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Männer schicke ich außerdem samt Equipment zu Ihnen.“

      „Equipment?“

      „Eine Hybriddrohne samt dazugehöriger Steuerungseinheit. Vollständig ausgerüstet und bewaffnet. Dazu das kleine Boot.“

      Das kleine Boot. Diego hob, begleitet von einem stummen Lachen, den Daumen. Ein unbemanntes Mini-U-Boot, Reichweite fünftausend Kilometer, Traglast eineinhalb Tonnen. Ausreichend, um innerhalb von zehn Tagen dieselbe Menge an Kokain von ihrem Stützpunkt im Süden Kolumbiens zu einem Hafen im Golf von Kalifornien zu transportieren. Seinen Gedankengang erahnend fuhr der Colonel fort.

      „Ihr bringt die Ware auf eure Haziendas, fliegt sie von dort mit der Drohne rüber. Ganz einfach. Ihr benötigt in Mexiko keine Armee zum Schutz, auch keine Schmuggellogistik, keine Wartezeiten an der Grenze, kein Gefilze und keine Beschlagnahme.“

      „Und Zoll, DEA, Heimatschutz?“

      Erneut erntete er ein verächtliches Schnauben: „Wie gesagt, dafür garantiert mein Team. Es sollte sich immer ein Türchen finden, durch das ihr den kleinen Flieger schicken könnt. Ihr habt euch sicherlich über mich und mein Angebot erkundigt.“

      Und ob sie das getan hatten. Carlos hatte mithilfe seiner Computernerds innerhalb von zwei Wochen einen umfassenden Hintergrundcheck des Offiziers durchgeführt.

      Ernesto Avril, zweiundfünfzig Jahre alt, ledig, keine Kinder. Colonel bei den Seestreitkräften Mexikos, hochdekoriert, diverse Trainings bei Einsatzkräften des US-Northern Command in Colorado, Verbindungsoffizier mit exzellenten Kontakten zu DEA und FBI, Ausbildungsleiter der Marine-Spezialkräfte in Veracruz und Manzanillo, zuletzt Kommandant der Grenzüberwachung in Tijuana. Keiner Partei zugehörig, keinerlei Anzeichen von Korruption oder Verwicklung in kriminelle Organisationen. Frauen, Männer, Spiele oder Drogen? Fehlanzeige. Kurz: keine Leichen im Keller. Der perfekte Mann für ihr Projekt.

      „Lassen Sie die anderen mit ihren Söldnern aufeinander einhacken und all die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie brauchen das nicht. Meine Männer und vollkommene Überlegenheit hier“, dabei tippte sich der Colonel mit dem Finger an die Schläfe, „sind alles, was zählt. Nach Eingang der Anzahlung präsentieren wir. Wie besprochen.“

      „Sie ist bereits auf dem Weg.“

      Diego hob nickend sein Glas mit bernsteinfarbenem Mescal: „Salut!“

      Tja, da war noch alles in Ordnung.

      Wütend ballt er die Faust, schlägt ins Kissen. Erschrocken wacht das Mädchen an seiner Seite auf.

      „Que? Komm, geh duschen. Ich will allein sein!“ Er gibt ihr einen Klaps und schiebt sie aus dem Bett.

      Die Kleine zieht einen Schmollmund, fügt sich aber, steht auf und sammelt ihre Sachen zusammen. Dann verschwindet sie im Bad.

      Als sie zehn Minuten später das bereitgelegte Geld von der Anrichte neben der Tür nimmt und das Penthouse verlässt, ist Diego bereits wieder eingeschlafen.

      3. Kapitel

      In Utah hatten sie Willem Vandenbroucke immer nur den Buren genannt. Dorthin war er Anfang der Siebziger aus Kapstadt versetzt worden. Genauer gesagt, in die Kupfermine von Kennecott, einem verschlafenen Nest bei Salt Lake City, in dem er als leitender Ingenieur ein Joint Venture beaufsichtigen sollte.

      Mit seinen hundertzehn Kilo, die sich auf einsachtundneunzig verteilten, entsprach er exakt dem Klischee, das den Amerikanern zu den Buren einfiel. Dazu strohblondes Haar, ein imposanter Schnauzbart und sein harter Akzent inklusive rollendem R. Es störte sich auch niemand aus seinem ausschließlich hellhäutigen Kollegenkreis daran, dass Willem nicht nur vom Äußeren her dem weißen Vorzeige-Südafrikaner entsprach. Rassismus war hier kein Makel, den man verbergen musste.

      Cynthia, eine fünfundzwanzigjährige Sekretärin, die es von San Diego in die Wüste Utahs verschlagen hatte, lernte er in der Kantine kennen. Dank ihrer großen, dabei grazilen Statur, dem hellen, beinahe durchsichtig erscheinenden Teint und den wallenden ebenholzschwarzen Haaren war sie rein körperlich der vollkommene Gegensatz zu dem schwergewichtigen Südafrikaner. Trotzdem entwickelte sich recht bald eine stürmische Romanze zwischen den beiden, die nach Cynthias Schwangerschaft in einer Ehe mündete. Als es ein gutes Jahr später um die Erziehung der kleinen Claire ging, fanden beide wenig Gefallen an der Aussicht, ihre Tochter in der Einöde Utahs aufwachsen zu sehen. Auf Willems Wunsch hin sollte es zurück ans Kap gehen. Die Sanktionen gegen das Apartheid-Regime hatten zu einem erheblichen Mangel an Fachkräften geführt. Daher war es für ihn ein Leichtes, für sich eine hoch dotierte Position und für Cynthia eine Halbtagsstelle in Kapstadt zu bekommen.

      So zog die kleine Familie im November 1976 in das frühsommerliche Constantia. Dort, am Fuße des Tafelbergs, bewohnten sie ein großzügiges Anwesen, das sie vom Konzern, für den Willem arbeitete, gestellt bekamen. In dieser begüterten Umgebung wuchs Claire auf, unbeeinflusst von den sich abzeichnenden Umwälzungen in ihrem Land. Sie war ein stilles Kind, das sich aber, wenn es einmal die Stimme erhob, schon früh mit einer Entschlossenheit äußerte, die ihren Altersgenossen gänzlich abging. Dies und die Tatsache, dass sie in jungen Jahren mit ihrer plumpen Statur eher nach dem Vater zu geraten schien, verschafften ihr in Kindergarten und Schule ein hohes Maß an Spott und Häme.

      Claire war auf sich allein gestellt, denn von ihren Eltern war keine Hilfe zu erwarten. Willem, der pausenlos zwischen den im ganzen Land verstreuten Minen pendelte, sah sie lediglich an den Wochenenden. Und Cynthia? Die schien froh, allmorgendlich zur Arbeit in Richtung Kapstadt aufbrechen zu können. Außer einem Kuss blieb nicht viel an Aufmerksamkeit. Claire gewöhnte sich bald an die wechselnden Haus- und Kindermädchen, und anstatt mit anderen Kindern draußen herumzutoben, verkroch sie sich lieber in der riesigen Villa. Besonders hatte es ihr die maritime Bibliothek angetan, in der sie Bildband um Bildband verschlang. In ihren Träumen reiste sie mit den Fotografen und Autoren über die Ozeane dieser Welt. Früh schon stand für sie fest: Sie würde Meeresbiologin oder Fischerin werden - Hauptsache ein Beruf, der sich auf dem Meer abspielte. Das waren natürlich keine Jobs, mit denen sie bei den Mitschülern punkten konnte. Aber nicht nur mit den Gleichaltrigen gab es Ärger, denn mit dem Einsetzen der Pubertät verstärkte sich ihre direkte Art, die von den meisten Lehrern eher als patzig und vorlaut wahrgenommen wurde. So wurde ihre Mutter Cynthia in immer kürzeren Abständen vor das Kollegium zitiert, bis ihr schließlich eindringlich geraten wurde, Claire von der Schule zu nehmen. Bei der schwierigen Suche nach einem Ersatz musste Cynthia sich allein auf ihren Charme verlassen. Von Willem, der sich nur noch sporadisch zu Hause blicken ließ, war nichts zu erwarten. Es kriselte zwischen den Eltern, was auch der jungen Claire nicht verborgen blieb.

      Trotzdem gelang es Cynthia schließlich mit viel Überredungskunst und Charme, den Direktor einer Highschool in Tokai davon zu überzeugen, Claire mitten im Semester an seiner Schule aufzunehmen. Und so kam es, dass die Vierzehnjährige sich eines Montagmorgens im Oktober in der hintersten Reihe ihres neuen Klassenraums wiederfand, um dort ihre beschwerliche Schullaufbahn fortzusetzen.

      Jedoch fiel ihr die Eingewöhnung hier leicht, da sich mit zunehmendem Alter etwas veränderte, was ihre Akzeptanz besonders unter dem männlichen Teil ihrer Mitschüler begünstigte: Ihr Körper hatte begonnen, sich von dem plumpen Vorbild des Vaters zu lösen. Claire hatte einen ordentlichen Schub gemacht, der sowohl ihre Beine als auch ihren Oberkörper in eine Figur streckte, die den Jungs den Atem stocken ließ. Zusammen mit den langen schwarzen Haaren, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, und dem goldbraunen Teint machte sie das rasch zur ernsten Anwärterin auf den Platz des Sweethearts ihres Jahrgangs. Claire war sich ihrer Wirkung durchaus bewusst und lernte, diese für ihre Zwecke einzusetzen.

      Nur einer schien sich von der allgemeinen Begeisterung nicht anstecken zu lassen: Ken. Groß, blond, langhaarig, Surfer. Dazu vermögendes Elternhaus, ein rebellisches Wesen und eine aus beidem entstandene Fuck You-Mentalität, besonders gegenüber Lehrern und anderen Autoritäten. Wie gemacht, um Probleme anzuziehen. Aber auch perfekt, um Mädchen um den Verstand zu bringen. Was permanent geschah, und auch bei Claire dauerte es nur kurze Zeit, bis es sie erwischte.

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