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liebkoste und die ich sooft küßte, – der Gesamtausdruck aber ist mir entschwunden.

      Links vom Divan stand ein alter englischer Flügel; davor saß mein schwarzbraunes Schwesterlein Ljubotschka und spielte mit ihren rosigen, eben erst mit kaltem Wasser gewaschenen Fingerchen ausdrucksvoll die Etüden von Clementi. Sie war elf Jahre alt, hatte ein kurzes Leinenkleidchen an und weiße, mit Spitzen besetzte Höschen; die Oktaven konnte sie nur arpeggio greifen. Neben ihr, halb zu ihr gewendet, saß Maria Iwanowna in einer Haube mit rosa Bändern, in himmelblauer Morgenjacke und mit rotem, bösem Gesicht, das einen noch strengeren Ausdruck annahm, als Karl Iwanowitsch ins Zimmer trat. Sie blickte ihn drohend an und fuhr – ohne auf seine Verbeugung zu achten und mit dem Fuße den Takt schlagend – fort zu zählen: un, deux, trois ... un, deux, trois, noch lauter und befehlender als zuvor.

      Karl Iwanowitsch achtete nicht im geringsten darauf, sondern schritt seiner Gewohnheit gemäß mit deutschem Gruß grade auf meine Mutter los. Sie fuhr aus ihrem Sinnen auf, schüttelte schnell das Köpfchen, als wolle sie mit dieser Bewegung trübe Gedanken verscheuchen, streckte Karl Iwanowitsch die Hand entgegen und berührte seine runzelige Schläfe mit ihren Lippen, während er ihr die Hand küßte.

      »Ich danke, lieber Karl Iwanowitsch!« und indem sie fortfuhr, deutsch zu sprechen, fragte sie: »Haben die Kinder gut geschlafen?«

      Karl Iwanowitsch war taub auf einem Ohr, und infolge des Lärmes vom Klavier her konnte er jetzt gar nichts hören. Er neigte sich näher zum Divan, stützte sich, auf einem Fuß stehend, mit einer Hand auf den Tisch, lüftete mit einem Lächeln, das mir dazumal als der Gipfel des feinen Tones erschien, sein Käppchen und fragte:

      »Sie werden mich entschuldigen, Natalia Nikolajewna?« Karl Iwanowitsch nahm, um seinen kahlen Kopf nicht zu erkälten, das rote Käppchen nie ab, doch jedesmal, wenn er in den Salon trat, bat er meine Mutter deswegen um Entschuldigung.

      »Setzen Sie's nur auf, Karl Iwanowitsch. – Ich fragte Sie, ob die Kinder gut geschlafen haben?« sagte Maman, näher zu ihm rückend und recht laut sprechend.

      Aber er verstand sie wieder nicht, bedeckte seine Glatze mit dem roten Käppchen und lächelte noch liebenswürdiger.

      »Hören Sie einen Augenblick auf, Mimi«, sagte Maman lächelnd zu Maria Iwanowna, »man hört nichts.«

      Wenn Mütterchen lächelte, so wurde ihr Gesicht, so schön es auch sonst war, noch unvergleichlich schöner, und rund umher schien sich alles aufzuheitern. Wenn ich in schweren Augenblicken des Lebens auch nur flüchtig dieses Lächeln sehen könnte, – ich wüßte nicht, was Kummer heißt. Ich glaube, im Lächeln allein liegt, was man die Schönheit des Gesichtes nennt; wenn das Lächeln dem Gesicht größeren Liebreiz verleiht, so ist das Gesicht schön; wenn es das Gesicht gar nicht verändert, so ist dieses gewöhnlich; wenn es das Gesicht entstellt, so ist dieses häßlich.

      Als Maman mich begrüßt hatte, nahm sie meinen Kopf zwischen ihre beiden Hände, bog ihn zurück, sah mich aufmerksam an und sagte:

      »Du hast heute geweint?«

      Ich antwortete nicht. Sie küßte meine Augen und fragte deutsch:

      »Warum hast du geweint?«

      Wenn sie freundschaftlich mit uns plauderte, bediente sie sich immer der deutschen Sprache, die sie vollkommen beherrschte.

      »Ich hab' nur im Traum geweint, Maman«, erwiderte ich; der erfundene Traum fiel mir mit allen seinen Einzelheiten wieder ein, und ich erschauerte unwillkürlich.

      Karl Iwanowitsch bestätigte meine Worte, verschwieg aber den Traum selbst. Nach einem Gespräch über das Wetter, an dem auch Mimi teilnahm, legte Maman auf das Teebrett sechs Stückchen Zucker für einige der Auszeichnung würdige Dienstboten, erhob sich und ging zum Stickrahmen, der am Fenster stand.

      »Nun, Kinder, geht jetzt zu Papa! Und sagt ihm auch, daß er auf jeden Fall zu mir kommen möge, bevor er zur Tenne geht.«

      Die Musik, das Zählen und die strengen Blicke begannen wieder und wir gingen zu Papa. Nach Durchschreiten des Zimmers, das noch von Großvaters Zeiten her die Offiziantenstube hieß, traten wir ins Arbeitszimmer.

      Papa

      Er stand neben dem Schreibtisch und erklärte, auf einige Briefumschläge, Papiere und Geldhäufchen deutend, in ärgerlichem und lebhaftem Tone irgend etwas dem Verwalter Jakob Michailowitsch, der, die Hände auf dem Rücken, aus seinem gewöhnlichen Platze zwischen der Tür und dem Barometer stand und seine Finger sehr schnell nach allen Richtungen bewegte.

      Je hitziger Papa wurde, um so schneller bewegten sich die Finger, und umgekehrt, wenn Papa schwieg, wurden auch die Finger ruhig; wenn aber Jakob selbst zu sprechen begann, gerieten die Finger in die ärgste Unruhe und sprangen verzweifelt nach allen Seiten. Ich glaube, an ihren Bewegungen konnte man Jakobs geheime Gedanken erraten; sein Gesicht aber blieb immer ruhig und drückte das Bewusstsein seiner Würde und zugleich seiner Unterwürfigkeit aus, das heißt es schien zu sagen: ich habe recht, im übrigen aber – wie es Ihnen beliebt!

      Als Papa uns sah, sagte er nur:

      »Wartet, sogleich!« und gab durch eine Bewegung des Kopfes zu verstehen, daß einer von uns die Tür schließen solle.

      »Ach du barmherziger Gott, was hast du heute nur, Jakob?« fuhr er gegen den Verwalter gewendet und achselzuckend (das war seine Gewohnheit) fort. »Dieses Kuvert mit achthundert Rubeln ...«

      Jakob zog das Rechenbrett heran, schob acht Hunderter in die Höhe und heftete seinen Blick auf einen unbestimmten Punkt, auf das Weitere wartend.

      »... für Wirtschaftsausgaben in meiner Abwesenheit. Verstehst du? Für die Mühle mußt du tausend Rubel bekommen ... stimmt das oder nicht? An Kautionsgeldern hast du vom Fiskus achttausend zurückzuerhalten; für das Heu, von dem wir nach deiner Berechnung siebentausend Pud verkaufen können, – ich rechne das Pud zu fünfundvierzig Kopeken – bekommst du dreitausend; folglich wirst du im ganzen haben? – zwölftausend ... Stimmt das oder nicht?«

      »Stimmt genau«, sagte Jakob. Aber an der Schnelligkeit der Fingerbewegungen erriet ich, daß er etwas entgegnen wollte, doch Papa kam ihm zuvor:

      »Also, von diesem Gelde schickst du zehntausend in die Hypothekenkasse für Petrowskoje. Dann: das Geld, das wir im Kontor haben – (Jakob warf auf dem Rechenbrett die früher angemerkten zwölf Tausender zusammen und notierte statt dessen einundzwanzigtausend) – bringst du mir und schreibst sie unter dem heutigen Datum als Ausgabe ein. (Jakob schob die Röllchen durcheinander und drehte das Rechenbrett um, als wollte er damit andeuten, daß auch die einundzwanzigtausend verloren seien.) Und diesen Geldbrief hier wirst du in meinem Namen dem Adressaten übergeben.«

      Ich stand dicht neben dem Tische und blickte auf die Adresse. Da stand geschrieben: »An Karl Iwanowitsch Mauer.«

      Papa hatte wohl bemerkt, daß ich etwas gelesen hatte, was ich nicht zu wissen brauchte, legte seine Hand auf meine Schulter und drehte mich mit leichter Bewegung vom Tische fort. Ich wußte nicht recht, ob das eine Liebkosung oder ein Tadel sein sollte, küßte aber auf alle Fälle die große sehnige Hand, die auf meiner Schulter lag.

      »Zu Befehl«, sagte Jakob; »und was belieben Sie wegen des Geldes von Chabarowka zu verfügen?«

      Chabarowka war das Gut meiner Mutter.

      »Das bleibt im Kontor und darf ohne meinen Befehl unter keinen Umständen irgendwie verwendet werden.«

      Jakob schwieg ein paar Sekunden; dann begannen seine Finger, sich mit verstärkter Geschwindigkeit zu drehen, und den Ausdruck gehorsamen Stumpfsinns, mit dem er die Befehle des Herrn angehört hatte, in den ihm für gewöhnlich eigenen Ausdruck spitzbübischer Aufgewecktheit verwandelnd, zog er das Rechenbrett wieder näher zu sich heran und sagte:

      »Erlauben Sie zu vermelden, Peter Alexandrowitsch, was Sie auch belieben mögen, aber in die Hypothekenkasse kann zum Termin nicht eingezahlt werden. Sie beliebten zu sagen«, – fuhr er langsam und nachdrücklich fort – »daß ich die Kautionsgelder,

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