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war folgendes: Die Kinder der Schwestern meiner Mutter sind ihre Kinder, und die Kinder der Brüder meines Vaters sind seine Kinder, und alle zusammen sind meine Geschwister. Dagegen sind die Kinder der Brüder meiner Mutter ihre Neffen und Nichten und die Kinder der Schwestern meines Vaters seine Neffen und Nichten, und sie alle zusammen sind meine Vettern und Cousinen. Weiter: Die Männer der Schwestern meiner Mutter sind noch ihre Männer, und die Frauen der Brüder meines Vaters sind noch seine Frauen, aber die Schwestern meines Vaters und die Brüder meiner Mutter sind von der Familiengemeinschaft ausgeschlossen und sind die Kinder derselben meine Vettern und Cousinen.

      Mit steigender Kultur entwickelt sich die Ächtung des Geschlechtsverkehrs zwischen allen Geschwistern und dehnt sich allmählich auf die entferntesten Kollateralverwandten mütterlicherseits aus. Es entsteht eine neue Blutverwandt-schaftsgruppe, die Gens, die sich in ihrer ersten Form aus einer Reihe von leiblichen und entfernteren Schwestern samt ihren Kindern und ihren leiblichen oder entfernteren Brüdern von mütterlicher Seite bildet. Die Gens hat eine Stammutter, von welcher die weiblichen Nachkommen generationsweise abstammen. Die Männer ihrer Frauen gehören nicht in die Blutverwandtschaftsgruppe, die Gens ihrer Ehefrauen, sondern sie gehören in die Gens ihrer Schwestern. Dagegen gehören die Kinder dieser Männer in die Familiengruppe ihrer Mütter, weil nach der Mutter sich die Abstammung richtet. Die Mutter ist das Haupt der Familie, und so entsteht das »Mutterrecht«, das lange Zeit für die Familien- und Erbschaftsbeziehungen die Grundlage bildet. Dementsprechend hatten auch die Frauen – solange die Abstammung von der Mutter anerkannt war – im Rate der Gens Sitz und Stimme, sie wählten mit die Sachems (Friedensvorsteher) und die Kriegshäuptlinge und setzten sie ab. Als Hannibal sein Bündnis mit den Galliern gegen Rom abschloß, sollte im Falle von Streitigkeiten mit den Verbündeten der Schiedsspruch den gallischen Matronen anvertraut werden. So groß war Hannibals Vertrauen in deren Unparteilichkeit.

      Über die Lykier, die das Mutterrecht anerkannten, sagt Herodot: »Ihre Sitten sind teils kretisch, teils karisch. Eine Sitte haben sie jedoch, in welcher sie vor jeder anderen Nation der Welt sich unterscheiden. Frage einen Lykier, wer er ist, und er gibt dir zur Antwort seinen eigenen Namen, den seiner Mutter und so weiter in der weiblichen Linie. Ja noch mehr, wenn eine Freigeborene einen Sklaven heiratet, so sind ihre Kinder freie Bürger, wenn aber ein freier Mann eine Ausländerin heiratet oder ein Kebsweib nimmt, so gehen die Kinder, auch wenn er die höchste Person im Staate ist, aller Bürgerrechte verlustig.«

      Man spricht in jener Zeit von dem matrimonium statt vom patrimonium, von mater familias statt pater familias, und das Heimatland heißt liebes Mutterland. Wie die vorhergehenden Familienformen, so beruhte auch die Gens auf der Gemeinsamkeit des Eigentums, das heißt auf kommunistischer Wirtschaftsweise. Die Frau ist die Leiterin und Führerin dieser Familiengenossenschaft, sie genießt daher auch ein hohes Ansehen sowohl im Hause wie in den Angelegenheiten der Familie beziehentlich des Stammes. Sie ist Streitschlichterin und Richterin und verrichtet die Kulterfordernisse als Priesterin. Das öfters Auftreten von Königinnen und Fürstinnen im Altertum, ihr entscheidender Einfluß auch dann, wenn ihre Söhne regieren, zum Beispiel in Ägypten, ist die Folge des Mutterrechts. In jener Periode hat die Mythologie vorwiegend weiblichen Charakter angenommen; Astarte, Demeter, Ceres, Latona, Isis, Frigga, Freia, Gerda usw. Die Frau ist unverletzlich, Muttermord ist das schwerste Verbrechen, es ruft alle Männer zur Vergeltung auf. Die Blutrache ist gemeinsame Sache der Männer des Stammes, jeder ist verpflichtet, das an einem Mitglied der Familiengenossenschaft durch Angehörige eines anderen Stammes begangene Unrecht zu rächen. Die Verteidigung der Frauen stachelt die Männer zur höchsten Tapferkeit an. So zeigten sich die Wirkungen des Mutterrechts in allen Lebensbeziehungen der alten Völker, bei den Babyloniern, den Assyrern, Ägyptern, bei den Griechen vor der Heroenzeit, bei den italischen Völkerschaften vor der Gründung Roms, den Skythen, den Galliern, den Iberern und Kantabrern, den Germanen usw. Die Frau nimmt zu jener Zeit eine Stellung ein, die sie seitdem nie mehr eingenommen hat. So sagt Tacitus in seiner »Germania«: »Die Deutschen glauben, daß dem Weibe etwas Heiliges und Prophetisches innewohne, darum achten sie des Rates der Frauen und horchen ihren Aussprüchen.« Über die Stellung der Frauen in Ägypten ist Diodor, der zur Zeit Cäsars lebte, höchlich entrüstet; er hatte erfahren, daß in Ägypten nicht die Söhne, sondern die Töchter ihre alternden Eltern ernährten. Er zuckt deshalb verächtlich über die Weiberknechte am Nil die Achseln, die den Angehörigen des schwächeren Geschlechts im häuslichen und im öffentlichen Leben Rechte einräumten und Freiheiten gestatteten, die einem Griechen oder Römer unerhört vorkommen mußten.

      Unter dem Mutterrecht herrschte im allgemeinen ein Zustand verhältnismäßigen Friedens. Die Verhältnisse waren enge und kleine, die Lebenshaltung primitiv. Die einzelnen Stämme sonderten sich voneinander ab, aber respektierten gegenseitig ihr Gebiet. Wurde ein Stamm angegriffen, so waren die Männer zur Abwehr verpflichtet, und sie wurden hierin auf das kräftigste von den Frauen unterstützt. Nach Herodot nahmen die Frauen bei den Skythen am Kampfe teil; wie er behauptet, sollte die Jungfrau erst haben heiraten dürfen, nachdem sie einen Feind erschlagen hatte. Im allgemeinen waren in der Urzeit die physischen und die geistigen Unterschiede zwischen Mann und Weib weit geringere als in unserer Gesellschaft. Bei fast allen wilden und in der Barbarei lebenden Völkern sind die Unterschiede in dem Gewicht und der Größe des Gehirns geringer als bei den Völkern in der Zivilisation. Auch stehen bei diesen Völkerschaften die Frauen an Körperkraft und Gewandtheit den Männern kaum nach. Dafür spricht nicht nur das Zeugnis der alten Schriftsteller über die Völker, die dem Mutterrecht anhingen. dafür legen auch Zeugnis ab die Frauenheere der Aschantis und des Königs von Dahome in Westafrika, die sich durch Tapferkeit und Wildheit auszeichnen. Auch Tacitus' Urteil über die Frauen der alten Germanen und die Angaben Cäsars über die Frauen der Iberer und Schotten bestätigen dieses. Kolumbus hatte vor Santa Cruz ein Gefecht mit einer indianischen Schaluppe zu bestehen, in dem die Frauen ebenso tapfer wie die Männer kämpften. Bestätigt finden wir ferner diese Auffassung bei Havelock Ellis: »Unter den Andombies am Kongo haben, nach H. H. Johnstone, die Frauen hart zu arbeiten und schwere Lasten zu schleppen, führen jedoch ein ganz glückliches Leben. Sie sind oft kräftiger als die Männer, besser entwickelt und sollen oft geradezu herrliche Gestalten besitzen. Von den Manynema des Arruwimi, in derselben Gegend, sagt Parke: ›Es sind schöne Geschöpfe, besonders sind die Frauen sehr hübsch und können ebenso schwere Lasten tragen wie die Männer.‹ In Nordamerika sagte ein Indianerhäuptling zu Hearne: ›Die Weiber sind zur Arbeit geschaffen, eine von ihnen kann so viel tragen oder heben wie zwei Männer.‹ Schellong, der die Papuaner in dem deutschen Schutzgebiet von Neuguinea vom anthropologischen Standpunkte aus sorgfältig untersucht hat, fand die Frauen stärker gebaut als die Männer. In Zentralaustralien kommt es gelegentlich wohl vor, daß Männer ihre Frauen aus Eifersucht schlagen, aber bei solchen Anlässen ereignet es sich nicht selten, daß die Frau sich revanchiert und ohne Beihilfe dem Manne eine tüchtige Tracht Schläge verabfolgt. In Kuba fochten die Frauen an der Seite der Männer und erfreuten sich einer großen Unabhängigkeit. Bei einigen indischen Rassen, sowie bei den Pueblos Nordamerikas und den Patagoniern sind die Frauen ebenso groß wie die Männer, und auch bei den Russen besteht, was Körperlänge anbetrifft, kein so großer Unterschied zwischen den Geschlechtern wie bei Engländern oder Franzosen.

      Aber auch in der Gens führten die Frauen unter Umständen ein strenges Regiment, und wehe dem Manne, der zu träge oder zu ungeschickt war, um sein Teil zum allgemeinen Unterhalt beizutragen. Ihm wurde die Tür gewiesen, und entweder kehrte er zu seiner Gens zurück, in der man ihn schwerlich freundlich aufnahm, oder er trat in eine andere Gens, in der man duldsamer gegen ihn war.

      Daß diesen Charakter noch heute das Eheleben der Eingeborenen im Innern Afrikas hat, erfuhr zu seiner großen Überraschung Livingstone, wie er in seinen »Missionary travels and researches in southern Africa«, London 1857, erzählt. Am Sambesi traf er auf die Balonda, einen schönen und kräftigen, ackerbautreibenden Negerstamm, bei dem er die ihm anfangs unglaublich geschienenen Mitteilungen der Portugiesen bestätigt fand, wonach die Frauen eine bevorzugte Stellung genießen. Sie sitzen im Rat; ein junger Mann, der heiratet, muß von seinem Dorf in das der Frau wandern; er verpflichtet sich dabei, die Mutter seiner Frau lebenslang mit Brennholz zu versorgen, falls es aber zur Trennung kommt, bleiben die Kinder das Eigentum der Mutter. Dagegen muß die Frau für die Nahrung des Mannes sorgen. Obgleich es nun zeitweilig zu kleinen Streitigkeiten zwischen Männern

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