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Kannibalen und feine Leute. Bexhill
Читать онлайн.Название Kannibalen und feine Leute
Год выпуска 0
isbn 9783742704313
Автор произведения Bexhill
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
1
Der Seemannskopf als einziger Pub der besseren Leute eine Institution in West Hoahlty war zwischen Mister William August Paynes Gemüseladen und einem gelben Wohnhaus eingequetscht. Im Geschäft gab es in der Winterauslage Kartoffeln, Äpfel und Karotten und Salat und zu Pyramiden aufgestellte verlötete Kupferdosen mit Pfirsichen und Ananas zu sehen. Alles so arrangiert als seien diese Produkte der Gipfel der kulinarischen Genüsse. Dann gab es noch eine kleine Kirche. West Hoalthy hatte bis 1767 zwei Kirchen besessen, bis Sir Lionel Lydestocke beim Blick aus dem Fenstern seines neuen Herrenhauses feststellte, das die St. Magreth Church ihm die Sicht verstellte. Vor der Kirche strebte das einzige Denkmal der Kleinstadt, ein Kriegerdenkmal aus Bronze für den Postvorstand West Hoathlys Oberst Gerald Singer in den Himmel. Gestorben 1881 im Burenkrieg in Draakensbergen. Todesursache: Pfeife anzünden in der Nacht. Sein Streichholz musste, meilenweit von jedem Buren der nur einigermaßen mit seiner Flinte umgehen konnte gesehen worden sein, denn man zählte nicht weniger als dreißig Kugeln in seinem Körper.
Das Feuer im Kamin des Seemannskopf’s brannte. Die Gaslampen an den Wänden und der Decke warfen gelbe Lichtkreise auf die eckigen Tische und den Holzfußboden im Schankraum aus dem 17. Jahrhundert. Constable Arnold hatte ein angebratenes Abendessen zu sich genommen. Kalten Braten, eingelegtes saures Gemüse, etwas Stilton Käse und las nun in der Zeitung den Bericht über den Besuch eines englischen Politikers in Wien. Langweilig befand der Constable und legte die neueste Ausgabe der London Illustrated News beiseite und widmete sich lieber seinem Darwin. Er konnte leider nicht behaupten, dass er alles in dem Buch On the origin of species, verstand aber der Constable arbeitete an einem eigenen Manuskript, das er gerne der Darwinismus als ein probates Mittel der modernen Verbrechensbekämpfung, genannt hätte. Sobald er tiefer in die überaus komplexe Materie der natürlichen Zuchtauslese gestiegen war. Draußen vor dem Gasthof bellte ein Hund seit einigen Minuten so intensiv, als hätte das Mistvieh neue Beweggründe zu Jaulen für sich persönlich entdeckt. Drinnen, mit Blick auf die trostlose verschneite Lester High Road, saß Constable John Arnold in seiner schwarzen Uniform und trank Bier und las im Darwin. Der furchtbare Hund wechselte in ein tiefes, Knurren und fing dann nach Sekunden wieder zu kläffen an. Eine ganze Weile ging das nun so und begann die Gäste im Gasthof unruhig zu machen.
»Einer sollte den Hund endlich zum Schweigen bringen!«, murmelte der Gastwirt und polierte dann weiter schweigend seine Biergläser.»Stimmt, jemand sollte endlich etwas unternehmen«, bestätigte William Samuel Antill, der es sich am Tresen bequem gemacht hatte.Das Jaulen, das erschallte, verursachte nicht nur ihm eine Gänsehaut. Der laute Hund, der vor dem hell erleuchteten Gasthof im Schnee hockte, war ein großer Bursche mit hungrigen Augen. Er gehörte der ob ihrer Zunge gefürchteten Mrs Agatha Singer, der Inhaberin des Krämerladens und der Vorsteherin der Poststation von West Hoalthy auf der gegenüberliegenden Straßenseite.»Darf ich dich in deiner wichtigen Tätigkeit zum Wohle aller insbesondere der Gesundheit deiner Gäste kurz unterbrechen und dich auf diesen Hund aufmerksam machen?«Derek Green, der Besitzer des Gasthofes, der auf der anderen Seite des Raumes den Barbereich putzte, unterbrach seine Tätigkeit so schlafwandlerisch, als würde er aus einer Trance erwachen.»Was meinen Sie Herr Inspektor?«
Derek kannte die wunden Punkte seiner Kunden und seine Worte trafen tief, ein kleines Schmunzeln zeigte sich in seinem gutmütigen Gesicht.»Ach nichts.« John Arnold wurde lauter: »Und ich bin ein Constable, mein Dienstrang ist keineswegs Inspektor, wie du ganz genau weißt. Jeder weiß, dass ich bei der Beförderung zum Sergeanten übergangen wurde. Und ich bediente mich nur der Worte des großen Edgar Allan Poe, das klopfende Herz es schlägt unter den Dielen, hören Sie es nicht. Oder denke an den Hund von Baskerville, wenn dir junge, frische englische Literatur ein Begriff ist.«
Samuel Antill ließ in diesem Moment seine Stimme vernehmen: »Weil du gerade frische Literatur erwähnst, John. Derek würde es ihnen etwas ausmachen und mir ein frisches Guinness Bier zu zapfen, natürlich nur, wenn es ihnen zeitlich passt.«John nahm einen Schluck von seinem Bier und widmete sich wieder seiner Lektüre aus der Bibliothek des Arbeiterklubs, die ihre Räume in der stark vernachlässigten Mustersiedlung Seven Acres, auf den Hügeln neben den Stahlwerken hatte. Aber er kam nicht weiter mit Lesen, dass Bellen störte ihn in seiner Konzentration. Ein Marathonlauf, nicht einmal das Vorwort erledigt und tausend Seiten vor ihm. Wenn John sich nicht konzentrieren konnte, musste die Sussex Polizei noch etwas auf den Darwinismus als probates Arbeitsmittel verzichten.»Warum nervt mich dieser Hund nur so unermesslich?«, fragte John Arnold von der Polizei der Grafschaft Sussex. Er klappte das Buch mit einem Seufzer zu und schob es umständlich auf den Tisch zurecht. Vielleicht beförderte er den Wälzer aus seinem Blickfeld.
Der Wirt in dritter Generation, Derek Green hielt mit seinen Bewegungen inne und sah abwartend, wie der Satz des Constable weiterging in dessen Richtung. Die Worte endeten verzweifelt und etwas theatralisch. »Wenn doch dieser verdammte Hund nur aufhören würde mit diesem Krach. Ich wünschte es mir wirklich. Kommt, man denn in dieser Stadt nie zur Ruhe?«Man nannte Constable Arnold auch Tulpe, nach dem Riesen in dem Märchen Jack und die Bohnenstange, dem wenig netten Fee! Fie! Foe! Fum! Ich rieche, Menschenfleisch sei es am Leben oder tot ich zermalme seine Knochen und mache mir daraus Brot. Trotz seiner Körpergröße von nahe zwei Meter und seinen 140 Kilogramm Gewicht, war Constable Arnold das reinste Nervenbündel. Ständig blickte er über seine Schultern und musterte jeden Fremden, der West Hoalthy im County East Sussex betrat. Es war dieses Wetter, mutmaßte John, dass ihn andauernd an eine Novelle des großen amerikanischen Dichters Edgar Allan Poe denken ließ. Der Constable lächelte, dieser Schnee und diese Eiseskälte war eine Angelegenheit fremdartig in ihrem ganzen Wesen so unvorstellbar unpatriotisch. Ein Wetter ideal zu einem Mord an einem Geschöpf, das man nicht mochte. Er dachte da insbesondere an kläffende Köter.
Bei diesem Wetter hielt er sein wachsames Auge ganz besonders auf die Londoner Hausierer, die ihren Großstadt Firlefanz in der Provinz verramschten. Leider war kein einziger der sogenannten Street monger auch nur in der Nähe der Stadt und die vielen anderen Unruhestifter, die Gewerkschafter, die Anarchisten und Sozialisten waren fort. Alle waren auf einer Protestveranstaltung der Social Democratic Federation in Brighton dem London by the Sea. Das Wetter potenzierte die unsagbare graue Langeweile, die ihn erfasst hatte. Außer Angeln, Lesen und den Fasanen auf dem privaten Jagdgebiet Sir Lemottes nachzustellen und abends im Seemannskopf Sitzen gab es nicht viel zu tun. Hin und wieder eine Schlägerei, Betrunkenheit und lästerliches Reden führen, oben im Arbeiterviertel, ganz selten mal ein Diebstahl und alle Jubeljahre ein Einbruchsversuch.
Allerdings war man nicht völlig frei vom Verbrechen. Eine kriminelle Kreatur hatte erst vor wenigen Wochen in East Hoalthy gewütet und für einiges Aufsehen gesorgt. Dieser Verbrecher hatte einen Lagerschuppen auf dem Gut der bekannten Familie Jones aufgebrochen und Werkzeuge im Wert von 3 Pfund und 8 Schilling 8 Pence geraubt. Constable Arnold hielt es für die Tat eines Londoner Berufsverbrechers. Zumindest wiesen Indizien in diese Richtung. Der Fall, an dem er ermittelte, lag zuoberst auf seinem Schreibtisch in der Wache. Zum Glück gab es noch die Wilderei, ein beliebtes Hobby in West und East Hoathly dem auch Constable John Arnold verfallen war. Wenn die Industriellen, die dem Adel immer eine Nase voraus waren, Sir Lemotte und Mister Donovan keine Wilderer in ihren Wäldern wollten, sollten sie ihren Arbeitern mehr bezahlen. Damit sie sich ihr Fleisch bei Hendriks dem Metzger in der James Street kaufen konnten. Constable John Arnold betrachtete die Wilddieberei mit eigenen Augen, im krassen Gegensatz zum britischen Strafgesetz und den Grundherren, er schätzte selber einen gut abgehangenen Fasan. Der Constable dachte wieder an eine ungeklärte Pferde Mordserie, die vor zwei Jahren ebenso plötzlich begann, wie sie vor einiger Zeit endete. Das Sensationelle, nein das falsche Wort, er war kein schmieriger Reporter vom Boulevard, das Tragische an der Untat war: Die rohen Teile der Opfer waren vom Täter gegessen worden.
Der verdammte Hund bellte immer noch. Diese Töle war wirklich fürchterlich hartnäckig, erinnerte ihn an die Nachrichten im Weekly Examiner vom Oberhaus, wenn die Peers wieder einmal über Einfuhrzölle auf preußische Kohle und amerikanischen Stahl stritten. Der stotternd geführte heftige Disput über verschiedene Themen war die Lieblingsbeschäftigung der vergreisten Lords. Derek Green legte sein Poliertuch gefaltet auf den Tresen und lief voller Würde zur Tür, er stieß sie auf, und eine eiskalte Wolke Schnee trieb herein. Derek rief zu dem bellenden Hund: »Hau ab gehe mir nicht auf die Eier!« Dann bückte er sich und klaubte Schnee von der Straße auf und warf