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Geschlossene Ja-Nein-Fragen sind grundsätzlich weniger hilfreich als Fragen nach wann und wo. Noch besser sind Was-Fragen. Ganz besonders kraftvoll sind Fragen nach dem Wie, Warum und Wieso. „Sind Sie mit ihrem Arbeitsklima zufrieden?“ Diese Frage kann man mit ja oder nein beantworten oder ein Kreuz auf einer festen Skala machen. Der Erkenntnisgewinn ist überschaubar. „Wann waren Sie besonders zufrieden mit ihrem Arbeitsklima?“ Diese Frage könnte etwas kraftvoller sein, wenn nicht nur „letzte Woche“ oder „letztes Jahr“ als Antwort vorgegeben wird. Sie kann den Einstieg in eine echte Konversation darüber bieten, wann etwas gut gelaufen ist. Noch kraftvoller wäre: „Was in Ihrem Arbeitsumfeld macht Sie besonders zufrieden?“ Natürlich darf auch hier nicht nur eine vorgefertigte Liste zur Auswahl angeboten werden, sondern der Dialog über unterschiedliche Aspekte sollte gefördert werden. Besonders stark könnte folgende Frage sein: „Warum sind Sie an manchen Tagen gerne bei der Arbeit und an anderen nicht so gerne?”

      Die zweite Dimension ist die Reichweite der Frage. Geht es um das Arbeitsklima in einer bestimmten Gruppe, in einer Abteilung, der ganzen Organisation oder ganz grundsätzlich in einem ganzen Land? Hier gilt es eine gute Balance aus Ambition und Realismus zu finden. Die Gruppe mag als Untersuchungseinheit zu klein sein, ein Land als Ganzes zu hoch gegriffen. In jedem Fall wäre es hilfreich, wenn die Reichweite der Frage vorab klar ist.

      Die dritte Dimension sind die Annahmen in der Frage. Zum Beispiel: „Wie können wir die Privatschulen stärken?“ Diese Frage nimmt an, dass alle Beteiligten ein Interesse an einer größeren Bedeutung der Privatschulen haben. Vermutlich werden sich keine Menschen angesprochen fühlen, die dieses Anliegen nicht teilen. Oder: „Was läuft im Vertrieb nicht rund?“ ist eine Frage mit der Annahme eines Mangels an einer bestimmten Stelle. Sie kann zur Abwehrhaltung des Vertriebs führen, alte Gräben vertiefen und so wird vielleicht das eigentliche Thema übersehen. Wenn eine Frage formuliert wird, dann sollte man sich also über die eigenen Werte und Annahmen klar sein, die in sie eingeflossen sein könnten. Dann kann man versuchen die Frage aus dem Blickwinkel einer Person zu betrachten, die andere Werte und Annahmen hat.

      Fragen in vielen Zukunftsmethoden

      Viele Zukunftsmethoden hören bei der Einstiegsfrage nicht auf, sondern erarbeiten weitere, tieferliegende Fragen. In der Methode des sogenannten „Pro Action Café“ wird zum Beispiel zunächst in kleinen Gruppen diskutiert, welche Frage, welches Anliegen hinter oder unter der Einstiegsfrage liegt. Dadurch werden die Annahmen der Fragenden sichtbar gemacht und Alternativen entwickelt. In der zweiten und dritten Runde werden dann die Alternativen gemeinsam analysiert und elegante nächste Schritte erarbeitet.

      In der Methode „Dynamic Facilitation“ werden parallel vier Listen als Protokoll der Diskussion geführt. Auf der ersten werden Fakten und Informationen gesammelt, die nicht weiter diskutiert werden müssen. Auf der zweiten Liste finden sich die Lösungen und Antworten auf die Einstiegsfrage. Die dritte Liste erfasst Bedenken und Einwände gegen die vorgeschlagenen Lösungen. Und die vierte Liste sammelt neue Herausforderungen und neue, weiterführende Fragen. Im Laufe des Prozesses kann die Gruppe entscheiden, dass sie die Frage wechseln möchte und Lösungen zu der aus ihrer Sicht wichtigeren, relevanteren Frage besprechen möchte.

      In Zukünftelaboren (Kapitel 12) wird noch mehr Aufwand betrieben, um neue Fragen zu finden. Diskussionen über wünschenswerte, wahrscheinliche und alternative Zukünfte legen die Basis für neue, tiefergehende Fragen und passende Handlungen.

      Auch am Ende von Dialogveranstaltungen stelle ich gerne eine Frage zu Fragen: „Welche Frage ist aus Ihrer Sicht heute zu kurz gekommen?“ Damit erfährt man erstens, ob die Einstiegsfrage der Veranstaltung das bewirkt hat, was man erhofft hatte. Und man erhält viel Material für mögliche Folgeveranstaltungen.

      Welche neuen Fragen entstehen lässt sich zu Beginn eines solchen Prozesses natürlich nicht sagen. Genau darin liegt der Mehrwert von Fragen für die Beschäftigung mit grundsätzlich offenen Zukünften. Aus Sicht mancher Gastgeber liegt darin auch eine Gefahr. Was machen wir, wenn für uns neue, vielleicht unangenehme Fragen aufkommen? Wie reagieren wir? Aus meiner Sicht zeigen solche Überlegungen den Mehrwert einer offenen Herangehensweise: Wenn die neu entstehenden Fragen relevant sind, dann werden sie früher oder später ohnehin aufkommen. Jede Führungskraft und jede Organisation sollte ein Interesse daran haben, sich so früh wie möglich mit ihnen befassen zu können.

      Fragen in konkreten Projekten

      Zu Beginn des zweijährigen Dialogprozesses „Schöne Aussichten – Forum für Frankfurt“ (Kapitel 17) verbrachten wir viel Zeit mit der Suche nach möglichst guten Fragen. Sie sollten für eine große Zahl von Menschen relevant sein. Sie sollten inhaltlich offen sein, auch damit wir eine Legitimation als neutrale Organisatoren des Prozesses aufbauen konnten. Sie sollten bei den Beteiligten eine tiefergehende Diskussion über Lebensqualität anregen. Zudem sollten sie nicht altbekannt sein und den Anstoß zu eigenen Aktivitäten der Beteiligten geben. Zudem sollte es möglich sein die Ergebnisse zu protokollieren, damit diese für die weitere Analyse genutzt werden konnten. Wir entschieden uns für vier Fragen, die aufeinander aufbauen.

       1. Was ist Ihnen persönlich in Ihrem Leben wichtig?

      Mit dieser Frage ging es darum, die Beteiligten als Menschen anzusprechen und nicht in einer speziellen Position oder Rolle. Fokussierend auf den Einzelnen und das Hier und Jetzt sollte eine Überforderung vermieden werden. Während der Vorbereitungsarbeiten wurden Bedenken geäußert, ob die Teilnehmenden an den Gesprächen tatsächlich Antworten auf diese recht persönlichen Fragen haben würden und ob sie diese ausdrücken wollten oder könnten. Alle diese Bedenken stellten sich in den Veranstaltungen rasch als unbegründet heraus.

       2. Was macht für Sie eine hohe Lebensqualität in Frankfurt aus?

      Mit dieser Frage sollte der Schritt vom Einzelnen hin zur Stadtgesellschaft gemacht werden. Das klappte recht gut, auch wenn die Antworten auf die erste Frage oftmals den inhaltlichen Rahmen für die Antworten auf die zweite Frage vorgaben. Hier war es in den Dialogveranstaltungen wichtig nachzufragen, die Teilnehmenden ins Gespräch miteinander zu bringen und aus den Verbindungen neue Ideen entstehen zu lassen.

       3. Was tut Ihnen im Herzen weh, wenn Sie an Frankfurt denken?

      Über diese Frage hatten wir im Projektteam lange und kontrovers diskutiert. Die Grundidee von „Schöne Aussichten“ war ja positiv zu arbeiten, wünschenswerte Zukünfte sichtbar zu machen. Und dann diese negative Frage. Im Rückblick war das die Frage, die besonders viele zusätzliche Themen sichtbar machte, ohne die Stimmung kippen zu lassen. Hier hatten alle eine Meinung und konnten konkretes Erleben mitteilen. Für die spätere Auswertung war die Frage unproblematisch. Es ging einfach darum, dass diese negativen Punkte weniger werden.

       4. Frankfurt in 15 Jahren: welche Veränderungen wünschen Sie sich?

      Hier sollte der Blick nach vorne gelenkt werden. Der Zeithorizont von 15 Jahren erschien uns überschaubar. Wirklich gut funktioniert hat diese Frage allerdings nicht. In den Antworten ging es vor allem darum, mehr von dem zu haben, was in Frage 2 diskutiert wurde und weniger von den Themen aus Frage 3.

      Gute Fragen sind also ein essentieller Baustein für den gemeinsamen Umgang mit der offenen Zukunft in komplexen menschlichen Systemen. In den folgenden Kapiteln werden Fragen als ein roter Faden immer wieder auftauchen und konkrete Beispiele genannt.

      Fragen an gute Projekte

      Auch jedes Zukunftsprojekt, jede Initiative, jede Veranstaltung sollte für sich selbst bereits in der Entstehungsphase eine ganze Reihe von Fragen beantworten können. Der kanadische Prozessbegleiter Chris Corrigan hat sie in acht Stufen sortiert. Er beginnt mit dem Bedarf und fragt: Wie sieht das Umfeld des Projekts aus? Vor welchen Herausforderungen stehen wir? Welchen Bedarf soll das Projekt decken? Daraus sollte sich dann der Zweck des Projekts ergeben

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