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man Sie gerufen hat, ist an sich korrekt. Die Zeugin ist das Problem. Madame Bodet ›bemerkt‹ des Öfteren Leichen im Fluss. So ein bis zwei Mal im Lauf eines Sommers. Sie kann nichts dafür. Sie hat als Kind ein entsprechendes Trauma erlitten. Dass sie heute ausgerechnet an und auf einem Fluss arbeitet, ist nicht besonders hilfreich für die Behörden. Verbieten können wir das jedoch nicht. Allerdings ist es normalerweise auch so, dass alle Beamten hier die Situation kennen und sich mit einem kurzen Kontrollgang begnügen. Das verursacht kaum Kosten.«

      Guerin schluckte. »Das Becken ist fast leer. Das können wir noch abwarten?«

      »Ja natürlich. Aber falls sich erwartungsgemäß nichts findet, geben Sie den Verkehr so rasch wie möglich wieder frei.« Der Präfekt deutete auf die Bootskolonnen zu beiden Seiten der Schleuse. »Wir möchten die Touristen nicht verärgern, wenn es geht.«

      Es zeigte sich seitlich bereits die als sanfte Rundung gemauerte Bodenpflasterung des Schleusenbeckens. Trotz seiner klaren Ansage beobachtete auch der Präfekt gespannt den sinkenden Wasserspiegel. Das Becken, das schließlich bei jeder Schleusung gespült wurde, zeigte sich blitzsauber. Einmal abgesehen von Fugen zwischen den tiefschwarz glänzenden Steinen.

      Der Präfekt seufzte. »Wenigstens kann uns niemand vorwerfen, dass wir überhaupt nie nachsehen«, brummte er.

      »Brauchen Sie einen Bericht, Herr Präfekt?«

      »Lassen Sie nur. Wir deklarieren das als Übung. Vielen Dank, Herr Kommissar. Möglicherweise sehen wir uns in nächster Zeit noch öfter. Unsere Personaldecke ist leider so dünn, dass wir laufend Beamte aus anderen Departements ausleihen müssen. Ich hoffe, dass es im nächsten Fall eine interessantere Aufgabe wird.«

      Guerin zuckte mit den Schultern. »Danke, Herr Präfekt.«

      ***

      Muriel wurde von einem einheimischen Beamten ermahnt und schließlich nach Hause geschickt. Wenn es eine Leiche gegeben hätte, dann müsste sie am Grund der Schleuse zu finden gewesen sein. Die unteren Tore in Fließrichtung des Kanals waren während der ganzen Aktion geschlossen geblieben. Bloß die oberen Tore hatte man kurz geöffnet, um Muriels Boot von Hand aus der gefluteten Kammer zu ziehen. Natürlich wusste das auch Muriel, aber sie ließ sich nicht von ihrer »Sichtung« abbringen. Der deutsche Rentner lag seit einer knappen Woche im Fluss. Wenn man ihn jetzt finden würde, dürfte er kaum noch zu identifizieren sein. Deshalb die »Sichtung«. Um eine Spur zu legen, die von ihr wegführte. Dass die Polizei daraufhin tatsächlich eine Schleuse auspumpen würde, hatte Muriel ja nicht ahnen können. Falls Horst doch noch auftauchen sollte, gab es jetzt kein Indiz mehr dafür, dass er oberhalb des Bootsverleihs ins Wasser geraten war.

      Die Zeit und die zahlreichen Fische der Saône arbeiteten für Muriel, ganz davon abgesehen, dass, selbst wenn ein Verdacht auf sie fallen sollte, es äußerst unwahrscheinlich wäre, dass die Polizei sie tatsächlich als Täterin in Betracht zog. Wo doch jeder wusste, dass sie nicht alle Tassen im Schrank hatte. Mit der praktischen Einkommensquelle dürfte dann allerdings Schluss sein. Und Muriel war auf keinen Fall bereit, wieder genau einteilen und manchmal sogar darben zu müssen, wenn der Preis für Kartoffeln im Frühling unerwartet um ein paar Cent anstieg.

      ***

      Einige Tage später in Gray auf dem Pont de Pierre, dessen Bögen seit dem 16. Jahrhundert die Saône überspannen. Eine schmächtige junge Frau hatte die Gendarmen gerufen, weil sie in einem an der Flussschwelle hängen gebliebenen Bündel einen menschlichen Körper zu erkennen glaubte. Die Schwelle, die das Wasser der Saône einige Meter unterhalb der Brücke über die gesamte Breite des Flusses zurückhielt, ließ sich vom Brückengeländer aus, gut einsehen.

      Mit einem durch eine Leine gesicherten Boot ließen sich die Gendarmen bis zur Schwelle treiben. Das Bündel, von dem die Frau gesprochen hatte, war deutlich zu erkennen. Beim Versuch, es zu bergen, glitt es allerdings über die Kante und verschwand in der tosenden Wasserwalze darunter. Ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, konnten die Beamten nicht erkennen, dass ihnen gerade ein menschlicher Körper aus den Händen geglitten war, jedoch schon. Die Leiche befand sich im Stadium der Auflösung und zerfiel beim bloßen Anfassen in schleimige Einzelteile. Die Wasserwalze dürfte den Rest erkennbarer Konturen in wenigen Sekunden vollständig zerlegt haben, sodass sich eine Suche unterhalb der Schwelle erübrigte. Das Einzige, das sich noch erhoffen ließ, war, dass im Wehr bei Mantoche oder an der nächsten Schleuse bei Apremont einzelne Teile der Leiche auftauchten. Das Geschehen wurde selbstverständlich dokumentiert und als eigener Fall in einer Polizeiakte abgelegt.

      Natürlich sprach sich die Sache unter den Anwohnern bald herum, besonders bei denen, die mit oder auf der Saône ihren Lebensunterhalt verdienten. Dazu gehörte auch Muriel, die sich als Einzige ziemlich genau vorstellen konnte, um wen es sich gehandelt hatte. Sie fand es ungemein beruhigend, dass nichts von ihrem letzten Opfer geborgen werden konnte. Leider hatte er kein richtig großes Vermögen mit sich geführt. Knapp zweitausend Euro in bar, und für seine Uhr hatte die Pfandleihe auch noch einen Tausender hingelegt. Ein willkommenes Zubrot für Muriel, aber zu wenig für einen ganzen Winter. Sie würde in diesem Sommer mindestens einen weiteren Spender brauchen.

      ***

      Armin Giebisch spürte an der Angel den kräftigsten Ruck seines Lebens. Er saß am Heck des gemieteten Hausboots, das von seiner Frau mit kleinstmöglicher Fahrt flussaufwärts auf Kurs gehalten wurde, damit er in Ruhe seinem Hobby nachgehen konnte. Armin hatte sich einen Ferienangelschein besorgt, den er »mal richtig ausnutzen« wollte. Offenbar schien ihm das Anglerglück hold. Vor seinem geistigen Auge stieg einer dieser meterlangen Welse auf, die ab und zu die Zeitungen zierten. Vorsicht war geboten. Die Schnur sollte zwar angeblich fünfzig Kilo tragen können, dass man einen solchen Brocken nicht einfach rausziehen konnte, wusste jedoch sogar Armin. Er bedeutete seiner besseren Hälfte, dass sie ans Ufer steuern solle. Dort sollte sie die Angel übernehmen, während er in den Fluss steigen und den Fang mit dem Unterfangnetz sichern und schließlich überwältigen wollte. Der Wels hing zwar kräftig am Haken, ließ sich jedoch bisher ohne große Gegenwehr mitziehen. Armin rekapitulierte kurz sein Wissen über die Beute: Welse sind dumm und faul. Die liegen jahrelang in der gleichen Pfütze am Flussgrund. Solange genug zu fressen vorbei treibt, bewegen die sich nicht. Deshalb werden sie so groß und fett.

      In aller Eile machte Armin das Boot verbotenerweise an einem massiven Stamm fest. Darauf war bei der Instruktion klar und deutlich hingewiesen worden. Keinesfalls an Bäumen festmachen! Genauso schlimm, wie im Fluss den Anker auszuwerfen. Einzige Ausnahme: ein treibendes Boot mit Motorschaden. Im Unterdeck lagen die vorgeschriebenen Erdanker, etwa einen Meter lange Steinmeißel mit geschmiedeter Spitze, die man zum Festmachen mit dem ebenfalls zur Verfügung gestellten Fäustel am Ufer in den Boden treiben sollte. Natürlich würde Armin das nachholen. Sobald der Wels überwältigt am Strand lag.

      Inzwischen trieb der Fisch mit der Strömung hinter der Penichette ebenfalls langsam Richtung Ufer. Armin begann damit, die Angelschnur mit den Händen einzuholen, während seine Frau den losen Teil laufend aufwickelte. Ganz plötzlich stoppte die Leine. Offenbar hatte sich der Wels irgendwo verfangen. Armin blieb nichts anderes übrig, als sich ins Wasser zu bemühen.

      Zuvor zeigte er seiner Frau, woran sie die Angelschnur zum Bremsen umschlagen konnte. Falls der Wels doch einen Ausbruchsversuch unternehmen sollte, während Armin in den Fluss stieg.

      Mit dem vergleichsweise kleinen Fänger in der einen Hand watete Armin los. Den Fisch schien es nicht zu stören; er blieb völlig ruhig. Das Wasser floss zu trüb, um darin mehr als schwache Konturen zu erkennen, aber er sah trotzdem riesig aus. Mit einem Hechtsprung warf sich Armin auf den Körper und versuchte, mit dem Fänger den Kopf zu erwischen. Dabei geriet ihm allerdings die straff gespannte Angelschnur in den Weg. Er wollte den Fisch mit den Beinen in die Zange nehmen, als er mit den Knien unerwartet auf etwas Hartes traf. Hatte ein Wels richtige Knochen? Mit der leeren Hand tastete Armin seinen Fang ab.

      Stoff.

      Ein Fisch mit Kleidung und Schuhen. Entsetzt sprang Armin zurück, sobald er begriffen hatte, was da an seiner Angel hing.

      ***

      Als Kommissar Guerin am Fundort eintraf, hatten die

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