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Einzelgespräch dazu bringen könnten, sein Verhalten zu ändern?“ „Das habe ich schon vor Wochen versucht. Nach einer Doppelstunde besprach ich in dem Lehrerzimmer zwischen B2 und B3 sein Verhalten mit ihm und erklärte ihm ruhig, aber mit Nachdruck meinen Standpunkt. Dabei hob ich hervor, dass ich für einen reibungslosen Ablauf des Unterrichts verantwortlich sei und wiederholtes Verspäten nicht dulden dürfe. Darauf erwiderte er, ich verhielte mich wie ein engstirniger, kleinbürgerlicher Buchhalter. Mein Eindruck, dass er ein verwöhntes Kind ist, dem man nie zugemutet hat, perspektivisch zu denken und Grundregeln rücksichtsvollen Verhaltens zu beachten, verfestigt sich immer mehr.“ „Sie scheinen tatsächlich gegen Felix voreingenommen zu sein. Warum?“ „Ich bin keineswegs gegen ihn voreingenommen. Ich möchte lediglich erreichen, dass er pünktlich zu meinem Unterricht erscheint.“

      Der Schuldirektor schwieg einen Augenblick und hob wieder an: „Sie wissen wohl, dass Felix‘ Vater ein Rechtsanwalt ist und im Stadtrat die Mehrheitsfraktion vertritt. Er hat eine wichtige Stimme bei Entscheidungen, welche die Ausstattung unserer Schule betreffen. Die Bewilligung weiterer finanzieller Mittel für unsere Schule hängt von seiner Einstellung zu uns ab. Wir dürfen ihn gegen uns nicht aufbringen.“ „Heißt das, dass sein Sohn sich jegliches Benehmen in der Schule erlauben kann?“ „Natürlich nicht! Drehen Sie mir nicht die Worte im Mund herum! Ich möchte Sie lediglich darum bitten, das Problem mit Felix geräuschlos zu lösen.“ „Wie die Amerikaner früher zu sagen pflegten: It takes two to tango.“ „Dann führen Sie den Jungen auf ein Tanzparkett, das ihm so verlockend erscheint, dass er sein Tanzbein zu Ihrem Takt schwingen will. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“ „Ich werde darüber nachdenken, was ich tun kann.“ „Das ist ein Wort. Ich danke Ihnen für Ihre Kooperationsbereitschaft, Herr Renken.“

      Nach seiner letzten Stunde an diesem Tag holte Roman seine leichte Jacke aus der Garderobe des großen Lehrerzimmers und lief zu dem Fahrradstand der Lehrkräfte. Das Wetter war für Anfang April ungewöhnlich heiß und Roman wünschte, er hätte seine Jacke zu Hause gelassen. Er schob sein Fahrrad über den Schulhof zum Ausgangstor, das tagsüber immer offen stand. Als er die Straße erreichte, sah Roman, dass auf dem Parkplatz auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Gruppe Schüler stand. Er glaubte Felix Mayer zu erkennen, aber Roman war sich nicht sicher, dass die Gestalt, die schnell hinter einen großgewachsenen Jungen getreten war, tatsächlich Felix Mayer war. Auf einmal hörte Roman eine Stimme, die laut schrie: „Hat dir der Direktor heute gehörig den Kopf gewaschen?“ Darauf lachten die Jungen. Dann ertönte der Anfeuerungsruf: „Felix, Felix, Felix!“ Roman beachtete die Jungen nicht, die Felix‘ Namen skandierten. Er stieg einfach auf sein Fahrrad und fuhr davon. Unterwegs nach Haus überfiel Roman ein Erschöpfungsgefühl, obwohl das Ende der Osterferien nicht weit zurücklag. Vielleicht war er lediglich frustriert, da er sich immer wieder über das offenkundige Unvermögen des Schulleiters ärgerte. Er würde sich, so hoffte er zumindest, am Nachmittag rasch erholen.

      Kapitel 2: Ärger in der Ehe

      Nachdem er sein Fahrrad in die Garage geschoben und das Tor abgeschlossen hatte, lief er zur Haustür, schloss sie auf, deaktivierte die Alarmanlage und brachte seine Schultasche in sein kleines Bürozimmer. Christina würde wohl erst gegen 18 Uhr nach Hause kommen. Das stand jedoch nicht fest, denn allzu oft rief sie am Nachmittag an um zu verkünden, sie müsse noch an einer wichtigen Konferenz teilnehmen oder dringende Aufträge erledigen. Als Hauptkontrollerin in einer großen Speditions- und Logistikfirma stand sie einer Mannschaft vor, die aus sechs männlichen Kontrollern bestand. Diese arbeiteten ihr zu, so dass sie wichtige Entscheidungen über Auftragsangebote fällen und diese dem Gesamtvorstand unterbreiten konnte. Ihr Einkommen übertraf Romans Gehalt um ein Vielfaches. Eine Tatsache, die er zu kompensieren trachtete, indem er das Einkaufen und das Kochen übernahm. Die Haushalts- und Gartenarbeit erledigten Dienstleistungsfirmen.

      Roman rechnete nicht damit, je Vater werden zu können, denn Christinas biologische Uhr tickte unaufhörlich weiter und sie wollte angesichts ihrer beruflichen Karriere keine Schwangerschaft riskieren. „Ist man nur kurzzeitig weg vom Fernster, werden einem die Machtinstrumente entzogen“, wie sie behauptete. Sie wusste, dass viele Männer, deren Vorgesetzte sie war, ihr die vielen Erfolge neideten, die sie in den letzten Jahren hatte verbuchen können. Ihr Verhandlungsgeschick war schon legendär geworden.

      Zunächst bereitete sich Roman einen Salat zu und verzehrte sein frugales Mahl vor dem Fernsehgerät. Danach wusch er Teller und Geschirr ab und räumte in der Küche auf. Dann ging er in sein Schlafzimmer und legte sich aufs Ohr um sein Pädagogenkoma zu absolvieren, wie er sein Nickerchen nannte. Roman hatte das Glück, das Bewusstsein sofort zu verlieren und dann sehr tief schlafen zu können. Das lag vielleicht an seinem Sportlerherz. Er betrieb seit Jahren jeden Morgen in der Früh entweder im Keller auf seinem Crosstrainer oder draußen in einem nahegelegenen Park Ausdauertraining und war sogar einige Male Kreismeister über 5000 und 10000 Meter geworden.

      Nach seinem dreißigminütigen Nickerchen stand Roman auf und fühlte sich frisch und munter. Er wandte sich seiner Schularbeit zu. Zunächst korrigierte er einen Vokabeltest, den er am Vormittag in einer achten Klasse im Englischunterricht hatte schreiben lassen. Viele seiner Englischkollegen hielten ihn für altmodisch, weil er Vokabeln- und Grammatiktests schreiben ließ, aber Roman konnte die guten Ergebnisse seiner vermeintlich altmodischen Methoden vorweisen. Danach befasste er sich mit der Korrektur einer der Facharbeiten, die er in seinem Deutschleistungskurs hatte schreiben lassen. Die Korrektur- und Gutachtenarbeit daran nahm zwei Stunden in Anspruch.

      Danach begann Roman das Abendessen vorzubereiten. An diesem späten Nachmittag wollte er etwas Einfaches zubereiten, ein Auflaufgericht, bestehend aus Hüttenkäse, Schafskäse, geraspelter Zucchini, Porree, Tomaten und Romans geheimer Gewürzmischung. Dazu wollte Roman geröstete Baguettescheiben und als Nachspeise Mangostücke reichen. Er hatte die Vorbereitungen gerade abgeschlossen und die Auflaufform in den Backofen geschoben, als Christina anrief und ihm mitteilte, sie müsse wohl bis mindestens 21 Uhr arbeiten. Er könne ihr Essen stehen lassen. Sie werde es aufwärmen, wenn sie zu Hause angekommen sei.

      Nachdem Roman sein Abendessen eingenommen hatte und in der Küche aufgeräumt hatte, entschied er sich, den Abend dabei zu verbringen, die Stunden am folgenden Montag vorzubereiten. Zunächst plante er sein Vorgehen im Deutschunterricht in einer achten Klasse. Im Unterricht hatte er mit den Schülerinnen und Schülern die Kurzgeschichte „Spagetti für zwei“ gelesen und dabei die Frage besprochen, inwieweit Heinz, aus dessen Perspektive das dargestellte Geschehen erzählt wird, rassistische Vorurteile erkennen lasse. Am kommenden Montag, also nach dem Wochenende, wollte Roman eine kurze Passage als Er-Erzählung aus der Sicht des schwarzen Jugendlichen vorstellen, den Heinz zunächst für einen schmarotzenden Asylbewerber hält. Danach sollten die Schülerinnen und Schüler in Gruppenarbeit weitere Textstellen als Er-Erzählungen aus der Sicht des farbigen Jungen umschreiben. Nachdem Roman seine kurze Er-Erzählung verfasst hatte, beschloss er ins Bett zu gehen. Am nächsten Tag, einem Sonnabend, wollte Roman früh aufstehen und nach einem kleinen Frühstück einen Langlauf unternehmen.

      Am nächsten Morgen stand Roman auf, zog seine Laufbekleidung an und ging in die Küche. Als er die Kühlschranktür öffnete, entdeckte er, dass Christina ihr Essen nicht angerührt hatte. Er hatte sie an diesem Tag noch nicht gesehen. Sie und er hatten getrennte Schlafzimmer, denn sie hatten ganz unterschiedliche Tagesrhythmen: Roman ging früh ins Bett und stand sehr früh auf, während Christina ein Nachtmensch war. Sie stand spät auf, wenn ihre Arbeitsbelastung dies zuließ. Roman nahm an, sie sei spät nach Hause gekommen und sofort ins Bett gegangen. Vielleicht hatte sie etwas bei der Arbeit am späten Abend gegessen.

      Roman bereitete sich eine kleine Portion Müsli zu, die er zusammen mit einem rohen Apfel vertilgte. Nachdem er sich die Zähne geputzt und sich rasiert hatte, lief er los. Draußen stellte er fest, dass das herrliche Frühsommerwetter noch andauerte. Er hatte trotzdem die Wege im Park fast allein für sich. Während er seine Strecke zurücklegte, dachte er an das, was ihm am drauffolgenden Wochenende bevorstand: ein Jahrgangstreffen. Nach 25 Jahren würden die Schülerinnen und Schüler seines Jahrgangs an dem Oldenburger Gymnasium wieder treffen. Bislang hatte er nie eine solche Einladung angenommen, aber diesmal wollte er eben erfahren, was aus den Jungen und Mädchen von damals geworden

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