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zu verlieren (vielleicht ein unnötiger Wunsch). Dann kommt auf einmal ein unbeschreiblich schöner Jüngling auf einem schwarzen Rosse hereingesprengt, und ihm folgt eine unabsehbare Menge aller möglichen Völker. Der Jüngling stellt den Tod vor, und alle Völker dürsten nach ihm. Und endlich, in der allerletzten Szene, erscheint auf einmal der babylonische Turm, und eine Anzahl von Athleten baut ihn unter einem Gesange, der von neuer Hoffnung spricht, zu Ende, und als sie ihn bis zur obersten Spitze fertiggestellt haben, da läuft der Herrscher, allerdings nur der des Olymps, in komischer Weise davon, und die Menschheit, die das gemerkt hat, nimmt seinen Platz ein und beginnt sogleich ein neues Leben mit voller Erkenntnis der Dinge. Also dieses Gedicht fand man damals gefährlich. Ich habe im vorigen Jahre Stepan Trofimowitsch den Vorschlag gemacht, es drucken zu lassen, da es in unserer Zeit vollkommen harmlos sei; aber er lehnte diesen Vorschlag mit sichtlichem Mißvergnügen ab. Meine Ansicht von der vollkommenen Harmlosigkeit seines Gedichtes gefiel ihm nicht, und ich führe darauf sogar eine gewisse Kälte seinerseits gegen mich zurück, welche volle zwei Monate dauerte. Aber was geschah? Auf einmal, und fast zu derselben Zeit, wo ich ihm den Vorschlag gemacht hatte, das Gedicht hier drucken zu lassen, wurde unser Gedicht anderwärts gedruckt, nämlich im Auslande, in einem revolutionären Sammelwerke, und zwar ganz ohne Stepan Trofimowitschs Wissen. Er war anfangs sehr erschrocken, stürzte zum Gouverneur hin und schrieb einen sehr edlen Rechtfertigungsbrief nach Petersburg, las ihn mir zweimal vor, sandte ihn aber nicht ab, da er nicht wußte, an wen er ihn adressieren sollte. Kurz, er war einen ganzen Monat lang in Aufregung; aber ich bin überzeugt, daß er sich in den geheimen Falten seines Herzens höchst geschmeichelt fühlte. Er nahm das ihm übersandte Exemplar des Sammelwerkes bei Nacht mit ins Bett, versteckte es bei Tage unter der Matratze und duldete nicht einmal, daß das Dienstmädchen das Bett zurechtmachte. Und obgleich er alle Tage von irgendwoher ein unheilvolles Telegramm erwartete, machte er doch eine hochmütige Miene. Ein Telegramm kam nicht. Da versöhnte er sich auch mit mir, was von der außerordentlichen Güte seines stillen, nicht nachtragenden Herzens Zeugnis ablegt.

       II.

      Ich will ja nicht behaupten, daß er von seiten der Regierung überhaupt gar nicht zu leiden hatte; aber ich bin doch jetzt völlig überzeugt, daß er seine Vorlesungen über die Araber hätte fortsetzen können, solange es ihm beliebte, wenn er nur die nötigen Zusicherungen abgegeben hätte. Aber er ließ sich nur durch sein Ehrgefühl leiten und hatte nichts Eiligeres zu tun, als sich ein für allemal die Überzeugung zurechtzumachen, seine Karriere sei für sein ganzes Leben durch den »Wirbelsturm der Umstände« vernichtet worden. Wenn man aber die ganze Wahrheit sagen soll, so war der wirkliche Grund zu der Veränderung seines Lebensweges ein ihm schon früher gemachter und jetzt erneuerter höchst zartfühlender Vorschlag Warwara Petrowna Stawroginas, der Gemahlin eines Generalleutnants und schwer reichen Mannes, nämlich der Vorschlag, als pädagogischer Oberaufseher und Freund die Erziehung und gesamte geistige Ausbildung ihres einzigen Sohnes zu übernehmen; von dem glänzenden Gehalte wollen wir gar nicht erst reden. Dieser Antrag war ihm zum ersten Male schon in Berlin gemacht worden, und zwar gerade zu der Zeit, als er zum ersten Male Witwer geworden war. Seine erste Frau war ein leichtsinniges Mädchen aus unserm Gouvernement gewesen, die er als noch sehr junger, urteilsloser Mensch geheiratet hatte, und es scheint, daß er mit ihr, übrigens einem reizenden Persönchen, viel Kummer durchzumachen hatte, aus Mangel an Mitteln zu ihrem Unterhalt und außerdem noch aus anderen, zum Teil etwas delikaten Gründen. Sie starb in Paris, nachdem sie die letzten drei Jahre von ihm getrennt gelebt hatte, und hinterließ ihm einen fünfjährigen Sohn, »die Frucht der ersten, frohen, noch ungetrübten Liebe«, ein Ausdruck, der sich dem schwergebeugten Stepan Trofimowitsch einmal in meiner Gegenwart entrang. Der Knabe wurde alsbald nach Rußland geschickt, wo er die ganze Zeit über in der Obhut einiger entfernter Tanten an irgendeinem abgelegenen Orte heranwuchs. Stepan Trofimowitsch lehnte damals Warwara Petrownas Vorschlag ab und verheiratete sich schnell, sogar noch vor Ablauf eines Jahres, von neuem, und zwar mit einer Deutschen, einer Berlinerin, die sehr schweigsam und vor allen Dingen sehr anspruchslos war. Aber außer diesem Grunde hatte er noch einen andern Grund gehabt, die Erzieherstelle abzulehnen: der hohe damalige Ruhm eines gewissen unvergeßlichen Professors hatte für ihn etwas Verführerisches, und so flog denn auch er auf das Katheder, für das er sich vorbereitet hatte, um seine Adlerfittiche zu erproben. Jetzt nun, wo er sich seine Fittiche bereits versengt hatte, war es nur natürlich, daß er sich an den Vorschlag erinnerte, der ihn auch früher schon in seinem Entschlusse beinahe wankend gemacht hatte. Der plötzliche Tod auch seiner zweiten Frau, die mit ihm nicht einmal ein Jahr lang zusammengelebt hatte, führte die definitive Entscheidung herbei. Ich sage geradezu: ausschlaggebend war dabei die warme Teilnahme und die wertvolle und sozusagen klassische Freundschaft (wenn man von einer Freundschaft diesen Ausdruck gebrauchen kann), die ihm Warwara Petrowna erwies. Er warf sich in die Arme dieser Freundschaft, und so wurde ein fester Bund geschlossen, der mehr als zwanzig Jahre Bestand hatte. Ich gebrauche den Ausdruck »er warf sich in die Arme«; aber Gott behüte, niemand darf dabei an etwas Ungehöriges, Unpassendes denken; diese Arme sind nur in einem höchst moralischen Sinne aufzufassen. Das reinste, zarteste Band vereinte diese beiden so merkwürdigen Persönlichkeiten für alle Zeit.

      Er nahm die Erzieherstelle auch deswegen an, weil das sehr kleine Gut, das ihm seine erste Frau hinterlassen hatte, ganz dicht bei Skworeschniki lag, dem prächtigen, nahe bei der Stadt gelegenen Stawroginschen Gute. Auch hatte er immer die Möglichkeit, in der Stille seines Arbeitszimmers, und ohne durch die massenhafte Universitätstätigkeit abgezogen zu werden, sich der Wissenschaft zu widmen und die vaterländische Literatur durch die tiefsinnigsten Untersuchungen zu bereichern. Diese Untersuchungen erschienen nun allerdings nicht; aber dafür konnte er sein ganzes übriges Leben lang, also mehr als zwanzig Jahre, sozusagen als lebendiger Vorwurf vor dem Vaterlande dastehen, nach dem Ausdrucke, den ein volkstümlicher Dichter von einem zur Untätigkeit verurteilten Vorkämpfer für die Ideale des Liberalismus gebraucht:

      »Vor dem Vaterlande stand er

      Ein lebend'ger Vorwurf da.«

      Aber die Persönlichkeit, von der sich der volkstümliche Dichter so ausgedrückt hat, hatte vielleicht auch ein Recht, das ganze Leben lang in dieser Absicht eine theatralische Stellung beizubehalten, wenn sie Lust dazu hatte, wiewohl die Sache recht langweilig ist. Unser Stepan Trofimowitsch dagegen war, die Wahrheit zu sagen, solchen Persönlichkeiten gegenüber nur ein Nachahmer und wurde auch vom Stehen müde und legte sich auf die faule Seite. Aber auch wenn er sich auf die faule Seite legte, so blieb er doch auch in dieser Haltung ein lebendiger Vorwurf (diese Gerechtigkeit muß man ihm widerfahren lassen), und zwar um so eher, als für unser Gouvernement auch eine solche Haltung genügte. Man mußte ihn bei uns im Klub sehen, wenn er sich zum Kartenspiel hinsetzte. Seine ganze Miene besagte: »Karten! Ich setze mich mit euch zum Whist hin! Paßt das etwa zu meiner Persönlichkeit? Aber wer trägt die Verantwortung dafür? Wer hat meiner geistigen Tätigkeit einen Riegel vorgeschoben und mich gezwungen, sie dem Whist zuzuwenden? Na, dann mag Rußland zugrunde gehn!« Und er trumpfte würdevoll mit Coeur.

      In Wirklichkeit spielte er leidenschaftlich gern Karten und hatte deswegen, namentlich in der letzten Zeit, häufige scharfe Scharmützel mit Warwara Petrowna, um so mehr, da er beständig verlor. Aber davon später. Ich bemerke nur noch, daß er ein sehr gewissenhafter Mensch war (das heißt manchmal) und deswegen häufig traurig wurde. Während der ganzen zwanzigjährigen Dauer der Freundschaft mit Warwara Petrowna verfiel er drei oder viermal im Jahre in das, was man bei uns politischen Katzenjammer nennt, das heißt einfach in Hypochondrie; aber jener Ausdruck gefiel der hochachtbaren Warwara Petrowna besonders gut. In der Folge befiel ihn außer dem politischen Katzenjammer manchmal auch ein heftiger Drang zum Champagnertrinken; aber die wachsame Warwara Petrowna behütete ihn lebenslänglich vor allen unwürdigen Neigungen. Und er bedurfte auch einer solchen Kinderfrau, da er sich mitunter sehr sonderbar benahm: mitten im erhabensten Grame begann er bisweilen in der plebejischsten Weise zu lachen. Es kamen Augenblicke vor, wo er sich sogar über sich selbst humoristisch aussprach. Aber nichts mochte Warwara Petrowna so wenig leiden wie den Humor. Sie war eine klassische Mäcenatin und hatte bei allem, was sie tat, nur die höchsten Ideen im Auge. Der Einfluß, den diese hochgesinnte Dame im Laufe von zwanzig Jahren auf ihren armen Freund ausübte, war außerordentlich groß. Von ihr müßte man besonders sprechen, und das werde ich

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