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hierher kommen?»

      «Ich kann Ihnen versichern, Mr. Bumble, daß ich nur ein paar der lieben Kinder bei mir hatte, wegen deren Sie so freundlich sind, herzukommen», erwiderte Mrs. Mann mit großer Unterwürfigkeit.

      Mr. Bumble hegte eine hohe Meinung von seiner oratorischen Begabung und seiner Wichtigkeit. Er hatte die eine bewiesen und die andere gewahrt. Er war in milderer Stimmung.

      «Nun, nun, Mrs. Mann,» sagte er, «es mag sein, wie Sie sagen, es mag sein. Lassen Sie mich hinein, Mrs. Mann; ich komme in Geschäften und habe Ihnen etwas zu sagen.»

      Mrs. Mann nötigte den Kirchspieldiener in ein kleines Sprechzimmer, bot ihm einen Stuhl an und legte dienstbeflissen seinen dreieckigen Hut und seinen Stab auf den Tisch vor ihm. Mr. Bumble wischte sich den Schweiß von der Stirn, blickte freundlich auf den dreieckigen Hut und lächelte. Ja, er lächelte. Kirchspieldiener sind auch nur Menschen, und Mr. Bumble lächelte.

      «Nehmen Sie es mir nicht übel, was ich Ihnen sagen will», bemerkte Mrs. Mann mit bezaubernder Liebenswürdigkeit. «Sie wissen, Sie haben einen weiten Weg hinter sich; wollen Sie nicht ein Gläschen nehmen?»

      «Nicht einen Tropfen, nicht einen Tropfen», versetzte Mr. Bumble, indem er mit seiner rechten Hand in würdevoller, aber freundlicher Weise abwinkte.

      «Ich denke, Sie werden mir schon den Gefallen tun», sagte Mrs. Mann, die den Ton der Weigerung und die diese begleitende Gebärde bemerkt hatte. «Nur ein ganz kleines Gläschen mit einem Schluck kalten Wassers und einem Stück Zucker.»

      Mr. Bumble hustete.

      «Nur ein ganz kleines Gläschen», wiederholte Mrs. Mann in dringendem Tone.

      «Was ist es denn?» fragte der Kirchspieldiener.

      «Nun, es ist das, von dem ich etwas im Hause zu halten verpflichtet bin, um es den lieben Kindern in den Kaffee gießen zu können, wenn sie nicht wohl sind, Mr. Bumble», entgegnete Mrs. Mann, während sie ein Eckschränkchen öffnete und eine Flasche und ein Glas herausnahm. «Es ist Genever, ich will Sie nicht hintergehen, Mr. Bumble. Es ist Genever.»

      «Geben Sie den Kindern Kaffee, Mrs. Mann?» fragte Bumble, der mit seinen Augen den interessanten Vorgang der Mischung verfolgte.

      «Ach, gesegne es ihnen Gott, ich tue es, so kostspielig es auch sein mag», versetzte die Wärterin. «Ich könnte sie vor meinen leiblichen Augen nicht leiden sehen, Sir, Sie wissen es ja.»

      «Nein», sagte Mr. Bumble beistimmend; «nein, Sie könnten es nicht. Sie sind eine menschlich denkende Frau, Mrs. Mann.» (Hier setzte sie das Glas vor ihn hin.) «Ich werde so bald wie möglich Gelegenheit nehmen, es dem Kollegium gegenüber zu erwähnen, Mrs. Mann.» (Er zog das Glas näher zu sich heran.) «Sie empfinden wie eine Mutter.» (Er ergriff das Glas.) «Ich – ich trinke mit Vergnügen auf Ihre Gesundheit, Mrs. Mann», und er trank es zur Hälfte aus.

      «Und nun zu den Geschäften!» rief der Kirchspieldiener, indem er eine lederne Brieftasche hervorzog. «Der Knabe, der halb auf den Namen Oliver Twist getauft wurde, ist heute neun Jahre alt.»

      «Des Himmels Segen über das liebe Herzchen!» rief Mrs. Mann aus und mußte die Augen mit der Schürze abtrocknen.

      Mr. Bumble fuhr fort: «Trotz ausgebotener Belohnung von zehn Pfund, ja nachher von zwanzig Pfund – trotz der übernatürlichen Anstrengungen des Kirchspiels, sind wir nicht imstande gewesen, seinen Vater ausfindig zu machen oder seiner Mutter Wohnung, Namen oder Stand in Erfahrung zu bringen.»

      «Wie geht es denn aber zu, daß er einen Namen hat?» fragte die Waisenmutter.

      Der Kirchspieldiener warf sich in die Brust und erwiderte: «Ich erfand ihn.»

      «Sie, Mr. Bumble!»

      «Ich, Mrs. Mann. Wir benennen unsere Findlinge nach dem Alphabet. Der letzte war ein S – Swubble: ich benannte ihn. Dieser war ein T – Twist: ich gab ihm abermals den Namen. Der nächste, der kommen wird, wird Unwin heißen, der nächstfolgende Vilkins. Ich habe Namen im Vorrat von A bis Z; und wenn ich beim Z angekommen bin, fang' ich beim A wieder an.»

      «Sie sind wirklich ein Gelehrter, Mr. Bumble!»

      «Mag sein, mag sein, Mrs. Mann. Doch genug davon. Oliver ist jetzt zu alt geworden zum Hierbleiben, das Kollegium hat beschlossen, ihn zurückzunehmen, ich bin selbst gekommen, ihn abzuholen; – wo ist er?»

      Mrs. Mann eilte hinaus und erschien gleich darauf mit Oliver wieder, der unterdes gewaschen und bestens gekleidet war.

      «Mach 'nen Diener vor dem Herrn, Oliver», sagte sie.

      Oliver verbeugte sich tief vor dem Kirchspieldiener auf dem Stuhle und dem dreieckigen Hute auf dem Tische.

      «Willst du mit mir gehen, Oliver?» redete ihn Mr. Bumble in feierlichem Tone an.

      Oliver war im Begriff, zu antworten, daß er auf das bereitwilligste mit jedermann fortgehen würde, hob aber zufällig die Augen zu Mrs. Mann empor, die hinter des Kirchspieldieners Stuhl getreten war und mit grimmigen Mienen die Faust schüttelte. Er wußte nur zu gut, was das bedeutete.

      «Geht sie auch mit?» fragte er.

      «Das ist unmöglich; sie wird aber bisweilen kommen und dich besuchen», erwiderte Bumble.

      Das war kein großer Trost für Oliver; allein er hatte trotz seiner Jugend Verstand genug, sich anzustellen, als verließe er das Haus nur sehr ungern; ohnehin standen ihm die Tränen infolge des Hungers und soeben erfahrener harter Züchtigung nahe genug. Mrs. Mann umarmte ihn wiederholt und gab ihm, was er am meisten bedurfte, ein großes Stück Butterbrot, damit er im Armenhause nicht zu hungrig anlangte. Die Sache war natürlich abgemacht. Sein Butterbrot in der Hand, verließ er die Stätte, wo kein Strahl eines freundlichen Blickes das Dunkel seiner ersten Kinderjahre erhellt hatte. Und doch brach er in Tränen kindlichen Schmerzes aus, als das Gartentor sich hinter ihm schloß. Verließ er doch seine Leidensgefährten, die einzigen Freunde, die er in seinem Leben gekannt hatte; und zum erstenmal seit dem Erwachen seines Bewußtseins empfand er ein Gefühl seiner Verlassenheit in der großen, weiten Welt. Mr. Bumble schritt kräftig vorwärts; der kleine Oliver trabte neben ihm her und fragte am Ende jeder Meile, ob sie nicht bald «da» sein würden. Auf diese Fragen gab Mr. Bumble sehr kurze und mürrische Antworten; denn die zeitweilige Milde, die der Genuß von Genever und Wasser in manchen Gemütern erzeugt, war längst verflogen, und er war wiederum Kirchspieldiener.

      Oliver war noch nicht eine Viertelstunde innerhalb der Mauern des Armenhauses gewesen und hatte kaum ein zweites Stück Brot vertilgt, als Mr. Bumble, der ihn der Obhut einer alten Frau übergeben hatte, zurückkehrte. Er erklärte ihm, daß heute abend eine Sitzung des Armenkollegiums stattfände, und daß er sofort vor diesem zu erscheinen habe.

      Oliver, der keine allzu klare Vorstellung von dem hatte, was ein Armenkollegium zu bedeuten habe, war von dieser Mitteilung wie betäubt und wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Er hatte jedoch keine Zeit, über diesen Punkt nachzudenken; denn Mr. Bumble versetzte ihm mit seinem Stabe einen Schlag auf den Kopf, um ihn aufzuwecken, und einen anderen über den Rücken, um ihn munter zu machen. Dann befahl er ihm, ihm zu folgen, und führte ihn in ein großes, weißgetünchtes Zimmer, in dem acht bis zehn wohlbeleibte Herren um einen Tisch herumsaßen. Oben am Tische saß in einem Armstuhl, der höher war als die übrigen, ein besonders wohlgenährter Herr mit einem sehr runden, roten Gesichte.

      «Mache dem Kollegium eine Verbeugung», sagte Bumble. Oliver zerdrückte zwei oder drei Tränen in seinen Augen, und da er kein Kollegium, sondern nur den Tisch sah, so machte er vor diesem eine wohlgelungene Verbeugung.

      «Wie heißt du, Junge?» begann der Herr auf dem großen Stuhle.

      Oliver zitterte, denn der Anblick so vieler Herren brachte ihn gänzlich außer Fassung; Bumble suchte ihn durch eine kräftige Berührung mit dem Kirchspieldienerstabe zu beleben, und er fing an zu weinen. Er antwortete daher leise und zögernd, worauf ihm ein Herr in weißer Weste zurief, er wäre ein dummer Junge, was ein vortreffliches Mittel

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