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der Landstraße, in den Streifen des wie durch ein Sieb senkrecht fallenden, feinen Regens und in dem abgewaschenen, glänzenden Grün des Straßengrases. Die schwarze Gewitterwolke bedeckt nun ebenso drohend wie zuvor die entgegengesetzte Seite des Himmelsgewölbes, aber ich fürchte sie nicht mehr. Ich empfinde ein unbeschreiblich wonniges Gefühl der Lebensfreude, welches das drückende Angstgefühl in mir schnell ablöst. Meine Seele lächelt mit der erfrischten, heiteren Natur. Wassilij schlägt den Mantelkragen zurück, nimmt die Mütze ab und schüttelt die Regentropfen herunter; Wolodja schiebt die Lederdecke fort; ich beuge mich aus dem Wagen und atme gierig die erfrischte, wohlriechende Luft ein. Das glänzende, rein gewaschene Verdeck der Kutsche mit dem Koffergestell und dem Reisegepäck schwankt vor uns her, die Rücken der Pferde, das Geschirr, die Leine, die Radreifen – alles ist naß und glänzt in der Sonne wie mit Lack überzogen. Auf der einen Seite der Straße erstreckt sich – hier und da durch kleine Schluchten unterbrochen – ein von Feuchtigkeit und Grün leuchtendes, unübersehbares Feld mit Wintergetreide wie ein dichter Teppich bis an den Horizont; auf der andern Seite steht ein Wäldchen von Zitterpappeln, mit Unterholz von Haselnusssträuchern und Faulbäumen, wie im Überschwang des Glückes regungslos da und läßt langsam die hellen Regentropfen von seinen reingewaschenen Zweigen auf das dürre Laub des Vorjahres fallen. Überall kreisen die schopfköpfigen Lerchen mit fröhlichem Liede und schießen schnell aus der Luft herab; im nassen Gebüsch hört man das geschäftige Treiben der kleinen Vögel, und mitten aus dem Wäldchen heraus klingt heller Kuckucksruf. So berauschend ist der herrliche Waldesduft nach dem Frühlingsgewitter, der Duft der Birken, Veilchen, Morcheln, des welken Laubes, des Faulbaums, daß ich's nicht länger im Wagen aushalte, vom Trittbrett springe, ins Gebüsch eile und – ungeachtet dessen, daß ich mit Regentropfen überschüttet werde – die nassen Zweige des eben erblühten Faulbaumes pflücke, mir damit ins Gesicht schlage und mich an ihrem wundervollen Duft berausche. Ohne darauf zu achten, daß an meinen Stiefeln riesige Klumpen Lehms kleben und daß meine Strümpfe längst durchnäßt sind, laufe ich durch den klatschenden Straßenschmutz ans Fenster der Kutsche.

      »Ljubotschka! Katjenka!« rufe ich, einige Faulbaumzweige hineinreichend, »seht nur, wie hübsch!«

      Die Mädchen quietschen, kreischen; Mimi schreit, ich solle fortgehen, sonst würde ich unbedingt überfahren.

      »So riech' doch, wie das duftet!« rufe ich.

      Neue Anschauungen

      Katjenka saß neben mir in unserem Wagen und verfolgte, das hübsche Köpfchen gesenkt, nachdenklich den unter den Rädern entschwindenden, staubigen Weg. Ich blickte sie schweigend an und wunderte mich über den unkindlichen, traurigen Ausdruck, den ich zum ersten Male auf ihrem rosigen Gesichtchen bemerkte.

      »Nun kommen wir bald nach Moskau«, sagte ich, »wie denkst du, sieht es wohl aus?«

      »Ich weiß nicht«, antwortete sie unlustig.

      »Na aber dennoch, wie denkst du, ist es größer als Serpuchow oder nicht?«

      »Was?«

      »Ach nichts.«

      Aber mit dem instinktiven Gefühl, mit welchem ein Mensch die Gedanken des andern errät und welches als Leitfaden des Gespräches dient, begriff Katjenka, daß ihre Gleichgültigkeit mich kränkte; sie hob den Kopf und wandte sich zu mir.

      »Hat Papa euch gesagt, daß wir bei Großmama wohnen werden?«

      »Ja, Großmama will ganz mit uns zusammenwohnen.«

      »Und wir werden alle zusammenwohnen?«

      »Versteht sich; wir werden oben auf der einen Seite wohnen und ihr auf der andern, und Papa im Seitenflügel; speisen werden wir alle zusammen unten bei Großmama.«

      »Mama sagt, Großmama sei so ernst und böse?«

      »N–nein, das scheint nur so anfangs; sie ist ernst, aber durchaus nicht böse, im Gegenteil, sehr gut und lustig. Wenn du nur gesehen hättest, was für einen Ball wir zu ihrem Namenstag hatten.«

      »Dennoch, ich fürchte mich vor ihr. Übrigens weiß Gott, ob wir –«

      Katjenka verstummte plötzlich und wurde wieder nachdenklich.

      »Was denn?« fragte ich unruhig.

      »Nichts; ich meinte nur.«

      »Nein, du sagtest doch: ›Gott weiß – ‹«

      »Du hast gesagt, daß ein Ball bei Großmama war?«

      »Ja, schade, daß ihr nicht dabei wart. Es waren eine Menge Gäste da, gegen tausend Personen, Musik, Generäle, – und ich habe getanzt. – Katjenka«, unterbrach ich plötzlich meine Beschreibung, »du hörst nicht zu.«

      »Doch, ich höre, du sagtest, daß du getanzt hast.«

      »Warum bist du so verstimmt?«

      »Man kann doch nicht immer lustig sein.«

      »Nein, du hast dich sehr verändert, seit wir aus Moskau gekommen sind. Sag' mir die Wahrheit«, fügte ich entschlossen hinzu, indem ich mich ihr zukehrte, »warum bist du so sonderbar geworden?«

      »Bin ich denn sonderbar?« antwortete Katjenka mit einer Lebhaftigkeit, welche bewies, daß meine Bemerkung sie interessierte, »ich bin doch gar nicht sonderbar.«

      »Nein, du bist nicht mehr so wie früher«, fuhr ich fort, »früher sah man, daß du in allem mit uns eins warst, daß du uns wie deine Verwandten betrachtetest und uns so lieb hattest wie wir dich, und jetzt bist du so ernst geworden, hältst dich von uns fern –«

      »Aber gar nicht!«

      »Nein, laß mich ausreden«, unterbrach ich sie, während ich schon das leise Kitzeln in der Nase spürte, das den Tränen vorausgeht, welche mir immer in die Augen traten, wenn ich einen lang zurückgehaltenen Herzensgedanken aussprach, »du hältst dich von uns fern, du sprichst nur mit Mimi, als ob du uns nicht mehr kennen wolltest.«

      »Man kann sich doch nicht immer gleich bleiben, irgendwann muß man sich doch verändern«, antwortete Katjenka, welche die Gewohnheit hatte, alles durch eine Art fatalistischer Notwendigkeit zu erklären, wenn sie nicht wußte, was sie sagen sollte. Ich erinnere mich, daß sie einmal während eines Streites mit Ljubotschka, die sie ein »dummes Mädel« genannt hatte, erwiderte, es können ja nicht alle klug sein, es müsse auch Dumme geben. Aber ihre Antwort, daß man sich irgendwann verändern müsse, befriedigte mich nicht, und ich fuhr fort zu fragen:

      »Warum muß man das?«

      »Wir werden doch nicht immer zusammen bleiben«, antwortete Katjenka leicht errötend und aufmerksam Philipps Rücken betrachtend, »Mamachen konnte bei eurer seligen Maman leben, weil sie befreundet waren, aber weiß Gott, ob sie mit der Gräfin, die, wie man sagt, so böse ist, übereinstimmen wird? Und auch sonst, irgendwann müssen wir uns ja doch trennen: ihr seid reich, ihr besitzt Petrowskoje, und wir sind arm, Mamachen besitzt gar nichts.«

      »Ihr seid reich, wir sind arm«, diese Worte und die Begriffe, die mit ihnen verbunden waren, erschienen mir außerordentlich sonderbar; nach meinen damaligen Begriffen konnten nur Bettler und Bauern arm sein, und diese Vorstellung von der Armut konnte ich durchaus nicht mit der graziösen, hübschen Katjenka in Verbindung bringen. Es schien mir, daß Mimi und Katjenka, wenn sie schon immer bei uns gelebt hatten, auch immer mit uns leben und alles mit uns teilen würden, anders konnte es gar nicht sein. Jetzt aber schwirrten mir tausend neue, unklare Gedanken über ihre Gleichstellung mit uns durch den Kopf, und ich schämte mich so sehr, daß wir reich und sie arm seien, daß ich errötete und mich nicht getraute, Katjenka anzusehen.

      »Was ist denn dabei, daß wir reich und sie arm sind«, dachte ich, »und warum ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer Trennung, warum sollten wir nicht gleichmäßig teilen, was wir besitzen?« Aber ich begriff, daß man mit Katjenka darüber nicht sprechen konnte, und ein gewisser, praktischer Instinkt sagte mir schon im Gegensatz zu dieser logischen Betrachtung, daß sie recht habe und daß es nicht am Platze wäre, ihr meine Gedanken

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