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Der Alpdruck. Ханс Фаллада
Читать онлайн.Название Der Alpdruck
Год выпуска 0
isbn 9783752998467
Автор произведения Ханс Фаллада
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Und so ein Mann wie er hatte noch vor den Nachbarn damit geprotzt, er werde die Russen an der Schwelle seines Hauses empfangen und als Erlöser bewillkommnen. Statt über die Erzählung seiner Frau am Nachmittag ein bißchen nachzudenken und sie sich zur Warnung dienen zu lassen, hatte er darin nur eine Bekräftigung seiner uneinsichtigen, dummen Haltung erblickt. Wahrhaftig, er hatte in diesen zwölf Jahren nicht das Geringste dazugelernt, so sicher er das auch in manchem Leiden geglaubt hatte –!
Mit Recht hatten ihn die Russen angesehen wie ein kleines, böses, verächtliches Tier, diesen Kerl mit seinen plumpen Anbiederungsversuchen, der glauben machen wollte, daß mit einem freundlichen Grinsen und einem kaum verstandenen russischen Wort all das auszulöschen war, was der Welt in den letzten zwölf Jahren von den Deutschen angetan war –!
Er, Doll, war ein Deutscher, und er wußte es doch, wenigstens in der Theorie, daß seit der Machtergreifung, daß seit den Judenverfolgungen der schon im ersten Weltkriege erschütterte Name »Deutscher« von Woche zu Woche und von Monat zu Monat immer mehr an Klang und Ansehen verloren hatte! Wie oft hatte er selbst gesagt: »Das kann uns nie verziehen werden!« Oder: »Hierfür werden wir eines Tages alle büßen müssen!«
Und er, der genau wußte, der wußte, daß der Begriff Deutscher ein Schimpfwort geworden war in der weiten Welt, er stellte sich da so hin, in der blöden Hoffnung, sie würden schon merken, daß es »auch anständige Deutsche« gab.
Alles, was er sich seit langer Zeit von diesem Kriegsende erhofft hatte, es brach schmählich zusammen vor den Blicken von drei russischen Soldaten! Er war ein Deutscher, also gehörte er zu dem gehaßtesten und verachtetsten Volke des Erdballs! Es stand tiefer als der primitivste Stamm im Innern Afrikas, der nicht so viel Zerstörung, Blut, Tränen, Unglück über diesen Erdball bringen konnte, wie es das deutsche Volk getan hatte. Plötzlich wurde es Doll klar, daß sein Leben vermutlich nicht mehr ausreichen würde, um die Reinigung des deutschen Namens in der Welt Augen noch zu erleben, daß vielleicht seine eigenen Kinder und Enkel unter der Schmach ihrer Väter zu leiden haben würden. Die Täuschung, es würde nur eines Wortes, eines Blickes bedürfen, um sich mit den andern Völkern darüber zu verständigen, daß nicht alle Deutschen mitschuldig waren, auch diese Täuschung war vergangen.
Und dieses Gefühl hilflosester Scham, das oft von langen Perioden schwerster Apathie abgelöst wurde, ward nicht schwächer mit den vorüberwandernden Monaten, nein, es verstärkte sich noch durch hundert kleine Erlebnisse. Später, als es dann zu dem Prozeß gegen die Kriegsverbrecher in Nürnberg kam, als Tausende von schrecklichen Einzelheiten den Umfang der deutschen Verbrechen immer weiter enthüllten, wollte sich sein Herz dagegen auflehnen, nicht noch mehr ertragen, wollte er sich nicht noch tiefer in den Schlamm stoßen lassen. ›Nein!‹ rief er dann zu sich. › Das habe ich nicht gewußt! Daß es so schlimm war, habe ich nie geahnt! Hieran habe ich mich mitschuldig gemacht!‹
Aber dann kam immer wieder der Augenblick, wo er sich besann. Nicht noch einmal wollte er einer feigen Selbsttäuschung verfallen, nicht noch einmal als verschmähter Gastgeber, mit Recht verachtet, in der eigenen Stube stehen. ›Doch!‹ sagte er dann zu sich. ›Ich habe die Anfänge gesehen mit den Judenverfolgungen. Später habe ich dann oft davon gehört, wie sie die russischen Kriegsgefangenen behandelten. Ich habe mich wohl im Innern empört, aber ich habe nie etwas dagegen getan. Hätte ich das, was ich heute von all diesem Grauenhaften weiß, schon damals gewußt – ich hätte wohl auch nichts getan, über diesen hilflosen Haß hinaus ...‹
Dies war das andere, mit dem Doll ganz für sich allein fertig zu werden hatte: daß er mitgesündigt hatte, mitschuldig geworden war, und daß er kein Recht mehr hatte, als Deutscher irgendeinem Volke sich gleichgestellt zu fühlen. Ein Verachteter, ein Verächtlicher, er, der immer stolz auf sich gewesen war und dazu Kinder hatte, vier an der Zahl, alle noch unversorgt, alle noch nicht selbständig denken könnend, aber alle sich viel von diesem Leben erwartend – und nun solch einem Leben ausgeliefert –!
Oh, Doll verstand es, wenn er immer wieder hörte oder las, daß ein großer Teil seines Volkes in völlige Apathie versunken war. Es mußte viele geben, denen es genauso ging wie ihm. Sich und ihnen wünschte er die Kraft zu ertragen, was ihnen auferlegt war.
Drittes Kapitel
Das verlassene Haus
Äußerlich änderte sich schon in den ersten Tagen nach dem Einmarsch der siegreichen Roten Armee das Leben der Dolls gewaltig. Sie, die es gewohnt gewesen waren, ganz abgesondert im eigenen Hause ihren Beschäftigungen nachzugehen, waren jetzt alle gezwungen, sich der öffentlich verkündeten Arbeitspflicht zu fügen, um Brot zu verdienen, ein sehr kleines Stück Brot im ersten Anfang. Schon kurz nach sieben Uhr morgens mußten die beiden loswandern auf den befohlenen Sammelplatz in der Stadt. Oft schlossen sich ihnen Nachbarn an auf ihrem Wege, meist aber gelang es ihnen, sie abzuschütteln und für sich allein zu bleiben, wie sie es gewohnt gewesen waren in der ganzen Zeit ihrer Ehe.
Da gingen sie im frischen Maienmorgen nebeneinander her, Doll meist tief in seine Gedanken versunken und nur mit halbem Ohr auf das Plaudern seiner Frau lauschend, der ein dann und wann eingeworfenes »Jaja« oder »Soso« vollkommen genügte. Doll hatte seine Frau wegen ihrer Fähigkeit, immer weiter plaudern zu können, »seine Brandung« getauft. Er meinte, sie erinnere ihn an frühere lange Spaziergänge am Strande, bei denen ohne Aufhören die See neben ihm fortrauschte.
Kamen sie dann aber auf dem Sammelplatz, dem Schulhof, an, war es sofort mit dem gewohnten Zusammensein und der Brandung vorbei: Männlein und Weiblein wurden getrennt aufgestellt, abgezählt, aufgeschrieben und zu den verschiedensten Arbeiten eingeteilt. Ging es gut, konnten sie sich wenigstens beim Abrücken die Art ihrer Arbeit zurufen, so daß sie wußten, wo jedes den langen, getrennten Tag beschäftigt war. »Ich gehe saubermachen!« rief sie etwa. Und er gab zurück: »Säcke stapeln!« Später wurde beiden eine feste Arbeit zugeteilt, er wurde Kuhhirt, sie Sackträgerin.
Oft sahen sie sich dann erst am späten Abend wieder, beide übermüdet von der ungewohnten Arbeit, aber beide bemüht, den andern nichts davon merken zu lassen. Dann äußerte er sich wohl spöttisch über die Anstrengungen seines Hirtenlebens, bei dem es galt, eine Herde von weit über tausend Kühen, die nicht aus dem gleichen Stall stammten, also auch kein Zusammengehörigkeitsgefühl hatten, beieinander zu halten und Übergriffe in die Getreidesaaten zu verhüten. Wohl waren sie acht Hirten, aber seinen Mithirten wohnte die Neigung inne, auf einem Fleck zu stehen und miteinander zu schwätzen, Männergespräche, ob denn dies etwa so weitergehen solle, und von dem bißchen verteilten Brot werde nicht einer satt, geschweige denn eine ganze Familie, und daß sie sich den Frieden etwas anders vorgestellt hätten, und daß die Nazis schon wieder dabei wären, sich überall Druckposten zu sichern – alles völlig ergebnisloses Geschwätz, das Doll maßlos langweilte.
Unterdes zerstreute sich die Herde immer weiter, ging aus den Wicken in die Roggensaaten, und Doll tobte wie ein Irrer hinter tausend Kühen allein her, warf mit Steinen, schlug mit seinem Knüppel und setzte sich schließlich, völlig erschöpft und atemlos, auf einen Stein, verzweifelt, empört, mutlos. Oft tauchte gerade dann ein berittener Russe auf, die Arbeit der Hirten zu kontrollieren. Die andern Hirten, die ihren Plauderplatz weislich gewählt und den Anreitenden schon von weitem gesehen hatten, waren jetzt fleißig beim Hüten, während der erschöpfte Doll seiner Faulheit wegen hart angelassen wurde. Aber nie konnte er sich überwinden, es ebenso zu machen wie die andern. Er fand eine solche Art, nur fürs Auge des Regenten zu arbeiten, in Wirklichkeit aber gar nichts zu tun, verabscheuungswürdig, ja, typisch für den verhaßten Soldatenstand, bei dem ja auch der »Druckposten« großes Ansehen genießt.
Das einzig Gute an dieser Kuhhüterei war noch dies, daß sich Hirten wie Schwätzer nach dem abendlichen Eintreiben anstellen durften mit einer Kanne, sie mochte noch so groß sein wie sie wollte,