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Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann
Читать онлайн.Название Klaus Mann - Das literarische Werk
Год выпуска 0
isbn 9783754940884
Автор произведения Klaus Mann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Marcel war in aller Stille an einen anderen Tisch gegangen, wo er in seiner eigenen Sprache plaudern konnte. Die etwas wirre Konversation der Deutschen war ihm mit der Zeit lästig und unverständlich geworden. Mit einem sonderbaren Vogelruf, der halb klagend und halb lockend klang, rief er nun Marion herbei, um sie seinen Freunden vorzustellen.
Kikjou, der lange Zeit schweigend neben der Schwalbe gesessen hatte, sagte plötzlich: »Wenn ich diesen ungarischen Grafen da am Nebentisch anschaue, dann werde ich so traurig – so fürchterlich traurig … Ich denke mir, es wird euch allen – uns allen so ähnlich gehen … Am Schluß sitzen wir irgendwo mit ausgefransten Ärmeln und spielen Schach mit uns selber …« – »Was für ein Unsinn!« rief die Schwalbe und fügte lachend hinzu: »Wir sind doch keine alten Grafen und haben keine Güter weggeschenkt, denen wir nachtrauern könnten!«
Martin schaute aufmerksam zu Kikjou hinüber, von dem er durch die ganze Breite des Tisches getrennt war. Kikjou erwiderte seinen Blick, still und ohne zu lächeln. Martin hätte gern mit ihm gesprochen, aber eben stellte sich ihm der junge Deutsche vor, den Samuel auf der Terrasse der »Coupole« kennengelernt hatte. »Mein Name ist Helmut Kündinger«, sagte der Junge, leise, als vertraute er dem anderen ein Geheimnis an. Dabei erhob er sich halb und schlug ein wenig die Hacken zusammen. »Sie sind auch Emigrant?« erkundigte er sich schüchtern.
Fräulein Sirowitsch war immer noch bei ihrer Schopenhauer-Übersetzung. »Wenn ich diese Arbeit getan habe«, sprach sie feierlich, »dann darf ich mir sagen: Martha, du hast nicht umsonst gelebt. – Ich heiße nämlich Martha«, fügte sie hinzu und lächelte Herrn Nathan-Morelli mit einer gewissen starren Vertraulichkeit zu. Er nickte, als wäre er auf eine Eröffnung dieser Art längst gefaßt gewesen. – »Wenn wir zehntausend Abonnenten haben, sind wir fein heraus!« erklärte einer von den Journalisten, und Ilse Ill, die ihre Würstchen bekommen hatte, rief unheilverkündend: »Vielleicht gründe ich ein literarisches Kabarett! Sehr wohl möglich, daß ich so was mache! – Oder«, verbesserte sie sich – denn es war ihr ein neuer gräßlicher Einfall gekommen – »vielleicht trete ich auch bei Bobby Sedelmayer auf!« Sedelmayer machte entsetzte Augen, während Samuel sich nicht enthalten konnte, mit Orgelstimme »Armer Bobby!« zu sagen. – »Wieso?« erkundigte sich Ilse Ill, einen großen Bissen im Mund – übrigens eher amüsiert als beleidigt.
Bankier Bernheim erzählte: »Ich habe mich während der letzten Tage, die ich in Berlin war, fast nur noch im ›Hotel Excelsior‹ aufgehalten, weil es in der Nähe des Anhalter Bahnhofs liegt. Das gab mir ein beruhigendes Gefühl …« Alle sprachen plötzlich im Durcheinander von ihren letzten Berliner Tagen und von den Umständen, unter denen ihre Abreisen sich vollzogen hatten. Kikjou lauschte mit weit geöffneten Augen, zugleich träumerisch und achtsam. Er fühlte sich wie ein Junge, der in einen Kreis von alten Kriegsteilnehmern geraten ist. Nun berichten alle ihre Abenteuer, und der Knabe muß stumm dabeisitzen … Dr. Mathes sagte mit drohender Stimme: »Ich komme also ins Krankenhaus, wie jeden Morgen. Da sieht mich doch der Kollege Meier so merkwürdig an: ›Mensch, Sie noch hier? Lassen Sie sich nur nicht erwischen …!‹ Na, da wußte ich ja, was die Uhr geschlagen hatte …« Ilse Ill behauptete, sie habe mitten während eines Chansons die Bühne verlassen, als sie im Hintergrund des Saales Kerle mit Hakenkreuzbinden bemerkte. »Die waren sicher gekommen, um mich zu verhaften! Von der Bühne weg, noch geschminkt, bin ich zum Bahnhof gehüpft!« Dabei schwang sie die Reitpeitsche. Die Proskauer murmelte etwas Unverständliches. David Deutsch aber sagte: »Ich hatte gerade noch Zeit, die ausgeliehenen Bücher zur Staatsbibliothek zurückzubringen …« worüber sowohl Bankier Bernheim als auch Theo Hummler herzlich lachen mußten.
Während die Stimmen immer lauter wurden, rückte der junge Helmut Kündinger näher an Martin heran. »Mein Freund und ich«, sagte er leise – und die Worte »Mein Freund« sprach er mit einer innig getragenen Betonung aus – »haben in Göttingen so wundervolle Zeiten verlebt. In einem kleinen Zirkel, der sich nur aus wertvollen Menschen zusammensetzte, lasen wir gemeinsam Hölderlin und George, auch Rilke, aber den liebten wir weniger, er war uns zu weich; George hat die ganze herrliche Härte des Deutschtums, Hölderlin seine ganze unauslotbare Tiefe – das pflegte mein Freund zu sagen. Ihm fielen immer so schöne Dinge ein. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie er an Deutschland hing; wie … wie an einer Geliebten«, sagte Helmut Kündinger und sah Martin hilflos an. »Er liebte den Begriff ›Deutschland‹, deutsche Dichter und deutsche Landschaft viel mehr, als er irgendeinen einzelnen Menschen geliebt hat.« Dabei gab es eine kleine Flamme, wie von Eifersucht, in Helmut Kündingers Blick.
»Liebte er Deutschland so sehr?« fragte Martin, ein wenig zerstreut. Er beobachtete Kikjou, der mit der Schwalbe sprach.
»Ja, er liebte es von ganzem Herzen«, bestätigte Helmut Kündinger ernst. »Obwohl er Nichtarier war. Darüber hatten wir uns niemals Gedanken gemacht. Plötzlich stellte sich dann heraus, daß sein Blut fast achtzigprozentig jüdisch war. Nun war seine Stellung unter den Kommilitonen natürlich erschüttert. Auch ich setzte mich Unannehmlichkeiten aus, weil ich weiter mit ihm verkehrte. Aber das schadete nichts. Schrecklich war nur, Zeuge seines inneren Zusammenbruchs zu sein. Mein Freund konnte seine neue Lage gar nicht fassen. Gerade er, der für die Härte und die Tiefe des deutschen Menschen so begeistert gewesen war, sollte sich nun als ein Ausländer – schlimmer: als ein Schädling – empfinden. Er fühlte sich furchtbar gedemütigt. Als dann ein paar junge Leute, die früher zum engen Zirkel unseres Verkehrs gehört hatten, ihn auf offener Straße beleidigten, geriet er ganz in Verzweiflung. Man muß sich das vorstellen: Man hatte Hölderlin und George miteinander gelesen, und nun schrien sie ihm »Judensau!« zu. Sie waren allerdings besoffen, als sie das taten; aber die Gemeinheit bleibt trotzdem unbegreiflich. – Ich weiß gar nicht, woher