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»Sieh nur Anna, was soll das heißen? Ich kenne doch keine Luise Thompson.«

      »Vielleicht hat sie Freunde, die dich kennen und dir den Kuchen geschickt haben. Jedenfalls ist die Adresse ganz richtig und der Kuchen sieht sehr verlockend aus.«

      »Du sollst die Hälfte haben,« sagte Milly großmütig; »hier nimm ihn und teile selbst.«

      Anna nahm die Schachtel und teilte den Kuchen sehr bedächtig mit einem Falzbein in zwei Teile, legte ihn auf einen Briefbogen und warf die Schachtel nebst ihren Hüllen ins Feuer. Dann schob sie Milly das Papier so hin, daß diese den größeren Teil bekam. Die dunklen, keilförmigen Kuchenstücke mit dem dicken Rand von Zuckerguß sahen auf dem weißen Papier höchst appetitlich aus. Milly wollte eben ihr Stück ergreifen, als Onkel Peters große Hand so plötzlich dazwischenfuhr, daß die Mädchen erschraken.

      Er faßte das Papier an einer Ecke und drehte es ruhig um, so daß Annas Stück vor Milly und Millys Stück vor Anna lag. »Tu hast wohl nichts dagegen, mit Milly zu tauschen, Ännchen? Tu' es mir zu Gefallen.«

      Mehr sprach er nicht, aber er sah sie dabei an. Ihre rosigen Wangen verfärbten sich, und sie wurde geisterbleich bei diesem Blick. Plötzlich, als wäre ihm die Maske abgefallen, erkannte sie Herrn Becks Gesicht und sah Becks Augen unverwandt auf sich gerichtet.

      Sie stieß einen Schrei aus, ergriff das Papier mit dem Kuchen und wollte es ins Feuer werfen. Aber eine feste Hand umklammerte ihr Gelenk, während mit der andern Onkel Peter sich des Kuchens bemächtigte, indem er gelassen sagte: »Nur nicht so hastig, Anna, nicht so hastig! Wenn du jetzt das Stück Kuchen noch nicht essen magst, will ich es verwahren, bis es gebraucht wird.«

      Er ließ ihre Hand los und sie glitt wie ein Schatten aus dem Zimmer.

      Der ganze Auftritt hatte sich so rasch abgespielt, daß Milly nichts davon verstand. »Was hast du denn Anna getan, Onkel?« rief sie erstaunt. »Und wo ist mein schönes Stück Kuchen hin?«

      »Wir haben nur einen kleinen Scherz miteinander gehabt, Anna und ich,« erwiderte er ruhig. »Der Kuchen würde dir, glaube ich, nicht gut bekommen sein, Milly.« Damit schlenderte er langsam zur Tür hinaus.

      *

      »Es ist schauderhaft, kaum menschenmöglich! Ein so teuflischer Plan!« sagte John Woodriff, als ihm zehn Minuten später der Vorfall in seinem Studierzimmer mitgeteilt wurde, »Bist du auch deiner Sache gewiß, Paul?«

      »Nichts in der Welt ist mir gewisser,« sagte Beck mit tiefem Ernst.

      »Ich kann es nicht glauben. Das schüchterne, bescheidene, unschuldige kleine Ding! Die arme Letty. Und auch Milly, die ihr immer so lieb war!«

      »Ja, so lieb, wie die lustigen kleinen Vögel der Katze mit den Samtpfötchen. Ich habe es gleich von Anfang an gemerkt, daß sie ihre Klauen nur versteckte.«

      »Aber wenn du so sicher bist, warum hast du sie nichts gleich festgenommen?«

      »Weil ich mein Netz erst herausziehen will, wenn es ganz voll ist.« »Aber sie wird uns entkommen, und dann –«

      Beck legte ihm die Hand auf die Schulter. »Tritt vom Fenster weg,« flüsterte er. »Jetzt sieh dorthin.«

      Eine Mädchengestalt glitt rasch und sachte wie ein Gespenst um die Hausecke und verschwand. »Sie ist entflohen,« rief Woodriff aufgeregt.

      »Nur kaltes Blut,« sagte Beck. »Sie läuft fort, um ihren Brief in den Kasten an der roten Säule zu stecken. Keine Stunde wird vergehen, und sie ist wieder hier.«

      Die Wartezeit schien endlos lang. Es war ihnen, als hätte es drei Stunden gedauert, statt einer, bis sie die schlanke Gestalt um die Ecke schlüpfen und ins Haus zurückkehren sahen. Mehrere Türen wurden leise geöffnet und geschlossen, und gleich darauf verkündete ein leichter Schritt im oberen Stockwerk, daß Anna Coolin wieder in ihrem Zimmer war.

      »Jetzt ist die Reihe an mir,« sagte Beck. »Warte hier auf mich,«

      Und ohne ein Wort der Erklärung schritt er in größter Eile über den Rasenplatz davon. John Woodruffs zweite Wartezeit war kürzer, allein er verging fast vor Ungeduld. Ehe noch eine Stunde um war, trat Beck keuchend vom raschen Lauf wieder ins Zimmer.

      »Ich habe mein Netz herausgezogen und den Fisch gefangen,« sagte er und nahm aus der Tasche ein Netz von dünnen Seidenfäden, die so fein waren wie ein Spinngewebe. In den fast unsichtbaren Maschen hing ein Brief. »Ein schlauer, aber höchst einfacher Kunstgriff, den ich dem geschicktesten aller Postdiebe abgelernt habe. Man steckt das Netz in die Spalte des Briefkastens, und wer nichts davon weiß, sieht die Fäden nicht. Hier die Springfeder aus feinem Draht hält das Netz offen und alle Briefe fallen hinein. Gleich heute morgen, nachdem der Hochzeitskuchen abgegeben wurde, habe ich meine Vorrichtung angebracht – es war nicht das erste Mal. Noch fünf andre Fische hatten sich außer diesem gefangen; die habe ich alle wieder zurückgeworfen. An wen glaubst du wohl, daß der Brief gerichtet war, John?«

      »An Dr. Coleman Woodriff in Liverpool.«

      »Richtig geraten. Und Fräulein Anna hat die Adresse geschrieben, zwar mit etwas zitteriger Hand, aber es ist doch unverkennbar ihre Schrift. Jetzt werde ich mir die Freiheit nehmen, nachzusehen, was Anna Coolin ihrem Vetter, der ihr so widerwärtig ist, mitzuteilen hat.« Er öffnete den Brief ohne weiteres und las:

      »Einzig Geliebter!

      Im letzten Augenblick ist noch alles entdeckt worden. Der Mann, von dem ich Dir schrieb, Onkel Peter, hat sich als ein verkleideter Detektiv entpuppt. Eben wollte Milly den Kuchen in den Mund stecken, da griff er ein. Im selben Moment erkannte ich ihn und las in seinen Augen, daß er alles weiß. Durch welche Teufelskunst es ihm gelungen ist, das wohlbewahrte Geheimnis zu erraten, ahne ich nicht. Glaube mir, Geliebter, ich bin nicht schuld daran. Rette, rette Dich, solang es noch Zeit ist. Von mir werden sie nichts erfahren, darauf kannst Du Dich verlassen. Du warst mein einziges Glück auf der Erde; Dich zu verlieren ist mein einziger Kummer, nun ich sie verlasse. Wenn diese Zeilen Dich erreichen, bin ich nicht mehr am Leben. Den schlauen Detektiv habe ich, trotz seiner Klugheit, überlistet. Ich fand den vergifteten Kuchen, den er versteckt hatte, und – –«

      Beck las nicht weiter; eine Verwünschung auf den Lippen stürzte er aus dem Zimmer und die Treppe hinauf. John Woodriff folgte ihm auf den Fersen. Er klopfte an Anna Coolins Tür. Dann drückte er auf die Klinke. Das Zimmer war verschlossen. Ohne Zögern rannte er mit der Schulter gegen die Tür, daß sie krachend zerborst. Drinnen war es ganz still. Hinter den hellen Kattunvorhängen lag Anna Coolin auf der weißen Decke, hold und schön, wie eine reine Lilie – sie war tot. Die reiche Fülle ihres hellblonden Haares lag wie ein Heiligenschein lose auf ihrem Kissen ausgebreitet, ein zärtliches Lächeln spielte um ihre bleichen Lippen. Sie sah aus wie ein von Meisterhand gemeißeltes Bild der schlafenden Unschuld.

      Die beiden Männer, die auf sie niederschauten, überkam fast ein Gefühl des Mitleids – so groß ist die Zaubergewalt, die die Schönheit auszuüben vermag.

      »Wir kommen zu spät,« sagte Beck endlich mit leiser Stimme. »Es ist wunderbar, daß eine Teufelin so sehr einem Engel gleichen kann.«

      »Gott sei Dank, daß es nicht meine arme Milly ist, die dort liegt,« erwiderte Woodriff tief erschüttert. »Dies verruchte Mädchen hat selbst für sich die Todesart gewählt, die sie ihr zugedacht hatte. Sie hat sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen, aber der Mann, von dem sie zu dem Verbrechen verführt wurde – –«

      »Der soll nicht leer ausgehen. Ich bringe ihn an den Galgen,« fiel ihm Beck mit großer Zuversicht ins Wort.

      Und so geschah es auch.

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