.

      Der Cleaner startete den Wagen, um seine Observation für den heutigen Tag zu beenden. Er konnte im Augenblick noch nichts unternehmen. Das war auch nicht zwingend erforderlich. Immerhin war er mit allen Fähigkeiten ausgestattet, die ein Jäger benötigte. Fähigkeiten, die er sich in den Jahren bei der GSG 9 erworben hatte. Dort hatte er lange Jahre unter seinem wahren Namen gedient, doch nach seinem Ausscheiden war er abgetaucht, um sich seiner wahren Passion zu widmen. Seitdem nannte er sich Michael Schmidt oder manchmal auch Peter Müller. Diese Namen gab es in Deutschland wie Sand am Meer. Sie traten so häufig auf, dass man sich bei Nachforschungen durch einen wahren Berg von männlichen Personen wühlen musste, um denjenigen zu finden, nach dem man suchte.

      Ein kurzes Lächeln huschte über die Lippen des Cleaners. Auch wenn die meisten Menschen es ihm nicht glauben würden, liebte er seinen aktuellen Job, den er freiberuflich ausübte. Er wurde gut bezahlt und kaputt machte er sich dabei auch nicht. Doch in Deutschland gab es meistens zu wenig für ihn zu tun und daher war er mittlerweile international tätig. Sehr häufig führte er dabei Aufträge für den Bundesnachrichtendienst aus, was ihn keineswegs störte. Ihm war es gleichgültig, ob der BND, eine Behörde oder eine Privatperson seine Dienste in Anspruch nahmen. Solange sie den geforderten Preis akzeptierten, war alles in Ordnung.

      Ferner kam diese Arbeit seinem zweiten Hobby, dem Reisen in fremde Länder, sehr entgegen. Es war inzwischen rund fünf Jahre her, dass er seinen letzten Auftrag innerhalb der Grenzen des deutschen Staates erledigt hatte. Zudem hatte er auch seinen ständigen Aufenthaltsort ins Ausland verlagert, an einen Ort, wo man von den Sicherheitsbehörden weitestgehend unbehelligt blieb, solange man ihnen genug Geld zukommen ließ.

      Die Anwesenheit des Bullen während seines aktuellen Auftrags störte ihn im Grunde nicht, würde aber seine Arbeit erheblich erschweren. Dies hatte er auch seinem Auftraggeber zu verstehen gegeben und den Preis, den er üblicherweise verlangte, hochgesetzt. Er würde keineswegs davor zurückschrecken, ihn auch umzulegen, aber in Europa würde der Tod eines Polizeibeamten zu einer verstärkten Jagd nach dem Täter führen. Außer er verstand es, das Ableben des Mannes als Unfall hinzustellen. Doch dies würde nicht einfach sein. Jedenfalls brauchte er sich vorerst keine Gedanken darüber zu machen. Vorrangig musste er die Unterlagen finden und an sich bringen. Man hatte ihm aber unmissverständlich zu verstehen gegeben, im Notfall und wenn die verschwundene Datei nicht aufzutreiben sein sollte, seine Zielperson für immer zum Schweigen zu bringen. Sollte er jedoch auf diese finale Maßnahme zurückgreifen müssen, war es hilfreich, wenn sein Auftraggeber für eine Ablenkung sorgte, um den Kerl außer Reichweite der jungen Frau zu locken. Oder er musste sich einen anderen Plan überlegen. Die erste Variante gefiel ihm eindeutig besser. Und so wie er die Sache einschätzte, würde sich der Kommissar in den kommenden Tagen zu häufig in der Nähe der Frau aufhalten.

      Leider musste er sich ihr nähern, um das Versteck des Objekts zu finden. Sein Auftraggeber ging von der festen Überzeugung aus, es sei unter den persönlichen Sachen der jungen Frau.

      Schmidt würde daher als Erstes das Zimmer der Zielperson durchsuchen, um sicherzugehen, dass sich die Unterlagen nicht dort befanden. Dies war eindeutig noch der leichteste Teil des Auftrags. Doch das würde er erst am nächsten Tag angehen. Vorher musste er noch eine passende Maske anlegen, damit man ihn nicht identifizieren konnte, sollte er bei der Durchsuchung überrascht werden. Schließlich galt es, Zeugen und damit unnötige Opfer zu vermeiden und nicht mehr Aufsehen zu erregen, als unbedingt notwendig war. Letztendlich war er kein Schlächter, der eine Operation dieser Art mit viel Blutvergießen durchführte. Er sah sich doch eher als ein Chirurg, der jeden Schnitt sorgfältig setzte, um sauber zu arbeiten. Für seinen Auftraggeber war er dagegen ein schlichter Aufräumer, der den Dreck beiseite schaffte und der unerwünschte Personen oder Sachen aus dem Weg räumte und für immer

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