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Halsbinde mit lichten Glacéhandschuhen, wie sehr sorgfältig gebürstetem Cylinder und sehr blanken Stiefeln paßten eigentlich nicht recht in diese Umgebung und zu so früher Stunde auf die Straße – hatte es doch kaum erst zehn Uhr geschlagen.

      Der junge Mann achtete aber gar nicht auf den ihn umtobenden Lärm; er ging unmittelbar nach der Attake mitten zwischen den Butterweibern durch, hörte nicht einmal ihre entrüsteten Ausrufe und Drohungen, und wenn er sie hörte, kümmerten sie ihn nicht. Vollkommen mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, suchten seine Blicke rings umher, so daß er dadurch mit mancher der ihm begegnenden Damen, die ihrerseits ihre Augen auf die Butter hatten, zusammenstieß. Er entschuldigte sich dann allerdings stets sehr artig, jene nahmen aber selten Notiz davon. Sie waren gewohnt, an Markttagen herumgestoßen zu werden, und betrachteten das als etwas zu dem Einkauf Gehöriges.

      Jetzt hatte er das eigentliche Getöse des Marktes – wenigstens dessen unmittelbaren Tummelplatz hinter sich und wollte eben in eine Seitenstraße einbiegen, als sein Auge durch einen am Boden liegenden blitzenden Gegenstand angezogen wurde. In dem Moment sah er aber auch, wie ein junges derbes Bauermädel, das einen Korb mit Eiern auf dem Rücken trug, gerade den /125/ Fuß darauf setzen wollte. Mit einem „bitt’ um Entschuldigung“ schob er sie deshalb ein wenig ab, bückte sich rasch und hob den Gegenstand auf.

      „Herr Je!“ rief das Mädel erschreckt aus – „was machen Sie denn für Dummheiten?“ Der junge Mann achtete aber gar nicht auf sie, sondern beschaute nur seinen Fund und sah, daß es eine kleine, mit Korallen eingefaßte, aber sonst ziemlich werthlose Broche war, die nur in der Mitte eine Miniatur-Photographie, den Abdruck eines älteren Frauengesichts trug.

      Der Schmuck mußte übrigens in demselben Augenblick verloren sein, denn sonst wäre er jedenfalls schon gefunden, oder im andern Fall von der schwärmenden Volksmenge zertreten worden. Unwillkürlich richtete sich der glückliche Finder empor und überflog mit seinem Blick nach rechts und links das Trottoir. Nach der einen Richtung sah er indeß nur Bauerfrauen und Dienstmädchen, von denen keine einen solchen Schmuck getragen haben konnte; nach der andern aber bemerkte er eine junge Dame in einem braunen Seidenkleide und einem ähnlich farbenen Hut auf, die gerade vor einem dort befindlichen Bilderladen stehen geblieben war, um die ausgestellten Kunstblätter zu betrachten. – Eben wandte sie sich aber wieder, um ihren Weg fortzusetzen; der Fremde warf noch einen Blick auf den Schmuck, und es war fast, als ob er den Fund in der Hand wog, dann eilte er ihr nach und hatte sie auch bald überholt.

      An ihr vorüberschreitend suchte er ihr Gesicht zu sehen und lüftete dabei unwillkürlich den Hut, zügelte auch seinen Gang so weit ein, daß er dicht bei ihr blieb. Die junge Dame hatte allerdings bis dahin ihm nicht einmal den Kopf zugewandt, nur als sie die Bewegung des Grüßens bemerkte, glaubte sie natürlich im ersten Moment, daß es ein Bekannter ihrer Familie wäre, und erwiderte, indem sie zu ihm aufsah, den Gruß – aber sie erschrak, als sie einen vollkommen fremden Menschen neben sich sah, der augenscheinlich im Begriff stand sie anzureden, und wollte ihm scheu ausweichen.

      „Mein gnädiges Fräulein,“ sagte da der Fremde sehr artig – „entschuldigen Sie die Frage, aber haben Sie nicht etwas verloren?“

      /126/ „Nein, mein Herr,“ erwiderte das junge Mädchen, verwirrt und blutroth, und schien nicht übel Lust zu haben, in das nächste Haus zu flüchten.

      „Auch keinen Schmuck?“ beharrte aber der Fremde, und jetzt zum ersten Mal vergaß die Angeredete das Unerwartete der Ansprache, griff erschreckt oben an ihr Kleid und rief dann mit offenbarer Bestürzung aus:

      „Ach mein Gott! meine Broche.“

      „Eine kleine Broche.“

      „Mit Korallen und einer Photographie.“

      „Dann bin ich glücklich genug, sie Ihnen wieder überreichen zu können,“ lächelte der ehrliche Finder, indem er sie ihr mit der rechten Hand, von der er den Handschuh abgezogen, entgegen hielt. „Sie lag kaum vierzig Schritt von hier auf den breiten Steinen und wäre fast zertreten worden.“

      „Oh wie dankbar bin ich Ihnen!“ rief die junge Dame, indem sie den Schmuck aus seiner Hand nahm.

      „Bitte, mein gnädiges Fräulein,“ sagte der Fremde abwehrend – „es hat mich gefreut, Ihnen einen kleinen Dienst erwiesen zu haben“ und mit einer kurzen Verbeugung verabschiedete er sich und schritt ohne Weiteres den Weg zurück, den er gekommen.

      Die junge Dame blieb noch einen Moment wie unschlüssig auf der Straße stehen und sah fast unwillkürlich dem Fremden nach, der sogar jeden Dank verschmähte. Dieser aber schaute nicht mehr zurück; er schien auch in der That den Kopf voll von anderen Dingen und das kleine Intermezzo bald vergessen zu haben.

      Vom nächsten Kirchthurm schlug es halb, und er sah nach der eigenen Uhr, um diese mit der Stadtzeit zu vergleichen, mußte aber doch wohl mit seiner Zeit noch nicht gedrängt sein, denn nach einer kleinen Weile drehte er um und wandte sich wieder, trotz seines für den Markt nicht passenden Anzugs, dem dichten Gedränge des Marktes zu, in das er sich auf’s Neue mischte. Fühlte er sich hier draußen in seiner etwas sehr eleganten Kleidung genirt? Die Jungen waren allerdings schon einige Mal auf ihn aufmerksam geworden – aber möglichenfalls hatte er auch bei „vornehmen Leuten“, hohen Gönnern oder /127/ „unteren Beamten“ seine Aufwartung zu machen, war vielleicht sogar bestellt worden, und mußte deshalb nicht allein seine Zeit einhalten, sondern auch in der gehörigen „Form“ erscheinen, da es ihm sonst jedenfalls „verübelt“ worden wäre.

      2.

      In der Küche der Frau Geheimen Regierungsräthin von Bentlow ging es heute sehr lebhaft zu, denn der Herr Geheime Regierungsrath hatte, allerdings nicht sehr viele, aber dafür desto bedeutendere Personen zu einem Diner eingeladen, und die Wirthin machte deshalb auch die größten Anstrengungen, um die Sache auf das Glänzendste auszustatten.

      Zu den erwarteten Gästen gehörten zuerst Se. Excellenz der Herr Minister des Innern von Lobezahn mit Frau Gemahlin und Tochter, dann Oberstaatsanwalt von Vogtheim und Frau, der alte General von Degen mit seiner jungen, sehr liebenswürdigen Tochter, Hauptmann von Selching, Adjutant Sr. Königlichen Hoheit, Fräulein von Bentlow Excellenz, die Schwester des Geheimen Regierungsraths und Staatsdame Ihrer Königlichen Hoheit, und Finanzrath Blum, ein sehr einflußreicher Mann im Staate – also eine ausgewählte Gesellschaft, die es sogar Mühe gekostet hatte zusammen zu bringen.

      In höheren Kreisen passen nämlich nicht immer die mit der Familie selber befreundeten Personen auch zu einander – es sind da und dort Rücksichten zu nehmen; man will Niemanden kränken oder nur den geringsten Anhalt zu einem Mißbehagen geben, und es muß da gar so viel vorbedacht und beachtet werden. Die Frau Geheime Regierungsräthin hatte aber einen ganz außerordentlichen Tact in derlei Dingen, einen gewissen Instinct, der sie stets den richtigen Weg führte, und ihr Gatte überließ ihr in solchen Fällen denn auch stets mit dem größten Vertrauen das ganze Arrangement, und zwar /128/ um so lieber, da er sich selber nicht gern aus seiner Ruhe bringen ließ.

      Die Frau Geheime Regierungsräthin wirthschaftete heute auch mit einem wahrhaft erstaunlichen Eifer im ganzen Hause herum; zwei Dienstleute mit einem Kunstgärtner waren schon den ganzen Morgen beschäftigt gewesen, um Topfgewächse herbei zu schaffen und den Speisesaal in geschmackvoller Weise zu decoriren; alle Delicatessen, welche die Stadt nur bot, waren angeschafft worden, die feinsten Weine hatte der Geheime Regierungsrath natürlich selber im Keller, und es wurde drei Uhr Nachmittags, bis die geplagte und entsetzlich in Anspruch genommene Wirthin endlich Zeit fand, an ihre eigene Toilette zu denken – allerdings etwas spät – denn um fünf Uhr sollte schon die Tafel sein – und zwei Stunden brauchte die schon in die Jahre hineinragende Dame regelmäßig zu einem solchen Act.

      Es hatte eben vier Uhr geschlagen, als der Briefträger in das Gewühl von dienstbaren Geistern einen Stadtpostbrief brachte, den der Geheime Regierungsrath annahm, erbrach, durchlas und dann in der größten Unschuld bei Seite legte. Es war nichts als ein Absageschreiben des Finanzrath Blum, der plötzlich in einer Geschäftssache, – d. h. schon zwölf Uhr Mittags hatte abreisen müssen und nun bat, ihn zu entschuldigen. Der Brief war schon in aller Frühe geschrieben, aber wahrscheinlich in dem Trubel der

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