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       Erben der Macht

      Namen und Narben

      Von Christine Stark

       Erben der Macht

       Namen und Narben

       Ein Roman von Christine Stark

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      Seite(n)

      138868 Wörter

      729140 Zeichen

      Prolog

      Erste Risse

      Irgendwann zuvor

      

      Trinken. Bis zu Besinnungslosigkeit. Jetzt. Schnell. Viel. In Mayas Glas klirrten die Eiswürfel, die bittere Flüssigkeit rann durch ihren Hals und brannte in ihrem Magen. Es war noch zu wenig. Ihre Wut ließ sich davon nicht bändigen. Die lauten, harten Bässe des Clubs heizten sie sogar noch an. Maya atmete tief durch, ballte die Hände zu Fäusten, versuchte, dem Drang zu widerstehen, jemanden zu schlagen. Sie wollte sich bewegen. Sie musste sich bewegen. Maya bahnte sich einen Weg durch die Menschen, die im flackernden, düsteren Licht der großen Industriehalle alle gleich aussahen. Gleich schwarz. Sie rempelte sie an, ignorierte die Beschimpfungen. Mit dem Finger zog sie das Band aus ihren Haaren und spürte, wie sich die schwere dunkle Masse über ihre Schultern ausbreitete, schüttelte den Kopf und begann zu tanzen.

      Vater, Michael, Mia. Wie Blitzlichter tauchten sie vor ihrem inneren Auge auf. Ihr Vater, ihr Bruder, ihre Schwester. Sogar Mia. Sie hatten sie verraten. Wie konnten sie nur? Wie konnten sie nur! Maya ließ ihrer Wut freien Lauf. Ihr Körper übernahm die Kontrolle, bewegte sich wild. Es war erdrückend heiß, die Musik knallte in ihren Ohren und ihre Haare klebten an ihrem schweißfeuchten Gesicht. Es war ihr egal. Sie war hier, sie tanzte. Ihr Herz schlug im Rhythmus der Musik. Ihre Wut wich ihren schweren Atemzügen, begann sich aufzulösen und war schlagartig zurück, als zwei Hände nach ihren Hüften griffen und sich ein Körper von hinten an sie drückte. Erschrocken fuhr sie herum und blickte in ein Paar verschwommen glänzende Männeraugen. Ein ekelhaftes, geiferndes Grinsen, wie nur Betrunkene es haben, zierte sein unrasiertes Gesicht, als der Mann versuchte, sich noch näher an Maya zu drängen. Doch so weit kam er nicht. Noch bevor er ein Wort sagen konnte, hatte Maya dem Mann beide Hände vor die Brust geknallt. Sie spürte den Rückstoß in ihren Schultern und etwas in ihr gierte danach zu schlagen und zu treten. Doch der Kerl hatte bereits das Gleichgewicht verloren. Er saß am Boden, seine glasigen Augen starrten verständnislos zu ihr hoch. Mühsam unterdrückte Maya die Versuchung ihre Wut an ihm auszulassen. Stattdessen drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand erneut Richtung Bar. Sie spürte, wie einige Blicke ihr folgten, doch Maya starrte stur geradeaus. Geradewegs in die blitzenden Augen eines Mannes, der am Tresen lehnte. Er wirkte groß und dunkel und er lächelte amüsiert. Maya hob den Kopf und erwiderte den Blick mit aller Arroganz, die sie aufbringen konnte. Dann amüsier‘ dich doch, du Idiot! Sie blinzelte, wandte den Kopf ab und erreichte die Bar.

      „Whiskey!“, schrie sie über den Tresen. Eigentlich mochte sie gar keinen Whiskey. Aber das scharfe, bittere Gesöff schien gerade passend. Nichts war gut. Auch nicht der Whiskey. Der Barkeeper nickte und machte sich an die Arbeit.

      Hastig stürzte sie sich auf die braune Flüssigkeit. Sie schluckte und verschluckte sich heftig. Sie hustete, bis ihr die Tränen aus den Augen schossen. Als sie aufblickte, traf sie erneut der Blick des Mannes an der Bar. Doch nun war er viel näher gekommen. Er stand direkt vor ihr und lächelte ein entwaffnendes Lächeln.

      „Ich würde dir ja gerne helfen, aber ich habe Angst, dass du mich niederschlägst, sobald ich dir auf den Rücken klopfe.“

      „Nicht…“ röchelte Maya. Ihre Stimme kam nur langsam wieder zurück. „Jetzt nicht.“

      „Nicht klopfen?“, der Kerl musterte sie immer noch grinsend.

      „Arschloch“, zischte Maya. Sie hatte sich wieder gefangen, atmete mehrmals tief durch und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, begann sie nun ihrerseits ihr Gegenüber zu mustern. Einige Strähnen seiner schulterlangen schwarzen Haare waren ihm in sein markantes, scharf geschnittenes Gesicht gefallen und sein Lächeln entblößte eine Reihe perfekter Zähne. Im düsteren Licht des Clubs versuchte sie sein Alter zu schätzen. Er schien nicht viel älter zu sein als sie. Fünfundzwanzig vielleicht? Und er war definitiv viel zu groß, um ihn niederschlagen zu können, stellte Maya resigniert fest.

      Ihre Blicke trafen sich und hielten sich fest. Sein Lächeln verschwand.

      „Die Welt ist scheiße?“, konstatierte er.

      „Exakt.“ Immer noch hielt sie seinem Blick stand.

      „Die Welt ist scheiße und es gibt nichts, was sie besser machen könnte. Nicht einmal Whiskey?“

      „An diesem ekelhaften Gesöff verschluckt man sich nur.“

      Jetzt grinste er wieder. Er beugte sich vor, ohne ihr Gesicht auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen.

      „Komm mit.“ Seine Stimme war gerade so laut, dass sie sie hören könnte. Dann griff seine raue, warme Hand nach der ihren und schon einen Moment später fand sie sich auf der Straße wieder. Er zog sie mit sich. Maya fragte nicht wohin.

      Sie rannten durch die schwüle Nachtluft, vorbei an Partygängern, Betrunkenen und schrill lärmenden Mädchen. Es fühlte sich gut an zu laufen, die Oberschenkel brennen zu spüren und außer Atem zu kommen. Im Nachhinein war es gar keine so schlechte Idee gewesen, die Stiefel statt der Highheels anzuziehen. Sie ließen das überfüllte Partyviertel hinter sich und bogen mehrfach ab in ruhigere Straßen. Mayas Hals schmerzte und sie bekam kaum noch Luft. Sie wollte sich gerade losreißen und ihm sagen, dass sie nicht mehr konnte, da wurde er auch schon langsamer und blieb schließlich stehen.

      „Hier wohne ich“, erklärte er ihr, nicht halb so schwer atmend wie Maya. Wie ungerecht, fand sie. Als er in seine Jeanstasche nach dem Schlüssel griff, hielt er inne und blickte sie fragend an.

      Wenn sie sich aus dem Staub machen wollte, dann war wohl jetzt die Gelegenheit dazu, schoss Maya durch den Kopf. Aber ihr fiel wirklich kein Grund ein, warum sie gehen sollte. Das hier würde helfen. Das hier musste helfen.

      „Was ist?“, fragte sie herausfordernd.

      „Alles okay?“ Seine Stimme klang, als wollte er das wirklich wissen.

      „Nein, nichts ist okay“, antwortete sie hart. „Aber lass uns jetzt endlich reingehen.“

      Aufgeputscht von ihrer eigenen Waghalsigkeit ließ sich Maya ins Treppenhaus ziehen. Sie liefen gemeinsam die Stufen hinauf. Die Spannung zwischen ihnen schien greifbar. Nervös lachte sie auf. Vier Stockwerke später blieb er abrupt stehen, drehte sich zu ihr um, schob sie gegen die Wand und küsste sie. Nicht vorsichtig, nicht zärtlich, sondern gierig. Maya erwiderte seinen Kuss mit derselben Gier, verlor sich in der Hitze, genoss die Kraft, mit der er seine Arme um ihren Körper legte. Sie fielen förmlich in sein Appartement. Maya hatte die Hände in seinen schwarzen Haaren vergraben um ihn noch näher an sich zu ziehen, ihre Lippen immer noch auf seinen, sein Atem in ihrem Mund.

      „Moment“, flüsterte er zwischen zwei Küssen. Und als Maya nicht reagierte noch einmal. „Moment.“ Er schob sie sanft von sich. Als er Mayas fragenden Blick auffing, lächelte er. „Ich kann das nicht tun.“ Maya erschrak.

      „Was?“ Sie begann die Fassung zu verlieren, das spürte sie ganz deutlich. Dieser furchtbare Abend! Sollte er denn immer so weiter gehen? Kam jetzt eine weitere Demütigung? Sie wollte ihm eine gemeine Antwort entgegenschleudern, ihn beschimpfen, ihn schlagen. Doch noch bevor sie sich auch nur die passenden Worte zurechtlegen konnte, hob er abwehrend die Hand. Immer noch lächelte er und etwas blitzte in seinen blaugrauen Augen.

      „Ich kann das nicht tun, ohne zu wissen, wie du heißt.“ Der Schock

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