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Herr und Untertan. Stefan G. Rohr
Читать онлайн.Название Herr und Untertan
Год выпуска 0
isbn 9783753188539
Автор произведения Stefan G. Rohr
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Und der künft´ge Eidam lugte schließlich fast aus der Perspektive eines Frosches und würde jede wahrgenommene Verzerrung von Kleid und Haltung der Verlobten dann auch hierauf zurückzuschließen haben, den Fehler damit bei sich selbst suchend und somit eigennützig lieber schweigsam bleiben.
Viktoria hingegen war mit dem Ergebnis ihres Boykottierens bereits an diesem Punkt höchst zufrieden, war aber auf der Hut, sich nicht durch leuchtenden Spott in ihren Augen selbst zu verraten, und sich eine Phalanx innert der anstehenden ersten Schlacht durch Leichtfertigkeit im Wesen am Ende selbst zuschreiben zu müssen. Ihr Affrontieren musste ganz verdeckt bleiben, denn die gegenüber in Stellung gebrachten feindlichen Kräfte waren nicht nur überzählig, zudem mit Waffen ausgestattet, die im offenen Schlagabtausch zu Felde schnell zu deren bravourösen Sieg führen und die besiegte Prinzessin zum Verfaulen in den Kerker werfen ließen. Und diese Fährde galt es ihr mit aller Fürsorglichkeit zu unterbinden.
So war es dann doch klüger, mit Listen vorzugehen, das Säg´lein hier und dort zu setzen, um Äste abzutrennen, auf denen die Widersacher dann säßen. Sabotage im Geheimen ist nahrhafter für den sonst Unterlegenen, dieser bestenfalls nur die Wahl zu treffen hat, ob dicke Äste zuvörderst und im Ganzen anzusägen sich empfiehlten, oder eben eher erst die kleinen und dann nur so, dass es der dritte oder vierte Sitz zum Abbruch aus Ermüdung führen würd.
Frau Mama trieb nun zur Eile. Das Kleid war nicht zu retten, ein passend andres nicht im Schrank, nun half auch kein Knastern, es war zu nehmen wie es war. Indes näherten sich die ersten Kutschen, und so sollte es allen gänzlich zur Einsicht geraten, dass der Lauf der Dinge dieses Abends nun nicht mehr aufzuhalten war.
Viktoria wurde in die kleine Bibliothek geführt, damit sie dort warten würde, bis sie ihr Zeichen zum Eintritt in den Jagdsaal erhalte. Das schon recht betagte Fräulein Käthe, eine ungefreite Großcousine aus dem Zweig der Sonnenbergs, wurde ihr zur Seite gesetzt. Sie war schon zeitiger erschienen und gab sich nun mit scheinbar großer Gelassenheit ihrer Aufgabe hin. Ihr Gehör war von schlechter Qualität, was unvermittelt ihrem Alter zugeschrieben wurde, was mitnichten aber der Richtigkeit entsprach. Sie kam mit diesem Defekt nach Meinung aller schon auf die Welt, und trug ihr Hörrohr von Kindesbeinen an wie der Hornist der Kavallerie sein Instrument an einer bunten Kordel vor die Brust gehängt. Das linke Ohr war gänzlich taub, das rechte dann nur leidlich besser. Und so war ihr die Bewegung längst in Fleisch und Blut übergegangen, wenn Münder, Lippen sich bewegten, dies sodann als Zeichen der Verständigung zu werten war, um spornstreichs mit der Schreibhand nach dem Hörvehikel zu greifen und dieses zum Kopfe zu führen, stets in Richtung des wahrgenommenen Palavers.
Gab sie dann selbst etwas zum Besten dazu, geriet ein jeder Beitrag zur Prüfung aller gesunden Ohren im Umkreis von tausend Zoll. Sie krakeelte aber nicht aus Unmanierlichkeit so laut, es war dem Grund geschuldet, dass sie sich selbst zu hören hatte, denn anders sie nicht sicher war, das grad Gesagte tatsächlich dann auch ausgesprochen zu haben, oder dieses allein in ihrem Kopfe nur geschah. Ein Mancher, der es fehl einschätze, nahm an, dass jenes alte Fräulein nur Beiwerk abgeben konnte und man zudem nur flüstern bräuchte, um einem Lauschen zu entgeh´n. Doch ward es Tuschlern nicht selten ein bös´ Erwachen, wenn ihr so wichtiges Geheimnis, ganz plötzlich und auch wundersam, dann dummerweise mitnichten noch eins war.
Viktoria mochte Käthe recht gerne. Denn von dieser Seite drohte ihr bisher nie eine Attacke oder gar Gehässigkeit. Auch konnte sie sich sicher sein, dass die Cousine in allen Fällen kein Jota weitergeben würde, was sie von diesem Kindchen und dem spät´ren jungen Ding erfuhr. Aus vielerlei Bewertung kam sie zu einem and´ren Schluss: dass denn Fräulein Käthe viel besser hören würde, als äußerlich gezeigt. Das Hörrohr nur die Tarnung war, ein Strategem, mit offen dargestellter Schwäche den übermächtigen Gegner dorthin zu locken, wo dieser seine Achillesferse trägt. Ganz eben ähnlich, wie sie es nun selbst verstand, schon länger eigne Strategeme entwarf, die allesamt dem gleichen Zwecke dienten. So waren Viktoria und Käthe im inn´ren Kern vielleicht sogar ganz gleich gestrickt.
Viktoria setzte sich in den Sessel neben ihrer Großcousine, faltete sittsam ihre Hände in ihrem Schoß und schaute gefasst ins Nichts. Das alte Fräulein legte behutsam eine Hand auf das nackte Ärmchen der jungen Frau: „Es wird sich alles zum Guten richten. Du wirst sehen, mein Kind.“ sagte sie dabei in leisen Worten, die aber dennoch sehr überzeugend klangen.
„Sie meinen es gut, liebe Cousine. Ich weiß,“ antwortete Viktoria flüsternd, „und ich verstehe es als wohllöblich, dass Sie mir Mut zusprechen woll´n, und dafür meinen Dank. Doch ein Tümpel beleibt ein Tümpel, auch wenn sich der schönste Himmel in ihm spiegelt. Und es nutzt dem in ihm Badenden kein schillernd Antlitz, wenn er jüngsthin im schmutzigen Wasser versinkt und im Moder am Grund vergeht.“
„Es war nicht meine Absicht,“ sprach die Alte zurück, „Dich zu beruhigen, um Dich so getäuscht in ein Verderben rennen zu lassen. Vielmehr ist es, was ich meine, dass Du mit Deiner Stärke, mit Deinem Verstand dazu, das alles dann doch so zu wenden wirst können, wie Du es brauchst, auch wenn ein steinig Weg zu diesem Ziel nur führen mag. Und hast Du nicht schon länger mit List und Tarnung viel erreicht, so wird´s Dir auch gelingen, dem fetten Hagestolz, den Du bald ehelichen wirst, den Garaus zu bereiten.“
Die Worte von Käthe klangen Viktoria noch einige Zeit in den Ohren. Still saßen sie nebeneinander, die Cousine klopfte dem jungen Ding immer wieder behutsam das Ärmchen und beide wussten, es nahm nun alles seinen Weg.
Franz-Joseph Kohlhaase war es, der sein Töchterlein selbst höchstpersönlich aus der Bibliothek in den Jagdsaal führte. Kurz bevor die junge Frau am Arm des Vaters hinausschritt, blickte sie noch einmal zurück zu Käthe, fast so, als erhoffte sie sich von dem klapprigen alten Fräulein ein Wunder in letzter Sekunde. Doch ihre Großcousine sah ihr nicht hinterher, sie hielt wieder ein kleines Büchlein in Händen, in dem sie weiterzulesen beschlossen hatte.
Im Saal herrschte eine unangenehme Fülle. Die leise Musik des kleinen Orchesters wirkte nahezu gespenstisch, denn es mischte sich ganz unpassend unter das Gemurmel der geführten Gespräche in den vielen Gruppen, die teils zusammenstanden, teils in kleinen Gesellschaften zu Tische saßen. Die wenigsten von den Gästen waren Viktoria bekannt. Nur vereinzelt, hier und dort, entdeckte sie Gesichter, denen sie schon begegnet war, auch hatten sich einige Verwandte eingefunden, was für sich schon eine gewisse Außergewöhnlichkeit in sich trug.
Immer noch bei ihrem Vater untergehakt schritten beide vom Herrn des Hauses dirigiert den heimischen Saal ab, als würde eine fürstliche Hoheit an ihrem Volke vorgeleitet. Man honorierte dies in den abgeschrittenen Reihen mit freundlichen Blicken, kleinen, oft auch nur angedeuteten Verbeugungen der Herren, während die herausgeputzten Damen sich ihrer Neugier gar nicht schämen wollten und Viktoria unverhohlen von oben bis unten musterten, um hiernach, sobald sie aus dem Blickwinkel der Vorbeischreitenden verschwunden war, die Köpfe zusammenzustecken und sich tuschelnd hinter eifrig gewedelten Fächern über das gerade Gesehene auszutauschen.
Als der Vater empfand, dass nun wohl alle ausreichend Gelegenheit gehabt haben sollten, das Töchterlein in ihrem prächtigen Kleid zu bestaunen, wohl auch niemand ausgelassen und nichts mehr geeignet ward die Spannung zu erhöhen, besann er sich zur Zurücknahme seiner eitlen Darbietung und schritt geradewegs mit seinem Kind auf seine Gattin zu. Neben dieser standen der Silberwarenhändler Berking, der extra aus Bremen gekommen war, ein Mann schlanker Figur und einem langen weißen Bart, dessen untere Spitze bis über die gebundene Fliege reichte, und Dr. Krottenkamp, der noch geheime Bräutigam, der sich im Erscheinungsbild vom feinen Berking ähnlich abhob, wie ein Masttruthahn von einem Fasan.
Während der Kaufmann in Silber mit freundlicher Galanterie das junge Fräulein begrüßte, stand der Doktor schwitzend und nervös daneben und war bemüht, sich gut durchzustrecken, um auf diese Weise den Unterschied im Wuchs, ganz