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geheftet.

       »Hast Du jemals daran gedacht, daß es die Pflicht einer Frau ist, dem Manne, dessen Namen sie trägt, eine Hilfe und ein Trost, nicht ein Hinderniß und eine Bürde zu sein? Hast Du jemals dies bedacht und mir im Kampfe des Lebens beizustehen gesucht? Nein, so wahr ich lebe, nicht ein einziges Mal!

       »Ich bin des Kampfes müde, Agatha. Ich bin es müde, gegen dieses verhaßte Laster zu kämpfen, das Deinen Leib und Deine Seele zu Grunde richtet. Wenn das Gesetz uns scheiden könnte, so würde ich mich an das Gesetz wenden. Aber unglücklicher Weise haben die Gerichte kein Heilmittel für Uebel wie die meinigen. Das Gesetz gewährt dem Gatten keine Hilfe, dessen Frau ihr Kind des Brodes beraubt, damit sie für das Geld Gin kaufen kann.

       »Ich entferne mich deshalb aus eigener Machtvollkommenheit. Jedes Band, das uns vereinigt hatte, ist gebrochen, jede Hoffnung auf häusliches Glück ist zerstört, jedes Gefühl von Liebe, das einst mein Herz erwärmte, ist erstorben, nur die bittere Asche der Reue zurücklassend.

       »Ich weiß noch nicht, wohin ich gehe. Ich nehme den Knaben mit, um dessen willen ich dieses elende gebrochene Leben noch ertrage. Wenn es nicht seinetwegen wäre, so würde ich an den nächsten Fluß gehen und mein Elend in tiefere Vergessenheit begraben, als sie Dir der Gin zu geben vermag.

       »Lebe wohl. Ich will es versuchen, nicht bitter von Dir zu denken, ich will es versuchen, Dir zu vergeben, wie ich Dich bitte, mir alles Leid, das ich Dir zugefügt, zu vergeben. Ich bin oft ungeduldig, hart und heftig gewesen, aber ich habe dafür gebüßt und schwer gebüßt. Noch einmal, lebe wohl. Versuche nicht, mir zu folgen oder mich aufzufinden. Du wirst mich niemals mehr sehen, nie mehr von mir hören, noch von Deinem Kinde.

       »Du hast Deinen Weg im Leben gewählt, unbekümmert darum, welches Elend Du über mich brachtest; ich wähle jetzt den meinigen, und er führt mich weit von Dir weg.

      Gervoise Gilbert.«

      Der junge Mann faltete dieses Papier zusammen und legte es auf den Kamin, wo er sicher sein konnte, daß es seiner Frau in die Hände fallen würde. Dann weckte er den Knaben auf, welcher mit dem Kopf auf dem Knie seines Vaters eingeschlafen war.

      »Du hast doch ein wärmeres Röckchen, nicht wahr, Georgey?« fragte der Vater, auf das zerrissene Baumwollenkleidchen deutend, welches das Kind anhatte.

      »Nein, Papa.«

      »Du hattest doch ein wollenes Röckchen, zwar abgetragen, aber dick und warm.«

      »Ja; aber die Mama hat es mir fortgenommen und nicht wiedergebracht.«

      Der Vater murmelte eine Verwünschung. Er hatte nach und nach alle Bequemlichkeiten eines anständigen Haushalts dahinschwinden sehen, bis es so weit wie jetzt gekommen war« Er hatte hart gegen die grimmige Armuth angekämpft, aber es war umsonst gewesen. Was nützte sein Ringen und Kämpfen, wenn seine Frau jeden Schilling, den sie aus ihm herauspressen konnte, in Gin vertrank?«

      Sie hatte ihren Gatten und ihr Kind jeder Bequemlichkeit, ja selbst der gewöhnlichen Bedürfnisse des Lebens beraubt und zuletzt sogar die Kleider ihres Kindes zum Pfandleiher getragen.

      »Setze Deine Kappe auf,« Georgey,« sagte Gervoise Gilbert, »Du wirst mit Papa eine weite Reise machen. Ist Dir das recht?«

      »O, ja, ja; ich will überall mit Dir hingeben, Papa.«

      »So komm denn, mein Herz. Aber Du darfst nicht vergessen, daß wir zu Fuß gehen müssen. Wir sind zu arm, um zu fahren; wenn Du aber müde bist, so wird Dich Papa tragen.«

      »Aber ich werde nicht müde sein, Papa,« sagte der Knabe stolz.

      Gervoise Gilbert blickte mit liebendem Lächeln auf ihn nieder.

      »Muthiger Geist!« rief er, »edler Geists das Blut der Palgraves von Palgrave-Chase spricht aus ihm.«

      Der Künstler hatte keine großen Vorbereitungen zu machen, um diesen elenden Zufluchtsort zu verlassen. Er besaß nur ein einziges reines Hemd und dieses war so zerrissen, daß es nur deshalb den Klauen des Pfandleihers entgangen war. Er besaß keinen überflüssigen Rock, keinen Reisesack, keinen Eisenbahnshawl, womit er sich zu belasten brauchte.

      Er steckte das Hemd in die Tasche, setzte seinen Hut auf, nahm ein altes Tuch von seinem Halse und band es dem Kinde um, dann nahm er den Knaben an die Hand und verließ mit ihm das Haus.

      Die Schatten verdichteten sich in den engen Straßen, das Purpurlicht, das zerbrochene Scheiben von gewöhnlichem, Glas schöner erglänzen läßt als es die kostbarsten Edelsteine in den Läden der Juweliere vermögen, verschwand nach und nach, die, Fenster dunkel zurücklassend.

      Es war vollkommen finster, als Agatha Gilbert von ihrem trunkenen Schlaf erwachte und nach dem Kamin taumelte. Sie fühlte mit ihrer rechten Hand auf dem Sims herum, bis sie eine Büchse mit Streichhölzchen und einen Stumpen Talglicht fand, das in einer alten Flasche stak. Sie zündete das Licht an und sah sich langsam um.

      »Noch nicht zu Hause,« murmelte sie unzufrieden, »noch nicht zu Hause gekommen, obschon es finster ist. Doch warum sollte er nach Hause kommen? Er haßt mich und giebt sich keine Mühe, seinen Haß zu verbergen. Aber wo ist das Kind? Es war da, als ich heim kam. Georgey!«

      Sie wiederholte den Namen des Knaben zwei oder drei Mal in lauterem Tone.

      Ader sie war nicht bestürzt, als sie keine Antwort erhielt. Die Betäubung der Trunkenheit war noch nicht ganz vergangen. Sie stand einige Augenblicke bewegungslos mit dem Lichte in der Hand da, gerade vor sich hinstarrend.

      Plötzlich bemerkte sie den Brief auf dem Kaminsims.

      »Gilberts Hand!« rief sie, »er war also zu Hause.«

      Sie setzte das Licht nieder, öffnete den Brief und las Gervoise Gilberts Abschied.

      Sie las den Brief zweimal — zuerst schnell, dann langsam, bis die Dünste des Branntweins, den sie getrunken, vor dem Gefühl eines großen Unglücks sich endlich zu zerstreuen begannen.

      Dann stieß sie einen lauten Schrei aus, der durch das stille Haus wiederhallte, und fiel zu Boden.

      Es giebt sonderbare Widersprüche, unlösbare Knoten, wunderbare Verwickelungen in dem geheimnißvollen Gewebe, das wir das menschliche Herz nennen.

      Agatha Gilbert liebte leidenschaftlich den Mann, dessen Leben sie unglücklich gemacht, das Kind, dessen Kleider sie versetzt hatte, um Gin zu kaufen.

      Drittes Capitel.

      Die Zeichnung auf Georgey’s Arm.

      Der Mond, welcher an diesem Augustabend spät aufging, stand wie eine Kugel von geschmolzenem Gold tief am Himmel, als der Mann, der sich Gervoise Gilbert nannte, von der staubigen Straße auf die weite Fläche von Putney-Heath hinaustrat.

      Es war elf Uhr, Lichter blinkten da und dort in der Stadt, die der Künstler so eben hinter sich gelassen hatte, und auf einem Flecken unbebauten Landes in kurzer Entfernung von den letzten zerstreuten Häusern brannte unter einem eisernen Kessel ein helles Feuer und beleuchtete die Umrisse eines großen schwerfälligen Wagens.

      Gervoise Gilbert blieb am Rande des Weges stehen und blickte sehnsüchtig nach einer Gruppe von Männern, die am Feuer standen, während einige Frauen sich in der Nähe des Wagens zu schaffen machten.

      Der Knabe war schon nach der ersten Meile ermüdet gewesen und Gervoise hatte ihn seitdem getragen. Das Kind war zwar mager, aber für sein Alter ziemlich groß und sein Gewicht, um es zwei Stunden weit zu tragen, nicht unbedeutend. Es war jetzt mit dem Kopf aus seines Vaters Brust eingeschlafen.

      Der Künstler hatte diesen Weg mit der Absicht gewählt, sich einer herumziehenden Gesellschaft anzuschließen, wenn sie geneigt wäre, ihn aufzunehmen. Er wußte, daß es schlimmer als nutzlos sei, in London zu bleiben.

      Dort

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