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deutete zu einem Fußpfad, der mitten ins grüne Gebüsch hineinzuführen schien. „Baden am Fluss. Kommen später heim.“

      Kaum zwanzig Schritt vom Haus entfernt ragte ein riesiger Feigenbaum auf und breitete seine üppig grünen Zweige über das Dach. Sein verschlungener Stamm wirkte wie die fließenden Gewänder einer Menschenfrau, die für irgendeinen Frevel in einen Baum verwandelt worden war. In welchem Märchen hatte sie so etwas schon einmal gelesen?

      Gleich neben dem riesigen Baum stand ein winziges rot und gelb angemaltes Häuschen auf einem Pfahl. Es war prachtvoll geschnitzt und sah aus wie ein Tempel von der Größe eines Puppenhäuschens. Blumengirlanden schmückten es und auch ein paar Porzellanschalen fanden darauf Platz.

      „Was ist das, ein Luxus-Vogelhäuschen?“, fragte Sofia neugierig und ging näher heran.

      Kaeo sah einen Moment lang verwirrt aus, bis das Lächeln auf sein Gesicht zurückkehrte. „San phra phuum. Ein Geisterhäuschen. Wenn ein Haus gebaut wird, brauchen die Geister der Erde und der Luft einen neuen Ort, wo sie wohnen können. Wir bringen ihnen Gaben.“ Er deutete auf die Schälchen. „Dann die Geister sind zufrieden und wachen über uns.“ Kaeo setzte das Gepäck ab, zog eine Flasche Cola aus seinem Rucksack hervor und goss eine der Opferschalen voll. Respektvoll verbeugte er sich mit gefalteten Händen vor dem Häuschen. Dann erst schulterte er die Sachen wieder.

      „Thailändische Geister mögen amerikanische Limonade?“ Ricarda staunte.

      „Bestimmt. Mein Onkel Fon sogar hat dem Erdgeist Chao Thi mal eine Flasche Whisky geopfert. Hatte ihm das versprochen, wenn Chao Thi ihm hilft, eine Wette zu gewinnen. Er hat gewonnen die Wette und hat gehalten sein Versprechen.“

      Als sie weitergingen, flüsterte Sofia ihr ins Ohr: „O Mann, da bin ich ja voll ins Fettnäpfchen getreten. Ich sage nur: Vogelhäuschen! Meinst du, er ist jetzt sauer auf mich?“

      Ricarda dachte nach. Kein Zweifel, das mit den Geistern war für Kaeo eine todernste Angelegenheit. Vielleicht hatten die Amulette um seinen Hals etwas damit zu tun. „Bestimmt nicht – er hat ja wieder gelächelt.“

      „Ja, aber das tun die Thais doch anscheinend die ganze Zeit.“

      Einen Steinwurf vom Haupthaus entfernt war eine Lichtung, eine Art zentraler Versammlungsort, etwa so groß wie ein Sportplatz. Ricardas Sandalen wirbelten hellen Lehmstaub auf, als sie ihn überquerten. An den Seiten des Platzes gab es einige offene Elefanten-Unterstände, die nur aus einem zerzausten Schilf- oder Strohdach und ein paar dicken Baumstämmen als Stützen bestanden. Etwas weiter entfernt, halb hinter Bäumen versteckt, sichtete Ricarda Pferche, die ähnlich aussahen wie Pferdekoppeln – nur, dass die Pfähle und Querbalken sehr viel dicker waren. Ob das einen Elefanten aufhielt, der unbedingt rauswollte?

      Nach ein paar Minuten Fußweg durch den Wald kamen sie zu einfachen, auf niedrigen Stelzen stehenden Bambushütten, von denen jede eine umlaufende Veranda aus roh gezimmerten Ästen hatte. Das waren vermutlich die Hütten der Mahouts.

      „Sind eigentlich noch andere Freiwillige hier?“, wollte Sofia neugierig wissen.

      Kaeo schüttelte den Kopf. „Nicht zurzeit. Meist sind nur zwei oder vier hier gleichzeitig. Die anderen sind am Samstag abgereist.“

      „Welche Hütte ist unsere?“, fragte Ricarda gespannt und Kaeo zeigte auf eine Hütte, die um einen Baum herumgebaut worden war. Ricarda war begeistert. Sie strich über die länglichen glänzend grünen Blätter, schaute an dem Stamm hoch und stellte fest, dass an den Zweigen Mangos hingen. Manche noch grün und unreif, andere schon gelb-orange angehaucht. Sie teilten ihre Hütte mit einem Mangobaum, wie cool! Und da vorne entdeckte Ricarda an hoch aufragenden Pflanzen, die mit ihren langen smaragdgrünen Blättern Palmen ähnlich sahen, Büschel von Bananen. Hier konnte man sich ja gut durchfressen ...

      Sofia klopfte auf einen roten Feuerlöscher, der gleich neben dem Eingang der Hütte hing. „Sag mal, brennt es hier so oft?“

      „Noch nie“, sagte Kaeo stolz.

      „Und wieso dann all diese Feuerlöscher?“

      „Ist Idee von Por Ruang.“ Kaeos Ton wurde vertraulich. „Er hat Angst vor Feuer. Als er war Kind, die Hütte der Familie ist abgebrannt. Seither seine Regel: überall Feuerlöscher, dann nichts passieren kann.“

      Drinnen gab es zwei Betten mit geschickt zusammengeknoteten Moskitonetzen darüber und einen gekachelten Waschraum. Ricarda stellte fest, dass die Dusche nur aus einem Schlauch bestand, der aus der Wand ragte.

      Ratlos schaute sich Sofia um. „Äh, aber wie soll das funktionieren – wenn man duscht, setzt man doch den Rest des Badezimmers unter Wasser?“

      „Ach, dann bekommt man auch drinnen dieses gewisse Regenzeit-Feeling.“ Ricarda zuckte die Schultern und beobachtete, wie ein paar große rotbraune Ameisen von unten nach oben den Stamm hochtrippelten. Zum Glück hielten sich nicht an, sondern marschierten Richtung Dach weiter und waren bald darauf außer Sicht. Ricarda schaute nach unten und stellte verblüfft fest, dass sie durch kleine Ritzen in den Brettern den Boden sehen konnte. Hoffentlich war das Dach nicht ähnlich gebaut, sonst würde es beim nächsten Regenguss ziemlich feucht hier drin werden.

      Dann begann sie ihren Koffer auszupacken und ihre Sachen in den einfach gezimmerten Schrank einzuräumen. Doch was war denn das für ein hellbraunes Ding unter der zweiten Lage von T-Shirts? Da lag dieser verdammte Lederkoffer mit dem Fernglas! Nein! Dabei erinnerte sie sich genau daran, dass sie das Ding in den Schrank zurückgestellt hatte.

      Weiß leuchtete ein Zettel zwischen ihren Sachen hervor. Das hier hättest du beinahe vergessen! Gruß und Kuss, Mami.

      Ricarda stöhnte leise. Vielleicht war das Fernglas verflucht und sie konnte es einfach nicht loswerden, so sehr sie sich auch anstrengte.

      „Was ist?“, fragte Sofia.

      „Meine Mutter hat mir ein Fernglas eingepackt. Kein Wunder, dass der Koffer so schwer geworden ist“, antwortete Ricarda und stopfte den Lederkoffer in den Schrank.

      Sofia kramte in ihrer Reisetasche herum und zog ihren Glücksbringer hervor, ein fettes rosafarbenes Plüschschwein. Es bekam einen Ehrenplatz auf dem Nachttisch.

      „Dieses hässliche Vieh hast du den ganzen Weg aus Europa hergeschleppt?“ Ricarda hob es hoch und schaute ihm in die Steckdosennase. „Das ist doch peinlich. Willst du wirklich, dass einer der Thais das sieht? Wahrscheinlich sind Schweine auch für Buddhisten unreine Tiere und du bist auf ewig unten durch. Besonders nach der Sache mit dem Vogelhäuschen.“

      Gut gelaunt verschränkte Sofia die Arme hinter dem Kopf. „Ach quatsch, es gibt unendlich viele Thai-Gerichte mit Schweinefleisch, die werden sie ja wohl nicht essen, wenn Schweine unrein sind. Komm, wir packen später aus und gehen noch ein bisschen erkunden!“

      „Okay, gute Idee.“ Sie warf noch eine Hose in den Schrank, dann klappte Ricarda den Koffer zu und folgte Sofia nach draußen. Dort lehnten sich die beiden einen Moment nebeneinander gegen die Veranda und genossen den Blick auf die grünen Hügel, die sich jenseits der Lichtung erhoben.

      Das war der Moment, in dem Ricarda es spürte. Eine Art leises Vibrieren der Luft, wie ferner Donner. Doch der Himmel war klar und blau, ein Gewitter konnte es nicht sein.

      „Merkst du das auch?“, fragte sie Sofia, doch die schüttelte den Kopf und schaute fragend.

      „Nee. Was denn?“

      Ein Schauder durchlief Ricarda. „Ich glaube, die Elefanten kommen!“, flüsterte sie.

      Fast gleichzeitig sprangen sie und Sofia von der Veranda und liefen los.

      Groß und grau

      Hintereinander schritten die grauen Riesen aus dem Wald, noch nass und dunkel von ihrem Bad, während Ricarda und Sofia am Rand der Lichtung stehen blieben und staunten. Die Elefanten bewegten sich fast lautlos, bis auf das Knack-Woosh, als einer von ihnen mit dem Rüssel einen Ast packte, ihn

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