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      Eine Stunde später hörte ich den Benachrichtigungston meines privaten E-Mail-Postfachs. Ich hatte absichtlich dieses gewählt, denn meine anderen geschäftlichen Mails hatte die Snyder auf einen Account einer Kollegin umleiten lassen, damit ich mich voll und ganz auf diese Artikelreihe konzentrieren konnte.

      Hektisch rannte ich zum Schreibtisch. Wie gehofft blinkte mir eine Mail von Clodette Poirot entgegen. Schön, dass eine erfolgreiche Autorin, die bestimmt schon an der nächsten Geschichte saß, so schnell antwortete.

      Mit einem Klick öffnete ich den Brief:

       Sehr geehrte Miss Jones

       Vielen Dank für Ihre freundliche Anfrage. Ich würde Ihnen gern für ein Interview zur Verfügung stehen, allerdings habe ich, wie Sie sicherlich schon korrekt geschlussfolgert haben, ein geschlossenes Pseudonym. Dementsprechend gebe ich nur selten Interviews und wenn, dann verlange ich eine vorher unterschriebene Verschwiegenheitserklärung. Diese habe ich Ihnen beigefügt.

       Sollten Sie unter diesen Umständen noch Interesse an einem Interview mit mir haben, senden Sie mir die Erklärung bitte unterschrieben zurück. Als möglichen Termin könnte ich Ihnen den morgigen Nachmittag anbieten.

       Mit freundlichen Grüßen

       Clodette

      Wow! Die Frau imponierte mir. Ich mochte es, wenn Menschen wussten, was sie wollten und dementsprechend agierten. Ich nahm an, dass Miss Poirot eine der Autorinnen war, die professionell und durchsetzungsfähig ihr Ziel verfolgten.

      Rasch druckte ich die beigefügte PDF-Datei aus, unterschrieb und schickte sie, nachdem ich das Blatt eingescannt hatte, zurück an die Urheberin.

      Ich war neugierig. Was würde mich erwarten? Eine Hausfrau, die im Schlabberlook auf der Couch mit einem Laptop auf den Knien die Romane heruntertippte?

      Um nicht völlig unwissend zu dem morgigen Termin zu erscheinen, lud ich mir den aktuellen Roman von Miss Poirot runter. Zumindest einige der Seiten wollte ich gelesen haben, bevor ich mich mit der Autorin traf. Der Millionärsroman, den ich mir zuvor gekauft und erstaunlicherweise bereits zu Ende geschmökert hatte, war entgegen den Erwartungen, die ich ursprünglich gehabt hatte, gar nicht so schlecht gewesen.

      Ethan

      Der Verkehr in Chicago kam an diesem Tag fast zum Erliegen. Seit über einer verdammten halben Stunde quälte ich mich durch die Straßen und der Termin mit meinem Anwalt rückte immer näher.

      Shit!

      Wenn sich das Knäuel vor mir nicht langsam auflöste, würde ich zu spät kommen. Was an sich nicht weiter schlimm wäre, doch wenn ich eins hasste, dann war es Unpünktlichkeit. Wütend presste ich meine Zähne aufeinander und widerstand dem Drang, damit zu knirschen.

      Im Radio dudelte irgendein Song, der meine Ungeduld ins Unermessliche steigerte, also schaltete ich das Gerät kurzentschlossen aus. Meine Gedanken drehten sich immer wieder um den vor mir liegenden Termin. Der wichtigste meines Lebens. Sogar Toni war gegen das Geschäft, das ich heute abschließen wollte.

      Ich war schon immer ein Einzelgänger. Der Beruf meines Vaters hatte lange Zeit auch nichts anderes zugelassen, dachte ich bitter. Allein die Vorstellung, wie ich auf eine normale Schule ging und nach dem Unterricht einen Freund mit nach Hause brachte, war für mich eine Ewigkeit undenkbar und lächerlich gewesen. Undenkbar deswegen, weil es mir aus Sicherheitsgründen strikt untersagt gewesen war, ohne einen meiner Bodyguards das Haus zu verlassen. Lächerlich, weil ich bis auf den Sohn unserer Haushälterin keine Freunde gehabt hatte, solange wir noch nicht in Maine gelebt hatten. Toni wohnte damals bei uns, doch im Gegensatz zu mir, besuchte er eine normale Schule. Er berichtete mir von seinen Abenteuern und den Streichen, die er gemeinsam mit anderen Jungen den Lehrern spielte. Ich hingegen bekam Privatunterricht. Jammern auf hohem Niveau, klar. Aber als kleiner Junge ist einem das Privileg der Freiheit wichtiger als gute Bildung. Wichtiger noch als jedes erdenkliche Spiel, jede Konsole und jede CD zu besitzen, die einem in den Sinn kam. Ich war abenteuerlustig und einsam gewesen, eine schreckliche Kombination für diejenigen, die auf mich aufpassen mussten. So war es nicht ungewöhnlich, dass ich Vieles angestellt hatte, was meine Eltern zur Weißglut trieb. Doch so bekam ich ihre Aufmerksamkeit. Das war es, was ich noch mehr wollte, als meine Freiheit. Aufmerksamkeit um jeden Preis. Jämmerlich, wie ich heute fand, aber im Grunde genommen tat mir der kleine Junge von damals unheimlich leid.

      Endlich lichtete sich das Verkehrschaos und vor dem großen Willis Tower konnte ich problemlos in die Tiefgarage abbiegen. Vielleicht stand der Termin doch nicht unter einem solch schlechten Stern, wie ich mittlerweile befürchtete. Ich hoffte es.

      Einige Minuten später, kaum dass ich aus dem Lift getreten war, begrüßte mich schon die Sekretärin meines Anwalts mit einem breiten Lächeln. Wir waren zweimal miteinander ausgegangen und hatten anschließend eine wilde Nacht in ihrem Apartment verbracht, aber sie hatte mich recht schnell gelangweilt. Doch bisher gab Torry nicht auf und schickte mir immer wieder Nachrichten, die ich aber geflissentlich ignorierte. Auf solchen Beziehungsstress hatte ich keine Lust, außerdem würde ich bald Hunderte von Meilen weit weg wohnen.

      Ich schenkte Torry ein kurzes und wie ich hoffte unverbindliches Lächeln, ehe ich meinen Kopf Andrew zuwandte, der in diesem Moment aus seinem Büro trat.

      »Hey Ethan, alter Kumpel. Ich habe bereits auf dich gewartet.« Die versteckte Rüge für mein Zuspätkommen, ließ ich an mir abperlen. Andrew verdiente viel Geld bei diesem Deal und würde es verschmerzen können, wenn er mal zehn Minuten auf mich warten musste. »Setz dich schon mal in mein Büro, ich bin gleich bei dir«, sagte er und verschwand in Richtung Herrentoilette.

      Kaum schloss sich die Tür hinter ihm, schlenderte ich auf den Büroraum zu. Leider hatte ich Torry dabei völlig vergessen und blieb abrupt stehen, als sie sich mir in den Weg stellte.

      Langsam glitt ihre Hand über mein weißes Button-down-Hemd. Ihre Finger verharrten auf meiner Brustwarze, doch als sie versuchte, mich zu reizen, indem sie hinein kniff, griff ich grob nach ihrem Handgelenk. »Hey, nicht so stürmisch, Ethan«, keuchte sie auf.

      Angewidert verzog ich das Gesicht. »Finger weg«, knurrte ich, ohne auf ihre Worte einzugehen, und sah ihr dabei kalt ins Gesicht. Ich hoffte, dass sie die Message endgültig verstehen würde.

      Ihre perfekt gezupften Augenbrauen schossen erstaunt in die Höhe. »Was stimmt nicht mit dir?«, giftete Torry los. »Als wir neulich Nacht zusammen durch mein Bett turnten, warst du ganz scharf darauf gewesen, von mir angefasst zu werden. Wir hatten jede Menge Spaß.«

      »Wie deutlich soll ich noch werden, Torry?« Mein Blick ruhte auf ihrem Gesicht und ich registrierte jede Regung. »Ich bin nicht der Typ, der gern Frauenherzen bricht oder jemanden verletzt. Aber um Klartext zu sprechen, es war eine einmalige Sache und wird sich nicht wiederholen.«

      Als hätte sie sich die Finger an mir verbrannt, ließ sie die Hände fallen und trat zwei Schritte zurück, sodass ich an ihr vorbeigehen konnte. Doch ich sah Hass in ihren Augen aufblitzen. Da hatte ich mir wohl eine weitere Feindin gemacht.

      Genervt ließ ich mich in den Besucherstuhl vor Andrews Schreibtisch fallen. Wie es mich ankotzte, wenn Frauen mir Szenen machten. Warum versprachen sie sich mehr, obwohl ich vorher klarstellte, dass außer Sex nichts laufen würde? Torry hatte ich das ziemlich eindeutig verklickert, bevor wir uns das erste Mal trafen. So machte ich das immer.

      Dennoch ließ das die Hoffnungen der Frauen nicht zerplatzen. Fast jedes Mal drängten sie sich auf und das fand ich noch viel nervtötender, als die künstlichen Brüste, die zur Zeit so angesagt waren. Zumindest in der Gesellschaft, in der ich mich bewegte.

      »Entschuldige, Ethan«, sagte in diesem Moment mein Anwalt und schloss die Tür, ehe er sich an seinen Schreibtisch setzte. »Bist du dir immer noch sicher, dass du das durchziehen willst?«

      »Ja, absolut!

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