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der Schar seiner Freunde Abschied. Gleich nach dem ersten Briefe des Dorfschulzen über Zahlungsrückstände und Mißernte vertauschte er seinen besten Freund, den Koch, mit einer Köchin; dann verkaufte er seinen Wagen und seine Pferde, und endlich verabschiedete er seine übrigen »Freunde«.

      Fast nichts vermochte ihn aus dem Hause zu locken, und er wurde mit jedem Tage immer fester und dauernder in seiner Wohnung seßhaft.

      Anfangs war es ihm lästig, den ganzen Tag besuchsfähig angekleidet zu sein; dann wurde er zu faul, um bei anderen Leuten zu Mittag zu essen, mit Ausnahme von nahen Bekannten, meist Junggesellen, wo man sich die Krawatte abbinden, die Weste aufknöpfen, sich sogar hinrekeln oder ein Stündchen schlafen konnte.

      Bald wurde er auch der Abendgesellschaften überdrüssig: er mußte dazu den Frack anziehen und sich alle Tage rasieren. Er hatte irgendwo gelesen, nur die Morgenluft sei der Gesundheit zuträglich, die Abendluft dagegen schädlich, und begann sich vor der Feuchtigkeit zu fürchten.

      Trotz all dieser Grillen gelang es seinem Freunde Stolz, ihn unter Menschen zu bringen; aber Stolz war häufig von Petersburg abwesend, da er nach Moskau, nach Nischni-Nowgorod, nach der Krim und später auch ins Ausland reiste, – und wenn er abwesend war, versank Oblomow wieder bis über die Ohren in seine Zurückgezogenheit und Vereinsamung, aus der ihn nur irgendein außerordentliches, aus dem Rahmen der alltäglichen Ereignisse heraustretendes Erlebnis hätte herausreißen können; aber dergleichen kam nicht vor und war auch für die Zukunft nicht zu erwarten.

      Zu alledem geriet er mit den Jahren in eine Art von kindlicher Ängstlichkeit zurück; er erwartete Gefahren und Böses von allem, was nicht innerhalb der Sphäre seines täglichen Lebens lag – eine Folge davon, daß er sich der mannigfaltigen Dinge der Außenwelt entwöhnt hatte.

      Zum Beispiel erschreckte ihn ein Riß in der Decke seines Schlafzimmers nicht; an den hatte er sich gewöhnt. Es kam ihm auch nicht in den Sinn, daß die stets eingeschlossene Luft in seinem Zimmer und das beständige Sitzen im geschlossenen Raume für die Gesundheit vielleicht verderblicher waren als die nächtliche Feuchtigkeit, und daß die tägliche Überfüllung des Magens eine Art von allmählichem Selbstmord war: aber daran war er eben gewöhnt und fürchtete es nicht.

      Nicht gewöhnt war er dagegen an Bewegung, an reges Leben, an viele Menschen und hastiges Treiben.

      In einer dichten Menschenmenge fühlte er sich beklommen; wenn er in einen Kahn stieg, so schien es ihm sehr zweifelhaft, ob er glücklich an das andere Ufer gelangen werde; wenn er in einem Wagen fuhr, so erwartete er, daß die Pferde durchgehen würden und der Wagen in Stücke gehen werde.

      Manchmal befiel ihn eine nervöse Angst; er fürchtete sich vor der ihn umgebenden Stille oder er wußte selbst nicht wovor – es lief ihm ein Kribbeln über den ganzen Körper. Er schielte manchmal ängstlich nach einer dunklen Ecke hin, in der Erwartung, daß seine Einbildungskraft ihm einen üblen Streich spielen und ihm eine übernatürliche Erscheinung zeigen werde.

      So war denn seine Rolle in der Gesellschaft ausgespielt. Mit einer trägen, resignierten Handbewegung warf er all die jugendlichen Hoffnungen hinter sich, die ihn getäuscht hatten, oder die er selbst zerstört hatte, sowie alle die zärtlich traurigen, leuchtenden Erinnerungen, bei denen manchem andern auch noch im Alter das Herz klopft.

      VI

      Was tat er zu Hause? Las er? Schrieb er? Lernte er?

      Ja, wenn ihm ein Buch oder eine Zeitung in die Hände fiel, so las er darin.

      Wenn er von einer aufsehenerregenden Neuerscheinung hörte, so erwachte bei ihm das Verlangen, mit ihr bekannt zu werden; er bestellte sich das Buch, und wenn er es bald bekam, so machte er sich daran; es begann sich bei ihm eine Vorstellung von dem Gegenstande zu bilden; noch ein Schritt, und er hätte sich dieses Gegenstandes bemeistert. Aber wenn man nun nach ihm hinsah so lag er schon wieder da und blickte apathisch nach der Zimmerdecke; das Buch aber lag, ohne ausgelesen und ohne verstanden zu sein, neben ihm.

      Die Abkühlung stellte sich bei ihm noch schneller ein als die Begierde; und nun kehrte er zu dem beiseite gelegten Buche nie wieder zurück.

      Und dabei hatte er als Knabe ebenso wie andere, ebenso wie alle gelernt, und zwar bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahre in einem Pensionate; dann hatten die alten Oblomows nach langen Kämpfen sich entschlossen, ihren lieben Ilja nach Moskau zu schicken, wo er nolens volens den wissenschaftlichen Kursus ganz durchmachte.

      Sein schüchterner, apathischer Charakter hinderte ihn, seine Trägheit und seine Launen unter fremden Leuten in der Schule, wo keine Ausnahmen zu Gunsten verwöhnter Muttersöhnchen gemacht wurden, vollständig an den Tag zu legen. Er saß notgedrungen mit gerader Körperhaltung in der Klasse da, hörte an, was die Lehrer sagten, weil er nichts anderes tun durfte, und lernte mit Mühe, mit Schweiß und mit vielen Seufzern auswendig, was ihm aufgegeben war. Alles das hielt er für eine Strafe, die ihm Gott für seine Sünden gesandt habe.

      Über die Zeile hinaus, unter der der Lehrer bei Stellung der Aufgabe mit dem Nagel einen Strich gezogen hatte, sah er nichts an; er stellte ihm keine Fragen und erbat sich keine Erklärungen. Er begnügte sich mit dem, was im Hefte geschrieben stand, und äußerte auch dann keine aufdringliche Neugierde, wenn ihm nicht alles verständlich geworden war, was er gehört und gelernt hatte.

      Wenn es ihm mit Mühe und Not gelang, ein Buch zu bewältigen, das sich Statistik, Geschichte oder Nationalökonomie nannte, so war er ganz zufrieden.

      Wenn ihm aber Stolz Bücher brachte, die er über das in der Schule Gelernte hinaus lesen sollte, so sah ihn Oblomow lange schweigend an.

      »Auch du, Brutus, bist gegen mich?« sagte er mit einem Seufzer und machte sich an die Bücher heran.

      Ein so maßloses Lesen schien ihm eine unnatürliche Belastung.

      »Wozu sind denn alle diese Hefte, auf die man eine Unmenge von Papier, Zeit und Tinte verwendet? Wozu sind die Lehrbücher da? Und schließlich, wozu dienen die sechs, sieben Jahre des Einsiedlerlebens, all die Strenge, die Strafen, das Stillsitzen und Brüten über den Aufgaben, das Verbot umherzulaufen, zu tollen, sich zu vergnügen, wenn damit noch nicht alles zu Ende ist?«

      »Wann soll man denn leben?« fragte er sich wieder. »Wann soll man denn endlich dieses Kapital von Kenntnissen in Umlauf setzen, von denen der größte Teil im Leben zu nichts gebraucht werden kann? Die Nationalökonomie zum Beispiel, die Algebra, die Geometrie – was soll ich damit in Oblomowka anfangen?«

      »Und selbst die Geschichte stürzt einen nur in Bekümmernis. Man lernt, man liest, daß da eine Zeit der Not hereingebrochen ist; die Menschen sind unglücklich; sie raffen ihre Kräfte zusammen, arbeiten, hasten, leiden schrecklich und mühen sich ab und suchen sich bessere Tage zu schaffen. Nun haben die besseren Tage begonnen – wenigstens nun könnte die Geschichte selbst sich erholen: aber nein, wieder erscheinen dunkle Wolken, das Gebäude stürzt zusammen; es muß wieder gearbeitet und gehastet werden . . . Die besseren Tage verweilen nicht; sie laufen davon – und so fließt das Leben immer, alles fließt, ist fortwährend in der Umänderung begriffen.«

      Eine ernste Lektüre ermüdete ihn. Es gelang den Denkern nicht, in ihm den Durst nach den Wahrheiten der spekulativen Wissenschaften zu erwecken.

      Dafür griffen ihm die Dichter gewaltig an das Herz: er wurde ein Jüngling wie alle. Auch für ihn kam die glückliche, niemandem versagte, allen lächelnde Zeit des wahrhaften Lebens, der aufblühenden Kräfte, der Hoffnungen auf ein schönes Dasein, der Sehnsucht nach dem Guten, nach Heldenhaftigkeit, nach Tätigkeit, die Periode des starken Herzklopfens, des mächtig schlagenden Pulses, des Bebens, der begeisterten Reden und der süßen Tränen. Geist und Herz wurden hell; er schüttelte die Schläfrigkeit ab; seine Seele verlangte nach Tätigkeit.

      Stolz war ihm behilflich, diese Periode zu verlängern, soviel es bei einer solchen Natur, wie die seines Freundes, nur irgend möglich war. Er faßte Oblomow bei seiner Neigung zu den Dichtern und hielt ihn anderthalb Jahre lang unter dem Herrscherstabe des Gedankens und der Wissenschaft fest.

      Indem er den

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