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Damen gar nicht bemerkend, in's Zimmer. Er trug seine Violine mit dem Bogen unter dem linken Arm und ging langsam, ohne den Kopf nach rechts oder links zu wenden, zum Fenster. Marie sah erstaunt Helenen an, diese aber ergriff ihren Arm und drückte ihn leise, zum Zeichen, sich ruhig zu verhalten. Die Lampe brannte noch ziemlich düster, und das Zimmer war deshalb nur matt erleuchtet. Der Famulus schien aber gar nicht an die Anwesenheit anderer Personen auch nur zu denken, denn er drehte den Kopf nicht ein einziges Mal dem Lichte zu. Langsam öffnete er das Fenster, in das die kalte Luft frostig hereinschlug, schaute ein paar Secunden nach den Sternen hinauf und dann nach dem gegenüberliegenden alten Hause, und beiden Mädchen kam es so vor, als ob er leise dort Hinüberwinke. Dann schloß er das Fenster wieder sorgfältig mit beiden Wirbeln, nahm sein Instrument vor und begann mit leisem Bogenstrich eine sanfte, unendlich weiche Melodie zu spielen.

      Die beiden Jungfrauen horchten der wunderlichen, nie gehörten, aber tief ergreifenden Weise in athemlosem Schweigen. Hatten sie aber vorher in Scherz und Muthwillen den ernsten Mann zu belauschen gedacht, so waren sie jetzt kaum imstande, ihn zu unterbrechen, und hätten mit keinem Laut die rührenden Klänge stören mögen. Die weiche Stimmung des Famulus verlor sich jedoch bald. Scharfe, schrille Töne zuckten wie grelle Blitze über den blauen Himmel seines Liedes, und bald klangen einzelne dazwischen geworfene Tacte wie im Selbstspott über den weichlichen Sang, der sich aber doch immer und immer wieder die Bahn frei rang. Endlich, /50/ wie von seinen Gefühlen überwältigt, sank der Mann auf einen am Fenster stehenden Stuhl nieder und barg sein Antlitz in der linken Hand. Es schien fast, als ob der ganze Körper des Armen in irgend einem schweren innern Weh zucke und zittere, und als ob das, was in ihm tobte, nur gewaltsam zurückgehalten werden könne, hinaus in's Freie zu dringen.

      Da stand Helene geräuschlos von ihrem Sitze auf, und über den weichen Teppich mit unhörbarem Fuß schreitend, glitt sie an seine Seite, blieb wenige Secunden wie scheu und furchtsam neben ihm stehen, und legte dann leise und schüchtern die Hand auf seine Schulter.

      „Schwiebus," sagte sie dabei mit sanfter, bittender, kaum hörbarer Stimme, „Schwiebus, armer Schwiebus! fehlt Ihnen etwas, und kann ich Ihnen helfen?"

      Der Famulus rührte sich nicht, nur das Zittern seines Körpers wurde heftiger.

      „Sind Sie krank, Schwiebus?" bat Helene dringender; „sagen Sie mir, was Ihnen fehlt; ich meine es gut mit Ihnen."

      „Der verwünschte Katarrh!" brummte da plötzlich der Famulus mit seiner gewöhnlichen trockenen, etwas knarrenden Stimme, indem er sich aufrichtete und die Haare langsam mit den langen, hageren Fingern ans der bleichen Stirn strich. „Der verwünschte Katarrh!" wiederholte er dann, ohne die geringste Ueberraschung über die Anwesenheit der beiden Damen zu zeigen. Rasch, aber ruhig glitt sein Blick über sie hin, und er fuhr, halblaut dabei vor sich hin hüstelnd, fort: „Läßt mir nicht einmal Ruh' in meinem Zimmer, und ich kam eigentlich nur herüber, nach dem Nordstern zu sehen. Wenn der auf dem Kopfe steht, wird es immer besser. Aber guten Abend, meine Damen," setzte er dann mit wieder freundlicher, ganz unbefangener Stimme hinzu, „hätte gar nicht geglaubt, daß Sie im Zimmer säßen."

      Der Famulus legte dabei sein Instrument und seinen Bogen neben sich auf das Spiegelschränkchen und rieb sich die langen, knochigen Hände, als ob er sie in Feuer setzen wolle. /51/

      Helene und Marie sahen sich erstaunt an. Noch vor wenigen Minuten hatten sie den wunderlichen Menschen in quälendem Seelenschmerz fast aufgelöst geglaubt, und jetzt saß er wieder mit seinem alten trockenen Humor in den Zügen so unverändert vor ihnen, als ob er weder kurz vorher seine herzzerreißenden Melodien gespielt, noch wie ineinander gebrochen gestöhnt und gezittert hätte.

      „Aber was meinen Sie damit, Schwiebus," sagte Helene endlich - wirklich verlegen, wie das Gespräch wieder zu beginnen - „wenn der Nordstern auf dem Kopfe steht? - Wie kann denn ein Stern auf dem Kopfe stehen, und wenn er's thäte, wie wären wir im Stande, das zu erkennen?"

      „Der Nordstern ist ein komischer Gesell," lachte der Famulus leise vor sich, indem er die Hände stärker zusammenrieb, daß sich die bleichen Wangen ordentlich zu färben anfingen - „komischer Gesell und macht komische Streiche - aber ich habe ihn gern. Ganz allein am Himmel steht er da droben, hat den kleinen Bären am Schwanz und schlenkert ihn sich um den Kopf Nächte lang. Ist er doch auch der Stern der Todten und schützt ihre stillen Stätten über Nacht, wenn sie der Mond oft und oft im Stiche gelassen."

      „Was Sie da wieder für tolles Zeug reden, Schwiebus!" sagte Helene kopfschüttelnd - „wenn man nicht wüßte, daß Sie Spaß machten, könnte man sich ordentlich fürchten."

      „Spaß? - ja, Spaß!" lachte der Famulus, aber es war kein wirkliches Lachen, sondern fast nur ein krampfhaftes Verziehen der Mundwinkel. Diese zogen sich in tausend und tausend kleine Fältchen zusammen, bis der Mund mit den schmalen, dünnen Lippen ordentlich darin verschwand und dem bleichen Gesichte mit den sparsam rothblonden Haaren etwas entsetzlich Unheimliches gab. „Es ist unendlich spaßhaft, wenn der Nordstern da drüben so kalt und still auf ein frisches Grab niederfunkelt und wir uns dann den Todten da drinnen denken, wie er, die Hände auf der Brust gefaltet, die Glieder ausgestreckt und starr in seinem engen Hause da unten liegt und wir nicht hinunter können zu ihm , - er nicht herauf zu uns."

      "Schwiebus hat heut Abend einmal wieder seine geister-/52/hafte Laune," lächelte Helene zu Marien hinüber. „Oh, wenn Du ihn doch da einmal könntest erzählen hören! Er weiß gar zu prächtige Märchen, und ich bin da wie ein kleines Kind und wäre im Stande, ihm Nächte lang zuzuhören."

      „Märchen - ja, das ist ja wohl der Name, den die Menschen für derlei haben," sagte der Famulus, langsam dazu mit dem Kopfe nickend - „Märchen - ein ungemein bequemes Wort, und damit sind sie fertig. Märchen - das erklärt ihnen Alles, und sie zerbrechen sich den Kopf nicht weiter über Dinge, die ihnen sonst am Ende das Hirn auseinander treiben könnten. Aber sie haben auch Recht. Wozu sich das Herz schwer machen und den Kopf mit Dingen füllen, die nichts Anderes neben sich dulden und die ruhigen, friedfertigen Gedanken hinauswerfen, ihrem eigenen tollen Sein den Spielplatz frei zu halten! Märchen ist auch ein höchst charmantes Wort dafür. Im Ofen knistert und knattert das Feuer, daß die Fensterscheiben ordentlich an zu schwitzen fangen. Die Kinder und Erwachsenen rücken dicht um den Tisch, auf dem die Lampe düster brennt; draußen heult wo möglich ein Schneesturm über das Land und kos't mit den Trauerweiden, bis sie verlangend und zitternd die nackten Arme hinter ihm drein strecken, pfeift in die Kamine hinunter und fegt sich die Straßen rein zum Tanz, während droben am Himmel die Wolken an der dünnen Mondessichel vorüberjagen, als ob sie zu spät zum neuen Tage kämen. - Das ist die Zeit, ein Märchen zu erzählen, und weshalb?

      - weil es draußen gleich mit spielt in Lebensgröße, an die Läden klopft und durch die gefrorenen Fenster schaut und seine wilden Weisen summt zu den drinnen gesprochenen Worten. Die Menschen rücken dann dicht zusammen im warmen Zimmer, horchen mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf das Erzählte, und freuen sich wie die Kinder über den Nervenkitzel, der ihnen eben nur leichthin über das Leben streift. Es ist ja nur ein Märchen!"

      „Aber wie ich noch ein Kind war," rief Marie lächelnd, „hab' ich wahrhaftig geglaubt, daß das Alles auch wirklich passirte!"

      „So?" sagte der Famulus und fing wieder an, sich die /53/ knochige» Hände zusammen zu reiben, „so? - wirklich passirt. - Es ist doch toll, was sich die Menschen manchmal für wunderlichen Gedanken hingeben - wirklich passirt - hihihihi!"

      „Wie ich ein Kind war, Schwiebus, hab' ich gesagt," entschuldigte sich die Jungfrau dem Lachenden gegenüber, der sie ja sonst für noch immer so kindisch halten konnte - „jetzt weiß ich wohl, daß das nur Thorheit war."

      „Und doch hören wir die Märchen noch gern, wenn wir auch erwachsen sind," sagte Helene; „es ist ordentlich wie eine Erinnerung aus der Kinderzeit, von der sich das Herz ja doch nur ungern und schwer trennt, und was früher so viel mehr den Reiz des Schauerlichen hatte, das ersetzt jetzt reichlich die Erinnerung an die vergangenen Tage."

      „Ja, es ist entsetzlich, wie gescheidt und klug wir werden mit der Zeit," sagte der Famulus und griff wieder seine Geige auf, über deren Saiten er leise und wie herausfordernd mit dem Bogen strich - „und wir haben nachher

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