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Oblomow. Iwan Gontscharow
Читать онлайн.Название Oblomow
Год выпуска 0
isbn 9783753126463
Автор произведения Iwan Gontscharow
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Sachar!« rief er.
In einem Zimmer, das von Ilja Iljitschs Zimmer nur durch einen kleinen Flur getrennt war, ließ sich zuerst etwas wie das Knurren eines Kettenhundes vernehmen und dann das Gepolter von Beinen, die von irgend etwas hinabsprangen. Das war Sachar, der von der Ofenbank hinabsprang, auf der er gewöhnlich seine Zeit verbrachte, indem er in Halbschlummer versunken dasaß.
In das Zimmer trat ein bejahrter Mann in einem grauen Rocke mit einem Loche unter der Achsel, aus dem ein Stück Hemd heraushing, in einer ebenfalls grauen Weste mit kupfernen Knöpfen; sein Schädel war kahl wie ein Knie, und sein blonder, graumelierter Backenbart so außerordentlich breit und dicht, daß jede Hälfte desselben für drei Bärte ausgereicht hätte.
Sachar gab sich keine Mühe, an der ihm von Gott gegebenen Gestalt oder an seinem Kostüm, das er auf dem Lande getragen hatte, irgendwelche Veränderungen vorzunehmen. Seine Kleider ließ er sich nach dem Muster anfertigen, das er vom Lande mitgebracht hatte. Der graue Rock und die graue Weste gefielen ihm auch deshalb, weil er in diesem halb uniformartigen Anzug eine schwache Erinnerung an die Livree sah, die er ehemals getragen hatte, wenn er seine verstorbene Herrschaft zur Kirche oder zu Visiten begleitete; die Livree aber war in seinen Erinnerungen das einzige, wodurch die Würde der Familie Oblomow repräsentiert wurde.
Weiter erinnerte den alten Mann nichts an das behagliche, ruhige Leben auf dem Herrensitze in dem abgelegenen Dorfe. Die alte Herrschaft war gestorben; die Familienporträts waren zu Hause geblieben und lagen wohl irgendwo auf dem Dachboden umher; die Überlieferungen von der alten Lebensweise und Vornehmheit der Familie waren ganz erstorben oder lebten nur noch im Gedächtnisse weniger auf dem Lande gebliebener alter Leute. Darum war der graue Rock dem alten Sachar so teuer: in ihm und dann noch in einigen Merkmalen, die sich in dem Gesichte und in dem Benehmen seines Herrn erhalten hatten und ihn an dessen Eltern erinnerten, sowie in den Launen seines Herrn, über die er zwar im stillen und auch laut brummte, die er aber innerlich als eine Bekundung des Herrenwillens und des Herrenrechtes respektierte, sah er schwache Überreste der dahingeschwundenen Größe.
Wären diese Launen nicht gewesen, so hätte er keinen Herrn über sich gefühlt; wären diese Launen nicht gewesen, so hätte nichts seine Jugend und das Dorf, das sie schon lange verlassen hatten, und die Traditionen von dieser alten Familie vor seinem geistigen Blicke wieder erstehen lassen; diese Traditionen aber waren die einzige Chronik, die von alten Dienern, Kinderfrauen und Ammen geführt und von Geschlecht zu Geschlecht überliefert wurde.
Die Familie Oblomow war ehemals reich und in ihrer Gegend angesehen gewesen; später aber war sie, Gott weiß woher, ganz verarmt und verkümmert und hatte sich zuletzt unmerklich unter den jüngeren adligen Familien verloren. Nur die ergrauten Diener bewahrten und überlieferten einer dem andern eine treue Erinnerung an das Vergangene und hielten diese Erinnerung wie ein Heiligtum in Ehren.
Dies war der Grund, weshalb Sachar seinen grauen Rock so sehr liebte. Vielleicht schätzte er auch seinen Backenbart deswegen, weil er in seiner Kindheit viele alte Diener mit dieser altertümlichen aristokratischen Zierde gesehen hatte.
In Nachdenken versunken, bemerkte Ilja Iljitsch seinen Diener längere Zeit nicht. Sachar stand schweigend vor ihm. Endlich hustete er.
»Was willst du?« fragte Ilja Iljitsch.
»Sie haben mich doch gerufen.«
»Habe ich dich gerufen? Warum habe ich dich denn gerufen? Ich erinnere mich nicht!« antwortete er, sich reckend. »Geh vorläufig wieder auf dein Zimmer; ich werde mich besinnen.« Sachar ging hinaus; Ilja Iljitsch aber blieb weiter liegen und dachte weiter an den verdammten Brief.
So verging ungefähr eine Viertelstunde.
»Na, aber nun will ich nicht mehr liegen!« sagte er. »Ich muß aufstehen . . . Übrigens möchte ich doch den Brief des Dorfschulzen noch einmal aufmerksam durchlesen, und dann will ich aufstehen. – Sachar!«
Es erfolgte wieder dasselbe Springen und ein stärkeres Knurren. Sachar kam herein; Oblomow aber war wieder in seine Gedanken versunken. Sachar stand ein paar Minuten lang da und blickte seinen Herrn mißvergnügt etwas von der Seite her an; endlich ging er wieder zur Tür.
»Wo willst du hin?« fragte Oblomow auf einmal.
»Sie sagen nichts; also warum soll ich hier unnütze stehen?« erwiderte Sachar mit heiserer Stimme; eine andere Stimme hatte er nämlich nicht. Nach seiner Angabe hatte er seine Stimme verloren, als er mit seinem alten Herrn zu Pferde eine Hetzjagd mitgemacht und ihm ein starker Wind in die Kehle geblasen hatte.
Er stand halb abgewendet mitten im Zimmer und blickte immer seitwärts auf Oblomow hin.
»Sind dir etwa die Beine verdorrt, daß du nicht stehen kannst? Du siehst, ich habe meine Kopf voll Sorgen; also warte ein Weilchen! Hast du denn bei dir noch nicht genug gelegen? Suche mal den Brief, den ich gestern von dem Dorfschulzen bekommen habe. Wo hast du ihn gelassen?«
»Was für einen Brief? Ich habe keinen Brief gesehen«, antwortete Sachar.
»Du hast ihn doch selbst von dem Briefträger in Empfang genommen: es war so ein schmutziger Brief!«
»Wie soll ich wissen, wo Sie ihn hingelegt haben?« sagte Sachar und klopfte mit der Hand auf die Papiere und auf die mancherlei anderen Sachen, die auf dem Tische lagen.
»Du weißt aber auch nie etwas. Sieh mal da in dem Korb nach! Oder ist er vielleicht hinter das Sofa gefallen? Die Rücklehne am Sofa ist immer noch nicht repariert; du solltest doch den Tischler rufen und sie ganzmachen lassen. Du hast sie ja selbst zerbrochen. Du denkst aber an nichts!«
»Ich habe sie nicht zerbrochen«, antwortete Sachar. »Sie ist von selbst zerbrochen; ewig kann sie ja doch nicht halten; einmal muß sie doch entzweigehen.«
Ilja Iljitsch hielt nicht für nötig, das Gegenteil zu beweisen.
»Hast du ihn gefunden, ja?« fragte er nur.
»Hier sind ein paar Briefe.«
»Das sind andere.«
»Na, mehr sind nicht da«, sagte Sachar.
»Nun gut, geh nur!« sagte Ilja Iljitsch ungeduldig; »ich werde aufstehen und ihn selbst suchen.«
Sachar ging in sein Zimmer; aber kaum hatte er sich mit den Armen auf die Ofenbank gestemmt, um hinaufzuspringen, als sich wieder der eilige Ruf: »Sachar, Sachar!« vernehmen ließ.
»Ach, du mein Gott!« brummte Sachar, während er sich wieder in das Wohnzimmer begab. »Ist das eine Quälerei! Wenn ich nur erst tot wäre!«
»Was wünschen Sie?« fragte er, indem er mit der einen Hand die Tür des Wohnzimmers angefaßt hielt und seinen Herrn zum Zeichen seines Mißvergnügens dermaßen von der Seite anblickte, daß er ihn nur mit einem halben Auge sehen konnte, diesem aber nur die eine Hälfte des Backenbartes sichtbar war, die einen so großen, dichten Busch bildete, daß man erwarten konnte, es würden zwei oder drei Vögel herausfliegen.
»Das Taschentuch, schnell! Das könntest du auch selbst wissen; siehst du denn nichts?« bemerkte Ilja Iljitsch in strengem Tone.
Sachar äußerte bei diesem Befehl und Vorwurf seines Herrn keine besondere Unzufriedenheit oder Verwunderung, da er wahrscheinlich seinerseits sowohl den Befehl als auch den Vorwurf sehr natürlich fand.
»Wer weiß, wo das Taschentuch ist?« brummte er, während er im Zimmer umherging und jeden Stuhl betastete, obgleich auch so schon zu sehen war, daß auf den Stühlen nichts lag.
»Alles verlieren Sie!« bemerkte er und öffnete die Tür zum Salon, um nachzusehen, ob das Tuch nicht dort sei.
»Wo willst du hin? Suche hier! Da bin ich seit vorgestern nicht gewesen. Aber schnell!« sagte Ilja Iljitsch.
»Ja, wo ist das Tuch? Das Tuch ist nicht da!« sagte Sachar, ratlos die Arme ausbreitend und in alle Ecken blickend. »Aber da ist es ja!« rief er plötzlich ärgerlich mit seiner heiseren Stimme; »unter