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sind.“

      Er deutete eine Verbeugung an und zog sich zurück.

      Valea verlor ihn beinahe sofort aus den Augen, doch sie war nicht lange allein. So wie sie es vermutet hatte, fand sie sich in den nächsten drei Stunden in anregende Gespräche verstrickt.

      Es war schon nach Mitternacht, als sie erschöpft im Aufzug stand und nach unten fuhr. Erst da fiel ihr ein, dass es ja noch Rothenstein gab. Ob er tatsächlich auf sie wartete? Sie konnte es sich kaum vorstellen. Hoffentlich hatte sie ihn mit ihrer Abfuhr nicht allzu sehr vor den Kopf gestoßen. Das würde ihr leidtun.

      Als sie ausstieg, stand sie ihm gegenüber und er musterte sie prüfend.

      „Sie sind müde“, stellte er fest.

      Valea seufzte.

      „Sieht man das so deutlich? Ja, ich bin tatsächlich erschöpft.“

      Er bot ihr seinen Arm an.

      „Dann verzichten wir wohl besser auf ein Restaurant“, lächelte er. Zögernd legte sie die Hand auf seinen Arm und ließ sich nach draußen führen. Die Nachtluft war angenehm kühl und Valea war froh, dass dieses Hotel etwas außerhalb von Frankfurt lag. Die Luft war hier eindeutig besser.

      Roman Rothenstein winkte ein Taxi heran. Er gab dem Fahrer Valeas Adresse an und setzte sich zu ihr nach hinten.

      Eine halbe Stunde später erreichten sie Valeas Wohnung. Während der Fahrt war kein Wort zwischen ihnen gefallen, doch Valea hatte dies nicht als unangenehm empfunden. Im Gegenteil. Er ließ ihr Raum, sich zu entspannen und ihre Gedanken zu sortieren.

      Rothenstein fragte gar nicht erst, ob er mit nach oben gehen sollte, sondern führte sie, kaum dass sie ausgestiegen waren, ohne zu zögern in den ersten Stock bis vor ihre Wohnung.

      Valea protestierte nicht. Zwar war sie müde, aber auch neugierig, was für Gesprächsthemen an diesem Tag mit Roman Rothenstein aufkommen würden.

      Der Zustand ihrer Wohnung war, wie meistens, nicht so, wie sie es bei Besuch gerne gehabt hätte. Im Wohnzimmer und in ihrem Arbeitsraum lagen unzählige Akten verteilt. Überall hingen Fotos, die einem unbeteiligten Laien wohl eher auf den Magen schlagen würden. Sie zeigten verfaulte Leichenreste, zerfetzte Gliedmaßen und blutige Verletzungen auf allen möglichen Körperteilen. Hätte sie geahnt, dass Roman Rothenstein wieder bei ihr auftauchen würde, hätte sie zumindest die Fotos weggeräumt. Andererseits schien der Zustand ihrer Wohnung ihn nicht zu stören. Er stand mitten im Wohnzimmer und betrachtete mit einem amüsierten Gesichtsausdruck das Chaos.

      Valea war inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass sie es wohl später bereuen würde, wenn sie sich ein Gespräch mit ihm entgehen ließ. Zumal sie am nächsten Tag ausschlafen konnte.

      Sie räumte ein paar Akten von der Couch und dem Sessel. Dann verschwand sie kurz in der Küche und kehrte mit einer Flasche Wein zurück.

      „Wenn die leer ist, gehe ich schlafen“, verkündete sie freundlich.

      „Dann werde ich möglichst langsam trinken“, gab er lächelnd zurück und ließ sich auf der Couch nieder.

      Er machte seine Drohung wahr. Die Stunden zogen dahin und Valea bemerkte es kaum. Wieder musste sie feststellen, dass dieser Mann ein fesselnder Gesprächspartner war.

      Natürlich sprachen sie zunächst über ihre Arbeit, glitten darüber in die Psychologie und landeten dann bei der Psyche von Mördern.

      Valea hatte inzwischen schon mit einigen Mördern Kontakt gehabt. Und natürlich brannte noch immer das Entsetzen in ihr über den Leichenfund in den Vereinigten Staaten.

      Rothenstein lauschte ihren Erzählungen über diesen Fall ohne einen Kommentar dazu abzugeben.

      „Ich weiß nicht, ob man diese Menschen als Monster bezeichnen kann“, meinte Valea nachdenklich. „Manche Leute tun es, weil diese Täter sich abnorm verhalten. Aber die meisten Psychopathen sind nicht widernatürlich hässlich und nur selten missgebildet. Und darauf zielt dieser Begriff ja eigentlich ab. Sie ticken einfach nur anders.“

      „Früher wurden viele Menschen als Monster bezeichnet“, erinnerte Rothenstein. „Alles, was nicht ins damalige Weltbild passte, wurde dem Reich des Bösen und der Monster zugeschrieben.“

      „Sie meinen die Hexenverfolgungen?“ Valea seufzte. „Die armen Frauen. Verfolgt, gefoltert und getötet, weil die Kirche mit ihrer Berufung nicht einverstanden war.“

      „War es so?“, fragte er.

      Valea hob die Schultern.

      „Ich habe mich nicht so intensiv damit beschäftigt. Meines Wissens wurden vor allem Hebammen und Heilerinnen verfolgt, weil sie in den Augen der Männer damit zu viel Macht und Einfluss besaßen.“

      „Hm, das ist ein weit verbreiteter Irrtum“, widersprach Rothenstein. „Im Gegenteil. Die Kirche war sogar diejenige, die letztendlich gegen die Hexenverfolgungen angegangen ist. Die Inquisition im Mittelalter war erstrangig gegen Häretiker gerichtet.“

      Das war Valea tatsächlich neu.

      „Und wer hat die Hexen verfolgt?“

      „Das gemeine Volk. Und zwar schon immer. Man könnte sagen, seit es Menschen gibt, gibt es auch die Angst vor Hexen. Die Kirche hat sich sicherlich auch beteiligt, schon allein deshalb, um die Kontrolle über das Volk nicht zu verlieren, und weil sie schon immer Angst vor dem Übernatürlichen und vor Menschen mit magischen Fähigkeiten hatte.“

      „Weil solche Menschen böse sind?“

      Er hob die Schultern.

      „Was auch immer man hineininterpretieren will. Sie werden alles finden: Weiße Hexen, Schwarze, Graue, Junge, Alte, Männer, Frauen. Wie es gerade passte.“

      „Sie meinen, dass man immer nach Sündenböcken gesucht hat. Und das waren dann Menschen mit Handicaps oder besonderen Fähigkeiten.“

      Er nickte. „Darauf läuft es hinaus.“

      „Hm, dann ist es ja nur gut, dass diese Verfolgungen ein Ende haben.“

      „Glauben Sie?“ Er nahm einen Schluck Wein und lehnte sich zurück. „Es gibt immer noch viele Völker, die ihre Hexen haben – und natürlich ihre Monster.“

      Valea lächelte. „Ja, ich weiß. Afrika war da sehr inspirierend. Die Menschen dort haben eine ausgeprägte Fantasie, was ihre Fabelwesen angeht. Dagegen sind wir Europäer ja beinahe langweilig.“

      Er lachte. „Finden Sie? Was für Monster kennen Sie?“

      „Keins“, lächelte Valea. „Zumindest bin ich noch keinem begegnet.“

      „Die europäische Mythologie ist reich an Monstern“, behauptete Rothenstein. „Doch viele sind in Vergessenheit geraten. Welche würden Ihnen spontan einfallen?“

      „Mir? Ach du je. Sie wissen, das ist wirklich nicht mein Interessengebiet. Ich bin Realistin. Außerdem haben Sie mich bei unserem letzten Gespräch bereits mit diesem Thema bombardiert. Ich bin also gespoilert. Aber gut, was fällt mir ein? Hm, Hexen würde ich spontan nicht dazu zählen. Den Teufel vermutlich, Höllenhunde, Werwesen – ich habe keine Ahnung. Doch das ist alles Aberglaube. Meine Monster sind dagegen leider sehr real. Und sie sind schlimm genug.“

      Sie zeigte auf die Bilder.

      „Einige der Fotos zeigen die Folgen von Tierangriffen. Doch diese beiden dort stammen von den Attacken eines Mannes, der wie ein Tier über seine Opfer hergefallen ist. Das Ergebnis ist dasselbe, doch die Motivation eine völlig andere. Für mich sind nicht Hexen oder Wölfe oder Leoparden die Monster, sondern Menschen, die sich so atypisch und zerstörerisch verhalten.“

      „Hm, nehmen wir mal rein hypothetisch an, eine Hexe würde ihre Magie dazu gebrauchen, Menschen so herzurichten wie dieser menschliche Mörder. Wie würden Sie sie dann bezeichnen?“

      Valea seufzte. „Rein hypothetisch – unter der unrealistischen Annahme, dass es Magie gibt

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