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Esel!«

      Sofort kam Janet die Treppe heraufgesprungen, als ob das Haus in Flammen stünde, stürzte auf einen kleinen Rasenfleck vor dem Haus hinaus und verscheuchte zwei von Damen gerittene Esel, die gewagt hatten, ihre Hufe auf den Rasen zu setzen, während meine Tante ihr auf dem Fuß folgte, den Zaum eines dritten Esels, auf dem ein Kind saß, ergriff, das Tier umdrehte, es zur Seite zog und dem unglücklichen Jungen, der den Esel geführt und die heilige Stelle zu entweihen sich unterstanden hatte, eins hinter die Ohren gab.

      Bis heute weiß ich nicht, ob meine Tante ein Recht auf diesen Rasenfleck besaß, aber jedenfalls hatte sie es sich in den Kopf gesetzt, und das genügte ihr. Es war in ihren Augen eine große Untat, die nach beständiger Ahndung verlangte, wenn ein Esel diesen jungfräulichen Fleck betrat. Mochte sie in welcher Beschäftigung immer begriffen und die Unterhaltung noch so interessant sein, der Anblick eines Esels gab dem Gang ihrer Gedanken sofort eine andere Richtung und unverzüglich stürzte sie auf ihn los. Krüge voll Wasser und Töpfe standen an geheimen Plätzen bereit, um die Führer der Esel zu begießen, Stöcke lauerten hinter den Türen, Ausfälle wurden zu allen Stunden gemacht und ununterbrochen wütete der Krieg. Vielleicht war alles das eine angenehme Unterhaltung für die Jungen, und wahrscheinlich machte es den Klügern unter den Eseln, die die Sache durchschauten, in der ihnen eignen Hartnäckigkeit eine besondere Freude, gerade deshalb diesen Weg zu betreten.

      Dreimal, ehe das Bad fertig war, wurde Lärm geschlagen und beim letzten und verzweifeltsten geriet meine Tante in ein Gefecht mit einem fünfzehnjährigen Burschen mit sandgelbem Haar, den sie mit dem Kopf an die Gartentür stoßen mußte, ehe er zu begreifen schien, worum es sich handelte. Diese Unterbrechungen kamen mir umso lächerlicher vor, als sie mir gerade Fleischbrühe einflößte, – sie hatte sich offenbar eingeredet, ich stünde dicht vor dem Hungertode und dürfte anfangs nur in kleinen Quantitäten Nahrung zu mir nehmen. In Erwartung des Löffels hielt ich noch den Mund offen, da legte sie das Besteck auf den Teller, rief: »Janet! Esel!« und eilte hinaus zum Kampfe.

      Das Bad war eine wahre Erquickung für mich. Das Schlafen im Freien hatte mir Gliederschmerzen gemacht, und ich fühlte mich so matt, daß ich kaum fünf Minuten hintereinander wach bleiben konnte. Als ich mich gebadet, zog ich, das heißt, sie zogen mir – nämlich meine Tante und Janet – ein Hemd und ein Paar Hosen Mr. Dicks an und wickelten mich in zwei oder drei große Schals. Ich sah wie ein Paket aus und es war mir schrecklich heiß. Da mich überdies ein Gefühl von Mattigkeit und Schläfrigkeit überwältigte, schlummerte ich bald auf dem Sofa ein. Vielleicht träumte ich wieder von dem Bilde; ich erwachte mit der Vorstellung, daß meine Tante sich über mich gebeugt, mir das Haar aus dem Gesicht gestrichen, meinen Kopf bequemer gelegt und mich dann lange betrachtet hätte. Die Worte »hübscher Junge« oder »armer Junge« schienen mir auch noch in den Ohren zu klingen, aber sonst war bei meinem Erwachen nichts da, das mich hätte glauben machen können, meine Tante hätte gesprochen, denn sie saß unbeweglich am Bogenfenster und blickte hinter dem grünen Schirm hervor aufs Meer hinaus.

      Wir aßen, bald nachdem ich erwacht war, zu Mittag. Ein gebratenes Huhn und ein Pudding kamen auf den Tisch; ich selbst sah auch aus wie ein tranchierter Vogel und konnte meine Arme nur mit großer Schwierigkeit bewegen. Aber da meine Tante mich selbst eingewickelt hatte, durfte ich mich doch nicht beklagen! Die ganze Zeit über lag es mir sehr am Herzen, zu erfahren, was sie mit mir anzufangen gedenke. Aber sie nahm ihre Mahlzeit in tiefstem Schweigen ein, nur manchmal sah sie mich an und rief aus »Gott erbarme sich unser!« Und das war gar nicht geeignet, meine Besorgnisse zu verscheuchen.

      Nachdem das Tischtuch entfernt war, kam Sherry, und ich erhielt auch ein Glas. Meine Tante schickte wieder nach Mr. Dick, der uns dann Gesellschaft leistete und so klug dreinsah, wie er nur konnte, als sie ihn aufforderte, meiner Geschichte zuzuhören, die sie durch eine Reihe von Fragen aus mir herauslockte. Während meiner Erzählung wandte sie kein Auge von Mr. Dick, der, wie ich glaube, sonst eingeschlafen wäre. Wenn er sich verleiten ließ, zu lächeln, wies ihn ein Stirnrunzeln meiner Tante in seine Schranken zurück.

      »Was nur dem armen unglücklichen Baby eingefallen sein muß, daß sie noch einmal heiratete,« sagte meine Tante, als ich fertig war. »Ich kann es nicht begreifen.«

      »Vielleicht hat sie sich in ihren zweiten Mann verliebt,« meinte Mr. Dick.

      »Verliebt?« wiederholte meine Tante. »Was reden Sie da? Zu welchem Zweck?«

      »Vielleicht,« simpelte Mr. Dick, nachdem er ein wenig nachgedacht, »vielleicht tat sie es zu ihrem Vergnügen.«

      »Zu ihrem Vergnügen! Natürlich! Ein Mordsvergnügen für das arme Baby, ihr schlichtes Herz einem Schweinehund zu schenken, der sie in jeder Art enttäuschte. Was hat sie sich eigentlich dabei gedacht, möchte ich gern wissen? Sie hatte doch schon einen Mann gehabt, hatte David Copperfield begraben, der von Kindheit an Wachspuppen nachlief, besaß ein Kind – was brauchte sie mehr?«

      Mr. Dick schüttelte geheimnisvoll den Kopf, als könne er sich über diesen Punkt nicht klar werden.

      »Sie brachte es nicht einmal fertig ein Kind zu kriegen wie andere Leute,« sagte meine Tante. »Wo ist dieses Kindes Schwester Betsey Trotwood geblieben? Kam einfach nicht! Reden Sie nichts!«

      Mr. Dick schien ganz erschrocken zu sein.

      »Der kleine Doktor mit dem seitwärts geneigten Kopf, Jellips oder wie er sonst hieß, wozu war er denn da? Er konnte nichts, als wie ein Rotkehlchen, das er übrigens ist, sagen: s ist ein Knabe. Ein Knabe! Ha, über die Dummheit dieses ganzen Geschlechts!«

      Über die Heftigkeit dieses Ausrufs erschrak Mr. Dick außerordentlich und, wenn ich die Wahrheit sagen soll, ich ebenfalls.

      »Und dann, noch nicht genug damit, und als ob sie dieses Kindes Schwester Betsey Trotwood noch nicht genügend im Licht gestanden hätte,« sagte meine Tante, »heiratet sie zum zweitenmal, geht hin und heiratet einen Mörder – oder so etwas dergleichen – und steht diesem Kind auch noch im Licht. Die natürliche Folge ist, was jeder, bloß ein Baby nicht, hätte voraussehen können, daß der Junge herumvagabundiert. Er ist noch, bevor er aufwächst, einem Kain so ähnlich wie möglich.«

      Mr. Dick sah mich hart an.

      »Und dann ist das Frauenzimmer mit dem heidnischen Namen da,« sagte meine Tante, »die muß natürlich auch heiraten. Weil sie noch nicht genug von dem Unglück gesehen hat, das bei so etwas herauskommen muß. Sie heiratet auch, wie das Kind erzählt. Ich hoffe bloß, – meine Tante schüttelte den Kopf, – daß ihr Gatte einer von der Prügelsorte ist, von denen man immer in der Zeitung liest, und sie ordentlich verhaut.«

      Das konnte ich von meiner alten Kindsfrau nicht mit anhören und versicherte meiner Tante, daß sie sich bestimmt irre, Peggotty sei die beste, treueste, hingebendste und aufopferndste Freundin und Dienerin von der Welt. Ich sagte, daß sie immer mich und meine Mutter von Herzen geliebt, – meiner Mutter sterbendes Haupt gestützt habe, und daß meine Mutter ihren letzten dankbaren Kuß auf ihr Gesicht drückte. Und da mich die Erinnerung an die beiden so sehr erschütterte, konnte ich nicht ausreden und erzählen, wie Peggottys Haus auch mein Haus sei, daß alles, was sie besäße, mein sei, und daß ich nur mit Rücksicht auf ihre bescheidene Stellung und aus Furcht, ihr Ungelegenheiten zu machen, nicht bei ihr Schutz gesucht habe. Tränen erstickten meine Stimme, und ich legte mein Gesicht auf den Tisch.

      »Schon gut, schon gut,« sagte meine Tante, »das Kind hat ganz recht, wenn es zu denen hält, die ihm beigestanden haben. – Janet! Esel!«

      Ich bin überzeugt, ohne das Dazwischentreten dieser unglückseligen Esel wären wir jetzt zu einer Aussprache gekommen, denn meine Tante hatte mir die Hand auf die Schultern gelegt, und ich war eben im Begriffe, dadurch ermutigt, sie zu umarmen und ihren Schutz anzuflehen. Aber die Unterbrechung und die Aufregung, in die sie durch den Kampf draußen geriet, machten vor der Hand allen sanfteren Gefühlen ein Ende und veranlaßten meine Tante, sich in höchster Entrüstung gegen Mr. Dick über ihren Entschluß auszulassen, bei den Landesgesetzen Hilfe zu suchen und sämtliche Eselseigentümer von Dover zu verklagen.

      Nach dem Tee setzten wir uns ans Fenster, – wie ich aus dem gespannten Gesicht meiner Tante

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