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ist sanft und still und geduldig – und nur gar zu emsig – wäre nicht der ganze Heerbann der Hölle in der Gestalt des Venners gegen unser kleines Gartenhaus des Glücks angerückt, um es abzudecken: Herr Rat, wir hätten lange froh darin gehauset bis weit in den Winter unserer Jahre. Denn meine Lenette ist gut, und zu gut für mich und für viele andere.« – Hier umgürtete der gerührte Stiefel ihre mit dem Knaul gefüllte Hand am Sitz des Pulses mit seinen fünf Fingern – denn die leere hatte der Mann –; und das Wundwasser für unsere Schmerzen, dessen große Tropfen, durch die gebundnen Hände nicht verwischt, aus ihren gesenkten Augen zitternd auf die Wangen zogen, machte die männlichen Herzen unendlich weich; ohnehin konnte ihr Mann niemand lange loben, ohne daß ihm die Augen überflossen. Er fuhr schneller fort: »Sie sollt' es auch recht gut bei mir haben, aber mein Mütterliches wurde mir so grausam vorenthalten. Und auch da noch hätte ich sie ohne Erbschaft glücklich gemacht wie sie mich, wir hatten keinen Zwist, keinen einzigen trüben Augenblick – nicht wahr, Lenette, nichts als Ruh' und Liebe hatten wir – bis der Venner kam! – Der nahm uns viel.« – Der Schulrat hob erboset die geballte Faust in die Lüfte und sagte, mit ihr in diese hauend: »Du Höllenkind! Du Räuberhauptmann und Flibustier! Du seidner Katilina und Schadenfroh! – Gedenkst du das und deine andern Streiche einmal zu verantworten? – – Hr. Armenadvokat, das erwart' ich wenigstens von Ihnen, daß Sie, wenn er wieder um Haare ansucht, ihn bei seinen Haaren hinausgeleiten oder dieser Pelz-Made, wie Sie selber sagen, mit einem Stiefelknecht auf die Achsel klopfen und mit einer Beißzange die Hand drücken – mit einem Worte, ich leid' ihn nicht mehr hier.«

      Und hier schob Siebenkäs, um fremde und eigne Rührung auszukühlen, die Nachricht ein, er habe alles schon getan und dem Venner die nötigen Inhibitoriales übermacht. Der Pelzstiefel schnalzte freudig mit der Zunge und nickte billigend mit dem Kopfe; denn eine hohe Obrigkeit war ihm zwar Christi Unterkönig, und ein Graf ein Halbgott, und ein Kaiser ein ganzer; aber eine einzige Todsünde, die einer von ihnen beging, kostete diesem seine ganze gebückte Freundschaft, und gegen einen lateinischen Donatschnitzer, der sogar aus einem kronengold-haltigen Kopfe gekommen wäre, hätt' er sich ohne Bedenken in einem ganzen lateinischen Osterprogramma aufgemacht. Der Weltmann behauptet den aufrechten Anstand und die gekrümmte Seele; der Schulmann hat oft beide nicht. Lenettens letzte Wolken verzogen sich alle, da sie hörte, daß dem Venner ein papierner Verwahrstock und spanischer Reiter unter ihre Stubentüre gesetzt worden. »Nun fleucht er also von mir! Dem Erlöser sei Dank! Er leugt und treugt ja auch überall«, sagte Lenette. – »So spricht man eigentlich nicht, ausgenommen schnitzerhaft, Frau Armenadvokatin, denn die unregelmäßigen Zeitwörter kriechen, lügen, gießen, riechen, ziehen, die als verba anomala im Imperfecto kroch, trog, log und so weiter haben, werden von guten deutschen Grammatikern im Praesens durchaus regelmäßig gebeugt, nämlich flektieret – nur die Dichter machen ihre Ausnahmen wie leider überall – und jeder sagt daher vernünftig: man lügt, kriecht, trügt, nämlich in der gegenwärtigen Zeit.«

      – »Lassen Sie doch«, sagte Siebenkäs, »meiner guten Augsburgerin ihre lutherischen Beugungen; sie tut mir ordentlich damit sanft, mit solchen unregelmäßigen Zeitwörtern; sie sind ja schmalkaldische Artikel aus der augsburgischen Konfession.« – Hier zog sie das Ohr ihres Mannes freundlich an ihren Mund herab und sagte: »Was koch' ich abends? – Du könntest es aber dem Herrn wohl sagen, daß ichs mit meinen Reden ja gut gemeint. – Und frage doch, mein lieber Firmian, wenn ich draußen bin, den geistlichen Herrn, ob unsere Ehe in der Hl. Schrift recht erlaubt ist.« Er fragte sogleich jetzo; der Pelzstiefel antwortete langsam: »Wenn man auch nichts erwägt als das Beispiel der Lea, die anonym unter dem Pseudo-Namen Rahel noch in der Hochzeitnacht dem Jakob zugeschoben worden und deren Ehe die Bibel gutgeheißen: so wär' uns das schon genug; wechseln denn aber die Namen oder die Leiber Ringe? und kann denn der Zweck der Ehe von einem Namen erreicht werden?« – Ein gegen ihn aufgehobenes, in Milde zergangenes Angesicht und ein demütiges Auge voll Heiterkeit waren Lenettens Antwort auf seine Frage und ihr Dank für seinen Konsistorialbescheid.

      Sie ging in die Küche, kam aber unaufhörlich wieder, um immer an den Tisch, woran beide Männer saßen, zu treten und das Licht zu schneuzen – was wohl niemand in der ganzen Stube ihr als eine besondere Sehnsucht und Dankbarkeit für Stiefel auslegen wird als höchstens ich und der Advokat –; der Schulrat inzwischen entriß ihr beständig die Lichtschere und beteuerte: es sei seine Schuldigkeit. Siebenkäs sah wohl, daß Stiefels beide Nebenplaneten von Augäpfeln sich immer um seinen Uranus (Lenetten) drehten; aber er vergönnte gern dem lateinischen Ritter dieses von einer Dulzinee versüßte Ritteralter und vergab, wie meistens die Männer, einem Nebenbuhler eher als einer Ungetreuen – wie die Weiber hingegen mehr die Nebenbuhlerin hassen als den Ungetreuen –; er wußte noch dazu, daß Stiefel selber nicht wisse, was oder wen er wolle und liebe, und daß er alle Schulleute und Autoren leichter rezensiere als sich; denn so hielt der Rat z. B. seinen Zorn für Amteifer, seinen Stolz für Amtwürde, sein Leben für ein tägliches Sterben, seine Leidenschaften für Schwachheitsünden und diesesmal seine Liebe für Menschenliebe. Lenettens Treue war vom Schlußstein der Religion fest gewölbt, und durch des Venners Erschütterung hatte sich das hl. Kirchengewölbe nicht im geringsten gesenkt.

      Jetzo watete der Postbote herauf mit einem neuen Sternbilde, das er in den friedlichen Familien-Himmel setzte, mit diesem Briefe von Leibgeber:

      Baireuth,

       den 21. September 1785

      Mein lieber Bruder und Vetter und Oheim

       und Vater und Sohn!

      Denn Deine zwei Herzohren und zwei Herzkammern sind mein ganzer Sippschaftbaum; wie Adam, wenn er spazieren ging, seine ganze künftige Blutverwandtschaft und seine lange niedersteigende Linie – noch ist sie nicht ausgezogen und zu Ende rastriert – bei sich führte, bis er Vater wurde und seine Frau zeugte. Wollte Gott, ich wäre der erste Adam gewesen!... Siebenkäs, ich beschwöre Dich, laß mich diesem Gedanken besessen nachsetzen und im ganzen Briefe kein Wort weiter vorbringen, als was das Kniestück von mir als erstem Menschenvater weiter malt! –

      Gelehrte kennen mich wenig, welche vermuten, ich wünsche deshalb der Adam zu sein, weil Pufendorf und viele andere mir die ganze Erde als eine europäische Besitzung im Indien des Universums, als mein patrimonium Petri, Pauli, Judae und übriger Apostel rechtlich zuerkennen, indem ich als der einzige Adam und Mensch, folglich als der erste und letzte Universalmonarch, wenn auch noch ohne Untertanen, auf die ganze Erde Anspruch machen konnte und durfte. An solche Dinge mag wohl der Papst als heiliger, wenn auch nicht erster Vater denken, oder er hat schon vor Jahrhunderten daran gedacht, da er sich als den Majorat- und Erbherrn aller der Erde einverleibten Länder aufstellte, ja sich nicht einmal schämte, auf seine Erdenkrone noch ein Paar. eine Himmel- und eine Höllenkrone, zu türmen.

      Wie wenig will ich haben! Bloß darum hätt' ich der alte und älteste Adam sein mögen, um an meinem Hochzeitabend mit der Eva außen am Spalier des Paradieses in unsern grünen Tändelschürzen und in unsern Pelzen auf und ab zu spazieren und eine hebräische Hochzeitrede an die Mutter aller Menschen zu halten.

      Eh' ich die Rede anfange, merk' ich an, daß ich vor meinem Falle den überaus glücklichen Gedanken gehabt, das Vorzüglichste von meiner Allwissenheit aufzunotieren. – Denn ich hatte im Stande der Unschuld alle Wissenschaften innen, die Universal- wie die Gelehrtenhistorie, die verschiedenen peinlichen und andern Rechte und die alten toten Sprachen sowohl als die lebendigen und war gleichsam ein lebendiger Pindus und Pegasus, eine tragbare Loge zum hohen Licht und gelehrte Gesellschaft und ein Taschen-Musensitz und kurzes goldnes Siècle de Louis XIV – bei dem Verstande also, den ich hatte, wars damals weniger ein Wunder als ein Glück, daß ich das Beste von meiner Allwissenheit in müßigen Stunden zu Papier brachte: – als ich nachher fiel und einfältig wurde, hatt' ich die Exzerpten oder ein räsonierendes Verzeichnis meines vorigen Wissens in Händen und schöpfte daraus.

      »Jungfer!« – so fing ich hinter dem Paradies den Sermon an – »wir sind zwar die ersten Eltern und gesonnen, die andern Eltern zu zeugen; aber du denkst an nichts, wenn du nur mit deinem Löffel in einen verbotenen Äpfel-Mus fahren kannst. Ich als Mann und Protoplast sinne nach und will heute im Auf- und Abgehen der Hochzeitprediger und Strohkranzredner – ich wollt', ich hätte mir einen fremden dazu gezeugt – bei unserer

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