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Die Dämonen. Fjodor Dostojewski
Читать онлайн.Название Die Dämonen
Год выпуска 0
isbn 9783754173145
Автор произведения Fjodor Dostojewski
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Im Jahre 1863 gelang es ihm, sich auszuzeichnen; er erhielt das Kreuz und wurde zum Unteroffizier befördert, bald darauf auch zum Offizier. Während dieser ganzen Zeit schickte Warwara Petrowna wohl hundert Briefe mit Gesuchen und Bitten nach der Hauptstadt. Sie erlaubte es sich in einem so ungewöhnlichen Falle, sich etwas zu demütigen. Nach seiner Beförderung nahm der junge Mensch auf einmal seinen Abschied, kam aber wieder nicht nach Skworeschniki und hörte völlig auf, an seine Mutter zu schreiben. Man erfuhr endlich von anderer Seite, daß er sich wieder in Petersburg befinde, in seiner früheren Gesellschaftssphäre aber gar nicht mehr anzutreffen sei; er halte sich irgendwo verborgen. Nachforschungen ergaben, daß er in einer sonderbaren Gesellschaft lebte und sich an den Abschaum der Petersburger Bevölkerung angeschlossen hatte, an stiefellose Beamte, verabschiedete Militärs, die in anständiger Form um Almosen baten, und Trunkenbolde, daß er die schmutzigen Familien dieser Leute besuchte, Tag und Nacht in obskuren Spelunken und Gott weiß was für Winkelgassen zubrachte, heruntergekommen und zerlumpt war und offenbar an diesem Leben Gefallen fand. Er bat seine Mutter nicht um Geld; er hatte ein eigenes kleines Gut, das Dörfchen, welches dem General Stawrogin gehört hatte, wenigstens einigen Ertrag gab, und das er den Gerüchten zufolge an einen Deutschen aus Sachsen verpachtet hatte. Schließlich bat ihn die Mutter inständig, zu ihr zu kommen, und Prinz Harry erschien in unserer Stadt. Das war das erstemal, wo ich ihn erblickte; bis dahin hatte ich ihn nie zu sehen bekommen.
Er war ein sehr schöner junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, und ich muß bekennen, daß ich von seiner Erscheinung überrascht war. Ich hatte erwartet, einen schmutzigen, zerlumpten, von Ausschweifungen abgemergelten, nach Branntwein riechenden Menschen vor mir zu sehen. Aber er war ganz im Gegenteil der eleganteste Gentleman, der mir je vor Augen gekommen ist, außerordentlich gut gekleidet und mit einer Haltung, wie sie nur ein an den feinsten Anstand gewöhnter Herr aufweisen kann. Und ich war nicht der einzige, welcher staunte; es staunte die ganze Stadt, der natürlich Herrn Stawrogins ganze Biographie bereits bekannt war und sogar mit solchen Details, daß man sich wundern mußte, wie sie hatten in die Öffentlichkeit gelangen können; und das wunderbarste dabei war, daß sich die Hälfte dieser Details als wahr erwies. Alle unsere Damen waren über den neuen Gast in Aufregung. Sie teilten sich in scharfer Sonderung in zwei Parteien; die einen vergötterten ihn, die andern haßten ihn tödlich; aber in Aufregung waren die einen wie die andern. Für die einen hatte es einen besonderen Reiz, daß auf seiner Seele vielleicht ein verhängnisvolles Geheimnis lastete; andere fanden entschieden Gefallen daran, daß er ein Mörder war. Es stellte sich auch heraus, daß er eine ganz hübsche Bildung und sogar einige wissenschaftliche Kenntnisse besaß. Kenntnisse waren allerdings nicht viele erforderlich, um uns in Verwunderung zu versetzen; aber er war imstande, auch über interessante Tagesfragen zu sprechen und, was dabei das wertvollste war, mit bemerkenswerter Besonnenheit. Als eine Seltsamkeit erwähne ich dies: wir alle fanden fast vom ersten Tage an, daß er ein außerordentlich vernünftiger Mensch sei. Er war ziemlich schweigsam, geschmackvoll ohne Künstelei, erstaunlich bescheiden und dabei gleichzeitig kühn und selbstvertrauend wie bei uns sonst niemand. Unsere Stutzer blickten auf ihn mit Neid und wurden von ihm vollständig in den Schatten gestellt. Auch sein Gesicht überraschte mich: das Haar war dunkelschwarz, seine hellen Augen sehr ruhig und klar, die Gesichtsfarbe sehr zart und weiß, die Röte der Wangen etwas zu grell und rein, die Zähne wie Perlen, die Lippen wie Korallen; – man glaubte, das gemalte Porträt eines schönen Mannes zu sehen, und doch wirkte sein Gesicht abstoßend. Manche sagten, sein Gesicht erinnere an eine Maske; übrigens wurde vieles geredet, unter anderm sprach man auch von seiner ungewöhnlichen Körperstärke. Was seine Natur anlangt, so konnte man ihn beinahe hochgewachsen nennen. Warwara Petrowna blickte auf ihn mit Stolz, aber auch mit steter Unruhe. Er lebte bei uns etwa ein halbes Jahr, matt, still und ziemlich mürrisch; er zeigte sich auch in der Gesellschaft und erfüllte mit steter Achtsamkeit die Vorschriften der in unserer Gouvenementsstadt herrschenden Etikette. Mit dem Gouverneur war er von Vaterseite her verwandt und wurde in seinem Hause wie ein naher Verwandter aufgenommen. Aber einige Monate waren vergangen, da zeigte die Bestie auf einmal ihre Krallen.
Ich bemerke bei dieser Gelegenheit in Parenthese, daß unser lieber, milder früherer Gouverneur Iwan Osipowitsch einige Ähnlichkeit mit einem alten Weibe hatte, aber von guter Familie war und wertvolle Konnexionen besaß, wodurch es sich auch erklärt, daß er bei uns so viele Jahre in seinem Amte verblieb, obwohl er sich gegen jede Arbeit sträubte. Wegen seiner Gastfreiheit hätte er in der guten alten Zeit zum Adelsmarschall getaugt, aber nicht zum Gouverneur in einer so unruhvollen Zeit wie die unsrige. In der Stadt hieß es beständig, das Gouvernement werde nicht von ihm verwaltet, sondern von Warwara Petrowna. Das war allerdings eine bissige Bemerkung, aber auch eine vollständige Unwahrheit. Indessen auf solche Bemerkungen wurde bei uns viel Witz verwandt. Aber Warwara Petrowna hatte sich ganz im Gegenteil in den letzten Jahren geflissentlich jeder stärkeren Einwirkung auf die Verwaltung enthalten, trotz der außerordentlichen Hochachtung, die ihr die ganze Gesellschaft entgegenbrachte, und ihre Tätigkeit freiwillig in strenge, von ihr selbst gesteckte Grenzen eingeschlossen. Statt solcher Einwirkung auf die Verwaltung hatte sie auf einmal angefangen,