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bringen.

      (Bei dieser Gelegenheit sei noch bemerkt: vor einer Mauer geben sich solche Herrschaften, d. h. die Unmittelbaren und die Tatmenschen, bedenkenlos geschlagen. Für sie ist die Mauer kein Einspruch, wie z. B. für uns denkende und folglich tatenlose Menschen; kein Vorwand, auf dem Wege umzukehren, ein Vorwand, der für unsereinen meistens unglaubwürdig, aber stets willkommen ist. Nein, sie geben sich bedenkenlos geschlagen. Die Mauer ist für sie stets etwas Beruhigendes, moralisch Eindeutiges und Endgültiges, meinetwegen sogar etwas Mystisches … Doch von der Mauer später.) Also gerade diesen unmittelbaren Menschen halte ich für den eigentlichen, den normalen Menschen, wie ihn die zärtliche Mutter Natur selbst wollte, als sie ihn liebenswürdigerweise auf Erden entstehen ließ. Solch einen Menschen beneide ich bis zur grünen Galle. Er ist dumm. Darüber will ich mit Ihnen nicht streiten, vielleicht muß der normale Mensch dumm sein, woher wollen Sie das wissen? Vielleicht ist das sogar ganz schön. Ich bin um so mehr von diesem, sozusagen, Argwohn überzeugt, weil – nehmen wir beispielsweise die Antithese des normalen Menschen, d. h. den überbewußten Menschen, der selbstverständlich nicht dem Schoße der Natur, sondern der Retorte entsprungen ist (das ist schon fast Mystizismus, meine Herrschaften; ich argwöhne auch das) –, weil dieser Retortenmensch zuweilen dermaßen vor seiner Antithese versagt, daß er sich selbst samt seinem Überbewußtsein in aller Aufrichtigkeit für eine Maus hält, nicht aber für einen Menschen. Mag er auch eine überbewußte Maus sein, er ist doch nur eine Maus, jener aber ist ein Mensch, daraus folgt alles andere. Die Hauptsache aber, er selbst hält sich für eine Maus; keiner verlangt es von ihm; und das ist ein wichtiger Umstand. Betrachten wir nun diese Maus in Aktion. Nehmen wir zum Beispiel an, daß sie auch beleidigt ist (und sie ist fast immer beleidigt) und sich gleichfalls rächen will. Bosheit kann sich in ihr noch mehr ansammeln als in dem homme de la nature et de la vérité . Der gemeine niedrige Wunsch, dem Beleidiger mit derselben Münze heimzuzahlen, macht sich in ihr noch widerlicher bemerkbar als in dem homme de la nature et de la vérité, denn dieser homme de la nature et de la vérité hält bei seiner angeborenen Dummheit die Rache ganz einfach für Gerechtigkeit; die Maus aber muß infolge ihres gesteigerten Bewußtseins eine solche Gerechtigkeit verneinen. Endlich kommt es zur Ausführung, zum Racheakt selbst. Die unglückliche Maus hat es bereits fertiggebracht, außer der einen ursprünglichen Gemeinheit noch so viele neue Gemeinheiten in Gestalt von Fragen und Zweifeln aufzutürmen, sie hat an die eine Frage so viele ungelöste Fragen gereiht, daß sich um sie herum notwendig eine verhängnisvolle Pfütze ansammelt, ein stinkender Schlamm, bestehend aus ihren Zweifeln, ihrer Erregung und schließlich aus dem Geifer, der auf sie von all den unmittelbaren Tatmenschen niederregnet, die sie als Richter und Diktatoren in feierlichem Kreise umgeben und aus vollem Halse über sie lachen. Selbstverständlich bleibt ihr nichts anderes zu tun übrig, als mit ihrem Pfötchen eine geringschätzige Gebärde zu machen und mit einem Lächeln vorgetäuschter Verachtung, an die sie selbst nicht glaubt, schmählich in ihr Mauseloch zurückzuschlüpfen. Dort, in ihrem scheußlichen stinkenden Kellerloch, versinkt unsere beleidigte, geprügelte und verhöhnte Maus unverzüglich in kalte, giftige und vor allen Dingen ewig andauernde Bosheit. Volle vierzig Jahre wird sie sich bis in die letzten, schmählichsten Einzelheiten der Kränkung erinnern und dabei jedesmal von sich aus noch schimpflichere Details hinzufügen, sich mit ihrer eigenen Phantasie boshaft verspottend und reizend. Sie wird sich ihrer Phantasie schämen, trotzdem aber alles behalten, alles auskosten, wird sich selbst unerhört verleumden unter dem Vorwand, daß dies alles ja ebensogut hätte wirklich geschehen können, und wird nichts, aber auch nichts verzeihen. Am Ende wird sie auch anfangen sich zu rächen, doch irgendwie sporadisch, kurzatmig, hinter dem Ofen hervor, inkognito, ohne sich das Recht auf Rache zuzugestehen, ohne an den Erfolg der Rache zu glauben, und im voraus wissend, daß sie selbst unter all ihren Bemühungen hundertmal mehr leiden wird als der, an dem sie sich rächen will, ja, daß dieser vielleicht nicht einmal etwas spüren wird. Auf dem Sterbebett wird sie sich wiederum des Ganzen erinnern, einschließlich aller in der Zwischenzeit hinzugekommenen Prozente und … Aber gerade in dieser kalten ekelhaften Halbverzweiflung, in diesem Halbglauben, in diesem leidvollen bewußten Sich-selbst-lebendig-Begraben, in einem Kellerloch auf volle vierzig Jahre, in dieser mit größtem Aufwand ausgeklügelten und dennoch zum Teil zweifelhaften Aussichtslosigkeit, in all dem Gift ungestillten, im Innern gestauten Begehrens, in diesem Fieber eines Schwankens zwischen auf ewig gefaßten Entschlüssen und im Augenblick auftretender Reue – darin, gerade darin liegt die Essenz jenes sonderbaren Genusses, von dem ich sprach. Er ist derart fein und dem Bewußtsein zuweilen so verborgen, daß auch die nur um ein weniges beschränkteren Menschen, ja sogar einfach Menschen mit starken Nerven, überhaupt nichts davon verstehen. Vielleicht können auch diejenigen nichts davon verstehen, werden Sie wohl mit einem spöttischen Lächeln hinzufügen, die niemals Ohrfeigen bekommen haben, und wollen mir auf diese Weise höflich zu verstehen geben, daß vielleicht auch ich schon in meinem Leben eine Ohrfeige bekommen habe und darum aus Erfahrung spreche. Ich könnte wetten, daß Sie das denken. Aber beruhigen Sie sich, meine Herrschaften, ich habe niemals Ohrfeigen bekommen, obwohl es mir vollkommen gleichgültig ist, was Sie darüber denken. Ich bedaure vielleicht, daß ich selbst in meinem Leben wenig Ohrfeigen ausgeteilt habe, aber genug, kein Wort mehr über dieses für Sie so ungemein interessante Thema.

      Ich fahre ruhig fort, über die Menschen mit starken Nerven zu sprechen, denen ein gewisser erlesener Genuß unzugänglich bleibt. Diese Herrschaften brüllen zwar beispielsweise in bestimmten Fällen wie die Ochsen, aus vollem Halse, was ihnen meinetwegen die größte Ehre einbringt, aber, wie ich bereits erwähnte, beruhigen sie sich sofort vor jeder Unmöglichkeit. Eine Unmöglichkeit – also eine Mauer! Was für eine Mauer? Nun, versteht sich, Naturgesetze, naturwissenschaftliche Ergebnisse, Mathematik. Hat man dir einmal zum Beispiel bewiesen, daß du vom Affen abstammst, so darfst du nicht einmal die Nase rümpfen, sondern hast es hinzunehmen, wie es ist. Hat man dir bewiesen, daß ein einziges Tröpfchen deines eigenen Fettes dir teurer sein muß als Hunderttausend deinesgleichen und daß diese Einsicht schließlich alle sogenannten Tugenden und Pflichten und sonstige Spinnereien und Vorurteile aufklärt, so mußt du das ruhig hinnehmen, nichts dagegen zu machen, denn zwei mal zwei – ist Mathematik. Versuchen Sie, es zu widerlegen.

      »Gestatten Sie«, wird man Ihnen zurufen, »dagegen gibt es keine Auflehnung: das ist Zwei-mal-zwei-gleich-vier! Die Natur wird sich nach Ihnen nicht richten; was gehen die Natur Ihre Wünsche an und ob ihre Gesetze Ihnen gefallen oder mißfallen. Sie müssen die Natur so nehmen, wie sie ist, und folglich auch ihre Resultate. Mauer bleibt also Mauer … usw. usw.« Herrgott, was gehen mich aber die Naturgesetze und die Arithmetik an, wenn mir diese Gesetze und das Zwei-mal-zwei-gleich-vier nicht gefallen? Versteht sich, ich werde in eine solche Mauer mit der Stirn keine Bresche schlagen können, wenn ich tatsächlich die Kraft dazu nicht habe, aber ich werde mich mit ihr auch nicht abfinden, bloß, weil ich vor einer Mauer stehe und meine Kräfte nicht ausreichen.

      Als ob eine solche Mauer tatsächlich eine Beruhigung wäre, als ob sie den geringsten Trost enthielte, einzig, weil sie Zwei-mal-zwei-gleich-vier ist. Oh, Ungereimtheit aller Ungereimtheiten! Eine ganz andere Sache ist es doch: alles verstehen, alles einsehen, alle Unmöglichkeiten und alle Mauern; mit keiner Unmöglichkeit und mit keiner Mauer sich zufriedengeben, wenn einem das Sich-Zufriedengeben zuwider ist, mittels unausweichlicher logischer Kombinationen zu den allerwiderlichsten Schlüssen gelangen über das ewige Thema, daß man sogar an der Mauer irgendwie selbst schuld ist, obgleich es sich mit größter Klarheit zeigt, daß man durchaus schuldlos ist, infolgedessen schweigend und machtlos zähneknirschend wollüstig in Trägheit verweilen in dem Gedanken, daß es nicht einmal einen Grund gibt, sich über jemanden zu ärgern; daß überhaupt kein Objekt vorhanden ist und sich wahrscheinlich nie eines finden lassen wird, daß hier eine Täuschung vorliegt, eine Falschspielerei, einfach Schlamm – unbekannt was, unbekannt wer, aber ungeachtet all der Unsicherheit und Täuschung leidet man doch, und je mehr einem unbekannt ist, um so mehr leidet man.

       IV

      »Ha-ha-ha! Dann werden Sie ja auch an Zahnschmerzen Genuß finden!« werden Sie lachend ausrufen.

      Warum nicht, auch im Zahnschmerz liegt ein Genuß, antworte ich. Einmal habe ich einen ganzen Monat Zahnschmerzen gehabt; ich weiß, daß es das gibt. Hierbei leidet man natürlich nicht stumm – man

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