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führt – uns kann man, Gott sei Dank, einen solchen nicht vorwerfen!« Die Kinder sahen voll Entsetzen auf die Verbrecherin, und nur der Umstand, daß die Soldaten hinter ihr hermarschierten und sie daran hinderten, noch mehr Böses zu tun, beruhigte sie einigermaßen. Ein Bäuerlein vom Dorfe, das Holzkohlen verkauft und im Wirtshause Tee getrunken hatte, trat auf sie zu, bekreuzte sich und reichte ihr eine Kopeke. Die Gefangene errötete, senkte den Kopf und sagte irgend etwas.

      Sie fühlte die auf sie gerichteten Blicke sehr wohl und warf ihrerseits, ohne den Kopf zu wenden, unbemerkt Seitenblicke nach jenen, die sie ansahen. Die Aufmerksamkeit, die man ihr schenkte, freute sie. Es freute sie auch, die im Verhältnis zur Gefängnisluft so reine Frühlingsluft der Straßen zu atmen, dagegen fiel es ihr schwer, mit den des Gehens entwöhnten, in den plumpen Gefängnispantoffeln steckenden Füßen auf die Steine zu treten, und sie sah auf den Weg unter ihren Füßen und bemühte sich, so leicht wie möglich aufzutreten. Als die Gefangene an einer Mehlhandlung vorüberkam, vor der sorglos und unbehelligt mit leichtschaukelndem Gange eine Taubenschar sich tummelte, wäre sie beinahe auf einen blauen Täuberich getreten – rasch mit den Flügeln schlagend, flatterte er in die Höhe und flog dicht am Ohre der Gefangenen vorüber, daß sie den von ihm verursachten Windhauch deutlich spürte. Sie lächelte, und als sie dann ihrer Lage gedachte, entrang sich ihr ein tiefer Seufzer.

      1 Ein finnisch-türkischer Volksstamm

      2

      Die Geschichte der Arrestantin Maslowa war eine sehr alltägliche Geschichte.

      Die Maslowa war die Tochter einer leibeigenen Bauerndirne, die mit ihrer Mutter zusammen auf einem zwei adeligen Schwestern gehörenden Gute als Stallmagd lebte. Diese ledige Person gebar jedes Jahr ein Kind; das Kind wurde, wie das gewöhnlich auf den Dörfern geschieht, getauft, dann aber kümmerte sich die Mutter nicht weiter um das unerwünscht erschienene, überflüssige, bei der Arbeit störende kleine Wesen und ließ es ohne Nahrung, so daß es bald verhungerte.

      So waren ihr fünf Kinder gestorben. Getauft wurden sie alle, jedoch nicht gefüttert, so daß sie starben. Das sechste Kind, dessen Vater ein zufällig das Dorf passierender Zigeuner war, war ein Mädchen, und das Schicksal der Kleinen wäre dasselbe gewesen, wenn nicht zufällig eine der beiden alten Damen, denen das Gut gehörte, in den Kuhstall gekommen wäre, um die Mägde dafür auszuschelten, daß der Rahm nach der Kuh roch. In der Mägdestube lag die Wöchnerin mit ihrem hübschen, gesunden Säugling. Das alte Fräulein schalt nun nicht nur wegen des Rahms, sondern auch wegen der Ungehörigkeit, daß man eine Wöchnerin in der Stube der Viehmägde gelassen hatte, und schon wollte sie weggehen, als sie das Kind erblickte. Sie ward gerührt und erbot sich, seine Taufpatin zu sein. Sie hob es auch wirklich aus der Taufe, sorgte für das Patenkindchen, gab der Mutter Milch und Geld, und so blieb die Kleine am Leben. Die alten Damen nannten sie denn auch »die Gerettete«.

      Das Kind war drei Jahre alt, als seine Mutter erkrankte und starb. Der Großmutter, die selbst Stallmagd war, fiel die Enkelin zur Last, und so nahmen die alten Fräulein das Kind zu sich. Die schwarzäugige Kleine wuchs zu einem ungemein lebhaften und anmutigen Mädelchen heran, und die alten Damen hatten ihre Freude an ihr.

      Es waren, wie gesagt, zwei alte Damen da: die jüngere, Sofia Iwanowna, war von gutartigem Naturell – sie war es auch gewesen, die das Kind aus der Taufe gehoben hatte; die ältere, Maria Iwanowna, war von strengerer Gemütsart. Sofia Iwanowna putzte das Mädchen, lehrte es lesen und hätte es am liebsten als Pflegekind behalten. Maria Iwanowna aber sagte, das Mädchen müsse arbeiten lernen, müsse zu einem tüchtigen Stubenmädchen ausgebildet werden, und darum war sie streng gegen das Mädchen, strafte es und schlug es sogar, wenn sie schlechter Laune war. So wuchs das Mädchen unter dem Einfluß der beiden alten Damen zu einem Zwitterwesen, halb Stubenmädchen und halb Pflegekind, heran. Und auch einen Zwitternamen gab man ihr – nicht Katjka, und nicht Katenjka, sondern Katjuschka. Sie nähte, räumte die Zimmer auf, putzte die Beschläge der Heiligenbilder mit Kreide, röstete, mahlte und servierte den Kaffee, besorgte die kleine Wäsche und saß zuweilen bei den Fräulein und las ihnen vor.

      Sie hatte verschiedene Bewerber, doch wollte sie keinen von ihnen heiraten, da sie wohl ahnte, daß das Leben an der Seite dieser dem arbeitenden Stande angehörenden Freier ihr, nachdem sie die Annehmlichkeiten des Herrenlebens kennen gelernt, doch gar zu schwer fallen würde.

      So lebte sie bis zu ihrem sechzehnten Jahre. Als sie aber sechzehn Jahre alt geworden, erhielten die Fräulein den Besuch eines Neffen, eines reichen Studenten, und Katjuschka verliebte sich in ihn, ohne daß sie es wagte, ihm oder auch nur sich selbst die Tatsache dieser Liebe zu gestehen. Zwei Jahre später machte derselbe Neffe, als er in den Krieg zog, seinen Tanten abermals einen Besuch, blieb bei ihnen vier Tage, verführte Katjuscha und reiste ab, nachdem er ihr am Tage seiner Abreise eine Hundertrubelnote in die Hand gedrückt hatte. Fünf Monate nach seiner Abreise wußte Katjuscha bestimmt, daß sie schwanger war.

      Von der Zeit an ward ihr alles gleichgültig, und sie dachte nur darüber nach, wie sie der Schande entgehen könnte, die sie erwartete. Nicht genug daran, daß sie ihren Dienst bei den Fräulein unwillig und schlecht verrichtete, wurde sie auch – sie wußte selbst nicht, wie es geschah – ungezogen und ausfällig gegen sie. Sie sagte den Damen Grobheiten, die sie selbst später bereute, und bat um ihre Entlassung. Und die Fräulein, die mit ihr sehr unzufrieden waren, entließen sie.

      Sie ging von ihnen zu einem Bezirkskommissar in Dienst, konnte dort jedoch nur drei Monate bleiben, da der Kommissar, ein fünfzigjähriger Alter, ihr nachzustellen begann. Eines Tages, als er ganz besonders zudringlich geworden, geriet sie in Zorn, nannte ihn einen Dummkopf und einen alten Teufel und stieß ihn so heftig gegen die Brust, daß er zu Boden stürzte. Sie wurde wegen rohen Benehmens aus dem Dienste gejagt. Wieder in Dienst zu treten, hatte keinen Zweck, da sie nun ihrer Niederkunft entgegensah. Sie quartierte sich bei der Dorfhebamme ein, einer Witwe, die nebenher einen Branntweinhandel betrieb. Die Niederkunft war leicht. Aber die Hebamme, die gleichzeitig eine kranke Frau im Dorfe entbunden hatte, steckte Katjuscha mit dem Kindbettfieber an, und das Kind, ein Knabe, kam ins Findelhaus, wo es nach der Aussage der Alten, die es hingebracht hatte, sogleich nach der Einlieferung starb.

      Als Katjuscha zu der Hebamme kam, besaß sie an Geld im ganzen hundertsiebenundzwanzig Rubel; siebenundzwanzig hatte sie verdient, und die hundert hatte ihr Verführer ihr gegeben. Als sie von der Hebamme wegzog, besaß sie nur noch sechs Rubel. Sie verstand sich nicht aufs Sparen, verbrauchte das Geld für sich und gab jedem, der sie darum anging. Die Hebamme hatte von ihr für Unterkunft, Kost und Tee auf zwei Monate vierzig Rubel genommen, fünfundzwanzig Rubel hatte die Unterbringung des Kindes gekostet, vierzig Rubel hatte ihr die Hebamme abgeborgt, um sich eine Kuh anzuschaffen, zwanzig Rubel waren so, für Kleider und Geschenke, draufgegangen, und als nun Katjuscha wieder gesund war, stand sie ohne Geld da und mußte sich eine neue Stelle suchen. Sie fand diese Stelle bei einem Förster. Der Förster war verheiratet, aber ebenso wie der Kommissar wurde er vom ersten Tage an zudringlich gegen Katjuscha und ließ sie nicht mehr in Ruhe. Seine Frau kam hinter seine Schliche, und als sie ihn einmal allein mit Katjuscha im Zimmer überraschte, stürzte sie sich auf diese, um sie zu schlagen. Katjuscha wehrte sich, und es kam zu einer Prügelei, derentwegen sie aus dem Hause gejagt wurde, ohne ihren Lohn bekommen zu haben. Nun fuhr Katjuscha nach der Stadt und hielt sich bei einer Tante auf. Der Mann der Tante war ein Buchbinder, dem es früher gut gegangen war, der aber jetzt alle Kunden verloren und sich dem Trunke ergeben hatte – alles, was ihm unter die Hand kam, vertrank er.

      Die Tante aber betrieb eine kleine Wäscherei, von deren Ertrage sie sich samt ihren Kindern wie auch den heruntergekommenen Gatten ernährte. Sie schlug der Maslowa vor, bei ihr als Wäscherin einzutreten. Als die Maslowa jedoch sah, was für ein beschwerliches Leben die Wäscherinnen bei der Tante führten, zögerte sie und suchte sich in einem Vermittlungsbureau eine Stelle als Dienstmädchen. Sie fand eine solche bei einer Dame, die zwei das Gymnasium besuchende Söhne hatte. Acht Tage nach ihrem Dienstantritt hörte der ältere Sohn, ein schnurrbärtiger junger Mann, der die sechste Klasse des Gymnasiums besuchte, auf zu lernen und ließ die Maslowa nicht mehr in Ruhe. Die Mutter gab an allem der Maslowa schuld und entließ sie. Eine neue Stelle fand sie nicht gleich, doch geschah es, daß die Maslowa,

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