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um 8 Uhr schritten sie sans façon in das Haus des Herrn v. Blaise (oder deutsch: Blasius) hinein. Alles war still und öde: sie gingen über einen leeren Hausplatz in einen leeren Gesellschaftsaal, dessen halboffne Flügeltüre in die Hauskapelle sehen ließ. Sie erblickten durch die Fuge bloß sechs Stühle, auf deren jedem ein aufgeschlagenes umgestürztes Gesangbuch lag, und einen wachstuchenen Tisch mit Müllers »Himmlischem Seelenkuß« und Schlichthabers »Fünffachen Dispositionen auf alle Sonn- und Festtage«. Sie drückten sich durch die lange Ritze, und siehe, oben an der Tafel saß einsam der Heimlicher und setzte schlafend seine Andacht fort, mit der Federmütze unter dem Arm. Seine Haus- und Kirchendiener hatten ihm nämlich (und das geschah sonntäglich) so lange vorgelesen, bis ihn der Schlaf zu einem Petrefakt oder einer Salzsäule gehärtet hatte, weil ihm sowohl die gegessene als die getrunkene und die geistige Nahrung die Augen so schwer machte als den Kopf – oder auch, weil er wie alle Zuhörer unter dem Anwurf des göttlichen Samens gern die Augen zumachte, wie Leute, die sich pudern lassen – oder weil Hauskapellen und Hauptkirchen noch den alten Tempeln gleichen, worin man die Orakel-Belehrungen schlafend empfing. Alsdann lasen die Bedienten immer leiser, um ihn allmählich an das Verstummen zu gewöhnen. Dann ließ ihn die andächtige Dienerschaft in seiner betenden Richtung bis um 10 Uhr auf dem Stuhlbette angelehnt, und alles wanderte leise davon; um 10 Uhr (wo ohnehin die Frau Heimlicherin von Visiten wiederkam) schrie ihn der Hausküster mit Beistand des Nachtwächters durch ein grelles Amen auf einmal aus dem Schlafe, und er setzte wieder etwas auf den kalten Kopf. – –

      Heute fiels anders aus. Leibgeber klopfte mit dem Zwickel des Zeigefingers einige Male stark auf den Tisch, um den Vater des Marktfleckens aus dem ersten Schlafe zu bringen. Als der bei seinem Lever die beiden hagern Parodien und Kopeien voneinander erblickte: nahm er in der Bier- und Schlaftrunkenheit statt der entfallnen Mütze bloß eine gläserne Perücke herab vom Perücken-Kopf und setzte sie auf den seinigen. Sein Mündel redete ihn freundlich an und sagte, er woll' ihm hier seinen Freund vorstellen, mit dem er Namen troquiert und verstochen habe. Auch benennte er den Heimlicher gnädiger Herr Vetter und Pfleger. Leibgeber, wilder und erzürnter, weil er jünger war und weil die Ungerechtigkeit nicht ihn selber betraf, feuerte um drei unhöfliche Schritte näher vor den Ohren die Frage ab: »Wen von uns beiden haben Ew. Gnaden denn eigentlich pro mortuo erkläret, um ihn als einen Toten besser vorzuladen? – Hier erscheinen zwei Gespenster auf einmal.« – – Blaise wendete sich stolz von Leibgeber zu Siebenkäs und sagte: »Wenn Sie nicht, mein Herr, die Kleidung so umgetauscht haben wie Dero Namen: so sind Sie die werte Person, mit der ich bisher die Ehre hatte, öfters zu sprechen. – Oder sind Sie es vielleicht doch?« sagte er zu Leibgeber, der wie besessen schüttelte. »Nun – fuhr er viel freundlicher fort – muß ich Ihnen gestehen, Hr. Siebenkäs, daß ich wirklich bisher der Meinung lebte, daß Sie dieselbe Person seien, die vor zehn Jahren von hier die Akademie bezogen und deren kleine Erbschaft ich in meine Tutel oder eigentlich Kuratel genommen. Zu meinem Irrtum, wenn es einer war, trug wohl die Ähnlichkeit das meiste bei, die Sie, mein Herr, mit meinem verschollenen Pupill praeter propter zu haben scheinen; denn manche tertia comparationis gehen Ihnen doch ab, z. B. ein Feuermal neben dem Ohr.«

      »Das dumme Mal«, fuhr Leibgeber dazwischen, »hat er bloß meinetwegen mit einer Kröte ausgewischt, weils wie ein Eselohr aussah und weil er nicht dachte, daß er mit dem Ohre zugleich einen Verwandten verscherze.« – »Das kann sein«, sagte kalt der Vormund, »Sie müssen mir bezeugen, Hr. Advokat, daß ich schon gesonnen war, Ihnen heute die Erbschaft auszuzahlen; denn Ihre Versicherung, daß Sie Ihren väterlichen Namen mit einem wildfremden vertauschst, konnt' ich nach Ihrem jokosen Humor recht gut bloß für Scherz nehmen. Ich erfahr' aber in der vorigen Woche, daß Sie sich wirklich als Hr. Siebenkäs proklamieren und kopulieren lassen und mehr dergleichen. Nun sprach ich mit dem Hrn. Großweibel (Präsidenten) der Erbschaftkammer, meinem Schwiegersohn, Hrn. v. Knärnschilder, aus der Sache, der mir sagte, ich würde gegen meine Pflicht und meine eigne Sicherheit verstoßen, wenn ich die Erbschaftmasse wirklich aus den Händen gäbe. ›Was wollten Sie exzipieren – sagt' er ganz recht –, wenn einmal der wahre Inhaber des Namens erschiene und ihnen die zweite Extradierung der Pupillengelder abfoderte?‹ – Und in der Tat wäre es zu hart für einen Mann, der bei so vielen Geschäften sich der beschwerlichen Kuratel, die ihm die Gesetze erlassen, bloß aus Liebe zu seinem Verwandten und aus BruderliebeEr nennt die Menschen, wie viele Herrnhuter und Mönche und Fürsten einander, seine Brüder, aber vielleicht mit Recht, da er sie ebenso gut wie ein morgenländischer Fürst die seinigen behandelt, ja noch viel sanfter dazu, ohne körperliches Köpfen, Blenden und Verschneiden bei einigem geistigen. gegen alle seine Mitbrüder unterzogen, zu hart wär' es, sag' ich, wenn er dafür zum Lohne dieselbe Summe noch einmal aus seinem eignen Beutel zahlen müßte. – Inzwischen, Hr. Advokat Siebenkäs, da ich für mich als Privatperson die Rechtmäßigkeit Ihrer Foderungen vielleicht mehr einräume, als Sie denken, da Sie aber als Rechtsgelehrter recht gut wissen, daß eine individuelle Überzeugung noch immer keinen legalen Rechtsgrund abgibt, und daß ich hier nicht als Mensch, sondern als Tutor handeln muß: so wär's wohl am besten, einer für meine Wünsche weniger parteiischen Mittelperson, nämlich der Erbschaftkammer, die Entscheidung zu überlassen. Machen Sie mir nur bald, Hr. Advokat Siebenkäs«, endigte er lächelnder und die Hand auf dessen Schulter legend, »das Vergnügen, das gerichtlich bewiesen zu sehen, was ich bloß wünsche, daß Sie mein so lange verschollener Vetter Leibgeber sind.«

      – »Sollte denn«, sagte Leibgeber grimmig-gelassen und mit verschiedenen Läufern und Fugen auf dem Farbenklavier des Gesichts, »die kleine Ähnlichkeit, die Hr. Siebenkäs da mit – sich selber hat, nämlich mit Dero Hrn. Pupill, sollte die nichts beweisend verfangen, wie eine ähnliche Ähnlichkeit bei der comparatio litterarum?« – »Allerdings«, sagte Blasius, »etwas, aber alles nicht: denn es gab viele Pseudo-Neros, und drei oder vier Pseudo-Sebastiane in Portugal – und wenn Sie nun selber mein Hr. Vetter wären, Hr. Leibgeber?«

      Dieser sprang schnell mit verändertem freudigen Tone auf und sagte: »Das bin ich auch, mein teuerster Hr. Vormund – es war nur alles Probe – und verzeihen Sie meinem Freunde da die kleine Verstellung.« – »Alles ganz wohl«, versetzte er aufgeblasener; »aber Ihre eigenen Winkelzüge, meine Herren, müssen Sie nun doch von der Notwendigkeit einer obrigkeitlichen Indagation überführen.«

      Das überwältigte den Armenadvokaten; – er drückte die Hand seines Freundes, damit sich dieser bezähmte, und fragte mit einer vom Gefühle fremden Hasses ordentlich niedergedrückten Stimme: »Haben Sie nie nach Leipzig an mich geschrieben?« – »Wenn Sie mein Mündel sind«, versetzte Blasius, »jawohl mehrmal; sind Sie es nicht, so haben Sie meine Briefe bloß auf eine andere Weise.« Nun sagt' er noch weicher stammelnd: »Erinnern Sie sich keines Schreibens, worin Sie mir die Gefahrlosigkeit meines Namentausches versicherten, gar keines?« – »Wahrhaftig, das ist lächerlich«, versetzte Blaise, »dann wäre die streitige Sache ja eben entschieden.«

      Hier legte Leibgeber an den Vater der Stadt die zehn Finger wie Nietnägel und erfaßte jede Achsel wie einen Sattelknopf und machte ihn durch die Händeklammern an den Sessel fest und rollte die Worte heraus: »Kein Schreiben? keines, keines, alter ehrlicher grauer Schelm? – Grunze nicht, ich erdrossele dich! Keines, o du treuer Gott! – Rühr dich nicht, Tutor, mein Hund reißt dir die Kehle heraus – antworte leise – kein Schreiben hast erhalten, sagst du?« –

      »Gern sag' ich nichts«, lispelte Blasius, »da ja ohnehin im Zwange kein Zeugnis gelten kann.« Jetzo zog Siebenkäs seinen Freund von ihm weg, aber dieser sagte zum Saufinder: »Mordax, hui Sau!- hob vom Staatsdiener die gläserne Perücke ab und brach die wichtigsten Locken aus und sagte – der Saufinder lag sprungrecht – zu Siebenkäs: »Schraub ihn fest, weils der Hund nicht tun soll, damit er mir zuhört, ich will ihm Fleuretten vorsagen, und laß ihn nicht Pap sagen. – Hr. Heimlicher, geborner von Blasius, meine Absicht ist hier gar nicht, Ihnen Injurien anzutun oder gar improvisierte Pasquille vorzusagen, sondern ich will Sie vielmehr einen alten Spitzbuben nennen – einen etwanigen Waisen-Räuber – einen befirnisten Schelm und was dergleichen mehr ist, als z. B. einen polnischen Bären, dessen Fährte wie eine MenschenspurDieselbe raubende und würgende Tatze verbirgt sich bei beiden unter dem Schein eines Menschentritts. aussieht. Solche Titel, die ich hier brauche, als Schelm – Judas – Strick« (er schlug bei jedem Worte den gläsernen Turban als ein Becken bei

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