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sowohl das eigenmächtige Verfahren des Polizeimeisters als auch die Sittenverderbnis des niederen Volkes als auch die schlechte Organisation der Tätigkeit der untergeordneten Beamten aufzudecken und die Notwendigkeit strenger, aber gesetzlicher Maßregeln nachzuweisen . . . Nicht wahr, dieser Gedanke ist ziemlich neu?«

      »Ja, besonders für mich«, erwiderte Oblomow; »ich lese so wenig . . .«

      »Man sieht in der Tat keine Bücher bei Ihnen!« sagte Penkin. »Aber ich bitte Sie inständig, lesen Sie ein Werk, das demnächst erscheinen wird; man kann wohl sagen, es ist eine großartige Dichtung; ›Die Liebe eines bestechlichen Beamten zu einem gefallenen Weibe‹. Ich darf Ihnen nicht sagen, wer der Verfasser ist; das ist noch Geheimnis.«

      »Was steht denn darin?«

      »Es wird darin der ganze Mechanismus unserer sozialen Bewegung bloßgelegt, und alles in poetischen Farben. Alle Triebfedern des Handelns werden aufgewiesen, die gesellschaftliche Stufenleiter von unten bis oben kritisch beleuchtet. Allerlei Leute werden von dem Verfasser gleichsam vor Gericht gerufen: der schwache, aber lasterhafte Würdenträger und der ganze Schwarm der ihn betrügenden bestechlichen Beamten und alle möglichen Kategorien gefallener Frauen, Französinnen, Deutsche und Finninnen, und das stellt er uns alles mit einer geradezu erschreckenden, lebensvollen Naturtreue vor Augen . . . Ich habe nur einzelne Abschnitte daraus gehört – der Verfasser ist großartig! Man hört bei ihm bald Dante, bald Shakespeare . . .«

      »Das ist aber viel gesagt!« rief Oblomow erstaunt und richtete sich halb auf.

      Penkin verstummte plötzlich, da er sah, daß er tatsächlich im Lobe zu weit gegangen sei.

      »Lesen Sie es nur, dann werden Sie ja selbst sehen«, fügte er, jetzt ohne die frühere Hitze, hinzu.

      »Nein, Penkin, ich werde es nicht lesen.«

      »Warum denn nicht? Das Werk macht Aufsehen; die Leute reden davon . . .«

      »Mögen sie davon reden! Manche Leute haben weiter nichts zu tun als bloß zu reden. Das ist ihr Beruf.«

      »Lesen Sie es doch wenigstens aus Neugierde.«

      »Was werde ich denn Neues darin finden?« erwiderte Oblomow. »Warum schreiben denn die Verfasser so etwas? Doch nur zu ihrem eigenen Vergnügen . . .«

      »Wieso zu ihrem eigenen Vergnügen? Wie wahr und naturgetreu ist das alles! Zum Lachen ähnlich. Porträts, die geradezu zu leben scheinen. Nehmen Sie, wen Sie wollen, einen Kaufmann, einen Beamten, einen Offizier, einen Polizeidiener – es ist wie eine lebende Kopie.«

      »Warum mühen sich denn diese Autoren ab: doch wohl zum Vergnügen, damit jeder, den man herausgreift, naturgetreu geschildert erscheint? Aber Leben, Leben ist nicht darin, kein Verständnis für das Leben, kein Mitgefühl; es fehlt das, was bei euch Humanität genannt wird. Was da vorliegt, ist weiter nichts als Eigenliebe. Sie stellen die Diebe und die gefallenen Frauen dar, als ob sie sie auf der Straße aufgriffen und ins Gefängnis abführten. In ihrer Erzählung merkt man nicht die ›verborgenen Tränen‹, sondern nur ein offenes rohes Gelächter, einen heftigen Zorn . . .«

      »Aber was wollen Sie denn noch weiter? Eben das ist ja gerade schön, Sie haben es selbst ausgesprochen: dieser aufbrausende Zorn, diese erbitterte Verfolgung des Lasters, dieses Lachen der Verachtung über den Gefallenen . . . das ist ja alles, was man nur wünschen kann!«

      »Nein, das ist nicht alles!« sagte Oblomow, der plötzlich hitzig wurde. »Man schildere einen Dieb, ein gefallenes Weib, einen aufgeblasenen Dummkopf; aber man vergesse dabei auch nicht den Menschen. Aber wo bleibt bei euch die Menschlichkeit? Ihr wollt nur mit dem Kopfe schreiben!« (Seine Stimme klang beinah zischend.) »Ihr meint, zum Denken habe man das Herz nicht nötig? Nein, das Denken wird durch die Liebe befruchtet. Reicht dem Gefallenen die Hand, um ihn aufzuheben, oder weint bitterlich um ihn, wenn er zugrunde geht; aber verspottet ihn nicht! Liebt ihn; erinnert euch bei ihm an euch selbst und behandelt ihn, wie ihr euch selbst behandelt: dann werde ich anfangen euch zu lesen und werde mein Haupt vor euch neigen«, sagte er und legte sich wieder ruhig auf das Bett. »Aber da schildern sie einen Dieb, ein gefallenes Weib«, fuhr er fort; »aber den Menschen zu schildern, das vergessen sie, oder das verstehen sie nicht. Was soll da das Gerede von Kunst und poetischen Farben? Bekämpft das Laster und den Schmutz, aber, bitte, ohne Anspruch auf Poesie!«

      »Wünschen Sie also, daß die Schriftsteller die Natur schildern, Rosen, Nachtigallen oder einen frostigen Morgen, während doch alles um uns herum braust und kreist? Was wir brauchen, ist eine nackte Physiologie der menschlichen Gesellschaft; nach Lyrik ist uns jetzt nicht zumute . . .«

      »Gebt mir den Menschen, den Menschen!« sagte Oblomow. »Liebt ihn . . .«

      »Einen Wucherer, einen scheinheiligen Frömmler, einen diebischen oder stumpfsinnigen Beamten lieben – hören Sie mal! Was reden Sie da? Man sieht, daß Sie sich nicht mit der Literatur beschäftigen!« sagte Penkin, der nun hitzig wurde. »Nein, man muß sie bestrafen, sie aus der bürgerlichen Gemeinschaft, aus der Gesellschaft ausstoßen . . .«

      »Sie aus der bürgerlichen Gemeinschaft ausstoßen!« begann Oblomow plötzlich in Begeisterung, stand auf und stellte sich vor Penkin hin. »Das heißt vergessen, daß in diesem schlechten Gefäße ein höheres Element vorhanden gewesen ist; daß ein solcher Mensch zwar ein verdorbener Mensch, aber doch immer noch ein Mensch ist, das heißt dasselbe wie ihr. Ausstoßen! Aber wie wollt ihr ihn ausstoßen aus dem Kreise der Menschheit, aus dem Schoße der Natur, aus der Barmherzigkeit Gottes?« rief er, fast schreiend, mit flammenden Augen.

      »Da gehen Sie aber doch zu weit!« sagte Penkin, nun seinerseits erstaunt.

      Oblomow sah ein, daß auch er zu weit gegangen war. Er verstummte plötzlich, blieb noch einen Augenblick stehen, gähnte und legte sich dann langsam auf das Bett.

      Beide versanken in Schweigen.

      »Was lesen Sie denn eigentlich?« fragte Penkin.

      »Ich? . . . Meist Reisebeschreibungen.«

      Wieder Stillschweigen.

      »Werden Sie also die Dichtung lesen, wenn sie herauskommt? Ich würde sie Ihnen bringen«, sagte Penkin.

      Oblomow machte eine verneinende Kopfbewegung.

      »Na, dann werde ich Ihnen meine Erzählung schicken?«

      Oblomow nickte zum Zeichen der Zustimmung.

      »Aber jetzt muß ich zur Druckerei!« sagte Penkin. »Wissen Sie, warum ich zu Ihnen gekommen bin? Ich wollte Ihnen vorschlagen, mit nach Jekateringof zu fahren; ich habe einen Wagen. Ich muß morgen einen Artikel über den Korso schreiben: da könnten wir zusammen unsere Beobachtungen anstellen; was mir entginge, würden Sie mir mitteilen; die ganze Sache würde vergnüglicher sein. Kommen Sie doch mit . . .«

      »Nein, ich bin nicht wohl«, erwiderte Oblomow, die Stirn runzelnd und sich in die Bettdecke wickelnd; »ich fürchte mich vor der Nässe, es ist noch nicht aufgetrocknet. Aber kommen Sie doch heute zum Mittagessen zu mir; wir könnten ein bißchen miteinander reden . . . Ich habe in zwiefacher Hinsicht Unglück . . .«

      »Nein, unsere ganze Redaktion speist heute im Restaurant von Saint-Georges, und von da fahren wir zum Korso. Die Nacht über muß ich aber schreiben und bei Tagesanbruch das Manuskript in die Druckerei schicken. Auf Wiedersehen!«

      »Auf Wiedersehen, Penkin!«

      »In der Nacht schreiben«, dachte Oblomow. »Wann schläft er denn? Aber er verdient sich gewiß so ein fünftausend Rubel jährlich. Davon läßt sich leben! Aber immerzu schreiben, sein Denken und seine Seele auf Kleinigkeiten zu vertändeln, seine Anschauungen fortwährend zu wechseln, mit seinem Verstande und seiner Phantasie Handel zu treiben, seine Natur zu vergewaltigen, sich aufzuregen, immer Feuer und Flamme zu sein, keine Ruhe zu kennen und es immer irgendwo eilig zu haben . . . Und immer zu schreiben, immer zu schreiben, wie ein Rad, wie eine Maschine: er muß morgen schreiben, er muß übermorgen schreiben; und wenn ein Festtag kommt und es Sommer wird, er muß immerzu schreiben. Wann kann er pausieren und sich erholen? Der Unglückliche!«

      Er

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