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nach der Zeremonie nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten. Da allerdings heute Samstag war, waren die meisten Babys schon bei ihren neuen Familien untergekommen und nur noch wenige Bettchen waren belegt. Schaudernd stellte ich mir Leo in einem dieser kalten einsamen Räume vor, verdrängte den Gedanken aber schnell wieder aus meinem Kopf. So weit war es ja zum Glück nicht gekommen. In einem anderen Zimmer konnte ich einen gemütlich aussehenden Sessel sehen und ungefähr in der Mitte des Ganges kamen uns zwei Jungs entgegen, die garantiert keine Preisrichter, sondern wohl eher Ardesianer waren, die ebenfalls zur morgigen Probe angereist waren. Am anderen Ende des Flurs kam Ardan schließlich zu einem Halt. Er zeigte mit seiner Hand zur rechten Tür und sagte: „Das ist dein Raum.

      Da er keine Anstalten machte, diesen zu betreten, gab ich mir einen Ruck und öffnete die Tür. Das Zimmer war etwa so groß wie die Wohnung meiner Mutter und beinhaltete vier dunkelbraune Betten, einen Tisch und zwei gemütlich aussehenden Sessel, von denen ich einen schon im anderen Raum gesehen hatte. Auf drei Betten waren bereits, so schien es mir, die Inhalte von Beuteln, ähnlich dem meinen, ausgeschüttet und verbreitet worden. Das vierte Bett am von samtenen grünen Vorhängen umrahmten Fenster allerding war noch unberührt und so ging ich davon aus, dass es für eine Nacht das meine sein würde.

      „Deine Zimmergenossen sind wahrscheinlich gerade beim Abendbrot. Da uns aber bewusste war, dass wir so spät ankommen würden, haben wir dir etwas bringen lassen.“ Er deutete auf ein silbernes Tablett. „Morgen wird dich jemand zum Frühstück holen, alles weitere wird dir dann dort erklärt.“

      Ich nickte und machte einen unsicheren Schritt in den Raum hinein.

      „Gute Nacht, Zelda. Wir sehen uns morgen.“ Mit einem Lächeln schloss er die Tür hinter sich.

      Erschöpft durchquerte ich das mit ebenfalls grünem Teppichboden ausgelegte Zimmer und ließ mich auf der weichen weißen Bettdecke nieder. Obwohl die Müdigkeit mir die Augen schwer machte, zwang ich mich dazu, einen Blick auf das Tablett zu werfen. Dort lagen Scheiben von einem Brot, das ich so noch nicht gesehen hatte, weiß und fluffig, und bei dessen Duft mir der Magen knurrte. Also nahm ich etwas von dem noch warmen Brot in den Mund und begann zu kauen. Noch nie hatte ich so etwas köstliches probiert. Das warme Gebäck schmolz regelrecht auf meiner Zunge. Erst als ich alles aufgegessen hatte, entdeckte ich auf dem Tablett ein Glas voll Milch, die ebenfalls viel süßer und fetter schmeckte als die Milch, die ich von Zuhause gewohnt war. Satt und müde legte ich mich auf das Bett, machte das Licht aus und als ich merkte, dass die Lichter der Stadt immer noch zu hell waren, schloss ich auch diese mit dem Zuziehen der schweren Vorhängen aus. Es dauerte nicht lang, da war ich in dem allzu weichen Bette eingeschlafen, das mich für eine kurze Zeitspanne alle Probleme vergessen ließ.

      Kapitel 11

      Ich hatte einen Traum. Stimmen waren um mich herum zu hören. „Was machst du denn? Sei doch leiser, du weckst sie doch noch auf!“ Die Stimmen rückten immer weiter in den Vordergrund, störten meinen Schlaf.

      Unruhig drehte ich mich auf der weichen Matratze und war plötzlich hellwach. Ich befand mich im Diamond Tower, heute war der Tag der Prüfung! Langsam öffnete ich die Augen. Draußen dämmerte es schon. Schwaches Licht fiel durch die schweren grünen Vorhänge, als ich mich im Bett aufrichtete und mich umschaute. Mitten im Raum stand ein kleines zierliches Mädchen mit langen glatten blonden Haaren, die ihr bis zur Hüfte gingen. Ich ließ den Blick weiter im Raum umherschweifen und entdeckte zwei weitere Mädchen, eines im Bett neben der Tür sitzend, das andere am Boden liegend. Das Rascheln meiner Bettdecke hatte die Aufmerksamkeit meiner Zimmergenossen geweckt und das kleine Mädchen bewegte sich langsam auf mich zu. „Guten Morgen. Ich hatte bisher noch nicht das Vergnügen deine Bekanntschaft zu machen. Mein Name ist Ann“, stellte sie sich mit hell klingender Stimme vor. Das dahinten in der Ecke ist Juth und das Mädchen hier am Boden ist Thetris.“

      Bei der Erwähnung ihres Namens nickte mir Thetris zu, von Juth, die immer noch im Dunkeln verborgen war, kam keine Reaktion. Um nicht unhöflich zu wirken, stellte auch ich mich vor. „Ich bin Zelda.“ Zu Ann gewandt fragte ich: „Seid ihr auch für die Prüfung hier?“

      „Wohl eher wegen ihr“, klang es aus der Ecke.

      „Warum das?“

      „Aus welchem Viertel bist du, dass du nicht Bescheid weißt? Doch nicht etwa aus Ardesia?“

      Ich hörte Ann auf die Worte von Thetris verächtlich schnaufen. „In Ardesia laufen die Dinge nicht unbedingt besser ab wie in Limestone oder Coalman. Fühl dich von Thetris nicht unter Druck gesetzt, Zelda. Alle Neuen müssen unter ihr diese Prozedur ertragen.“

      „Und, fragte Thetris genervt.“

      „Limestone“, antwortete ich zaghaft.

      „Noch so eine Limestonerin“, sagte diese mit einem Lachen in Juths Richtung.

      Aber von da an war die Stimmung lockerer.

      „Was ich meinte war“, führte Juth aus, „dass die Preisrichter mich nicht hergebracht haben, weil sie denken, dass ich eine von ihnen sein könnte. Meine Eltern sind aktive Systemkritiker. Sie haben in Limestone viele Arbeiterproteste angezettelt. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die Preisrichter sie dafür bestrafen würden. Was meine Eltern allerdings nicht gedacht haben, war die Tatsache, dass die Preisrichter mich in ihr Gewahrsam nehmen würden, nicht sie. Ich wurde in der Schule mitgenommen, an dem Tag, an dem der Bildungsbeauftragte von Limestone da war. Die Preisrichter wollten meinen Eltern schaden, aber so, dass nicht sie die direkt Geschädigten waren. Sie sollen den Schmerz fühlen, sollen die Angst fühlen um meine Schwester, sollen sich einschüchtern lassen, sollen nachgeben und die Rolle des Funken Hoffnung verlassen. Ihr müsst wissen, dass meine Eltern für viele die Freiheitskämpfer schlechthin sind oder besser waren“, endete Juth mit einem Seufzer.

      „Du wirst die Prüfung also nicht bestehen?“

      „Zu hundert Prozent nicht. Ich werde als Preislose enden, genauso wie es die Preisrichter wollen.“

      „Was ist mit dir, Ann?“ Ich konnte den in mir hochkommenden Graus und die Angst nicht unterdrücken, als ich daran dachte wie viele weitere Jugendliche wohl heute die Prüfung besuchen würden, wohlwissend, dass sie diese eh nicht bestehen würden.

      „Ich bin aus Ardesia, was aber nicht heißt, dass es mir dort besser ging als euch in den unteren Schichten“, antwortete Ann auf meine Frage.“ Meine Eltern, im Gegensatz zu Juths, sind für das System und unterstützen streng die Preisrichter. Sie leben das perfekte Leben eines Ardesianers, mein Vater arbeitet in der Verwaltung des Preisrichterquartiers, meine Mutter hilft drei Tage in der Woche in der örtlichen Grundschule als Stonisch- und Mathelehrerin aus. Der einzige Schandfleck in ihrem Leben war ich, bis sie mich losgeworden sind. Ich, die so ganz anders war, die über die Grenzen hinweggehen wollte, die mehr sehen und lernen wollte. Ich hätte ihnen alles zerstört, ich, das Kind, das aus einer Limestoner Familie stammend den Preis eines Ardesianers hatte, ich, die sie, vorbildlich wie sie waren, aufgenommen haben. Also hat mein netter Papi eines Abends verkündet, er werde mich für die Prüfungen anmelden, ich solle angeblich die Familie stolz machen, meinen ganzen Ehrgeiz für die eine große Sache hergeben. Es schien für ihn, als hätte er den perfekten Ausweg gefunden, mich loszuwerden und gleichzeitig sein Ansehen zu vermehren. Nur leider werde ich ihm, oder besser gesagt die Prüfung wird ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Ehrgeiz allein reicht nicht, um eine Preisrichterin zu werden. Man muss eben auch die Preise lesen können“, endete Ann.

      Ich fühlte mich, nachdem ich die Schicksaale der beiden gehört hatte, wie ein Luftballon, dem die Luft ausgegangen war. Ich dachte meine Geschichte wäre schlimm, dass ich mich meiner Bestimmung verwehren wollte, dass ich deshalb meine Familie verloren hatte, doch im Gegensatz zu Anns und Juths sah meine Zukunft ja geradezu rosig aus.

      „Wenigstens gibt es gutes Essen“, fügte Thetris sarkastisch hinzu.

      Bevor aber eine meiner Zimmergenossinnen fragen konnte, wie ich dazu gekommen war, eine Prüfung zur Preisrichterin zu bestreiten, hörte ich jemanden an der Tür klopfen.

      „Macht euch fertig und kommt in zehn

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