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bald erreicht und gefaßt, und von kräftigen Armen wurde derselbe an die Oberfläche gehoben und zum Ufer gezogen. Wenn ihm jedoch auch das Wasser selber noch nichts geschadet hatte, war der Unglückliche doch durch den Sturz, in dem er wahrscheinlich durch das Zurückhalten seines Rockes gegen einen der Brückenpfeiler geworfen worden, schwer am Kopfe verletzt – die Wunde blutete stark, und die Männer trugen den Bewußtlosen zuerst auf die Polizei und von dort, auf den Ausspruch eines rasch herbeigerufenen Arztes, in die Charitè.

      Fünftes Kapitel

      Die Auswanderungs-Agentur.

       Am Marktplatz zu Heilingen, und an der Ecke eines kleinen, auf diesen auslaufenden Gäßchens, stand ein ziemlich großes, grün gemaltes und gewiß sehr altes Erkerhaus, dessen Giebel und Stützbalken geschnitzt, und mit wunderlichen Köpfen und Gesichtern verziert und braun angestrichen waren. So weit neigten sie sich dabei nach vorn über, daß es ordentlich aussah, als ob der ganze Bau mit dem spitzen, wettergrauen Dach nächstens einmal gerade mitten zwischen die Töpfer und Fleischer hineinspringen würde, die an Markttagen dort unten ihre Ware feilhielten.

       Nichtsdestoweniger wurde es noch immer, bis fast unter das Dach hinauf, bewohnt und der untere Teil desselben ganz besonders zu kleinen Warenständen und Läden benutzt. Die Ecke derselben nun hatte seit langen Jahren ein Kaufmann oder Krämer in Besitz, der sich zu seinen Materialwaren, Kaffee, Zucker, Tabak, Lichten, Grütze usw. Auch noch in der letzten Zeit die Agentur mehrerer Bremer und Hamburger Schiffsmakler zu verschaffen gewußt, und damit bald in einer Zeit, wo die Auswanderungslust so überhand nahm, solch’ brillante Geschäfte machte, daß er die Materialwarenhandlung seiner Frau wie seinem ältesten Sohn übertrug, und für sich selber nur ein kleines Stübchen, ebenfalls nach dem Markt hinaus, behielt, über dessen Tür jetzt ein riesiges, sehr buntgemaltes Schild prangte. Das Schild verdient übrigens mit einigen Worten beschrieben zu werden, da die Heilinger in den ersten Tagen – als es eben erst aufgehangen worden – in wirklichen Scharen davor stehenblieben und es anstaunten.

       Es war ein breites, länglich viereckiges Gemälde, ein großes, dreimastiges Schiff vorstellend, wie es sich unter vollen Segeln der fremden, ersehnten Küste näherte. Die See selber war hellgrün gemalt, mit einer Unmasse von sichtbar darin herumschwimmenden Fischen, die den Beschauer wirklich etwas besorgt um die Sicherheit des Fahrzeuges selber machen konnten. Dessen wackerer Kiel schäumte aber mitten hindurch, und der, dem Anschein nach vollkommen runde, nur nach hinten zu etwas länglich auslaufende Rumpf, preßte eine große grün und weiß gestreifte Welle vorne auf, die sich wie eine breite Falte quer vor seinen Bug legte. Die Segel standen dazu fast ein wenig zu sackartig und, nur an den vier Zipfeln festgehalten, stramm und steif von den Raaen ab, und die langen blutroten Wimpel, mit rot und weißer Bremer Flagge hinten an der Gaffel, strömten und flatterten lustig nach hinten aus, wahrscheinlich den raschen Durchgang des Schiffes durch das Wasser anzuzeigen, das derart, durch den Wind getrieben, selbst diesen überflügelte. Über deck war aber auch die Mannschaft, und Kopf an Kopf eine volle Reihe bunter Passagiere sichtbar, mit sehr dicken, roten Gesichtern, die Gesundheit an Bord des Schiffes bestätigend, und mit sehr hellgelben und sehr breiträndigen, rotbebänderten Strohhüten auf, während hinten auf Deck der Kapitän des Schiffes mit einem dreieckigen Hut, wie einem Fernglas in der einen und einem Dreizack in der anderen Hand stand. Was der Maler mit dem Dreizack andeuten wolle, weiß nur er und Gott; er müßte denn gemeint haben, daß der Kapitän, wie früher Neptun, das Meer beherrsche. Übrigens war es auch möglich, daß er fischen wolle, und sich mit dem Fernrohr nur eben den stärksten und fettesten der ihn reichlich umschwimmenden Fische ausgesucht habe.

       Den Hintergrund dieses prachtvollen Seestücks bildete ein schmaler Streifen mit einzelnen Palmen bedeckter Küste, an der eine Anzahl pechschwarzer, nackter Männer standen, die nur einen gelb und blauen Schurz um die Hüfte und einen grünen Busch in der Hand trugen. – Diese sahen übrigens gerade so aus, als ob sie die Ankunft des Schiffes schon sehnsüchtig und vielleicht sehr lange Zeit erhofft hätten, und nun die Zeit nicht erwarten könnten, daß die Fremden an Land stiegen, damit sie geschwind für sie arbeiten und ihnen den Boden urbar machen dürften.

       Neben dem Bild und zu beiden Seiten der Tür, wie sogar noch an dem inneren Teil des Fensterschalters, hingen lange Listen der verschiedenen anzupreisenden Plätze für Auswanderung. Obenan New York, Philadelphia und Boston, dann Quebec, New Orleans und Galveston; in Brasilien Rio de Janeiro und Rio Grande; dann Chile, Valdivia, Valparaiso und Buenos Ayres; in Australien Adelaide mit einer Menge neu entdeckter verschiedener Kolonien und Ansiedlungen, wohin überall die besten kupferfesten Schiffe in unglaublich kurzer Zeit und mit allem versehen, ausliefen, was dem glücklichen Passagier das Leben an Bord eines solchen Schiffes nur in der Tat zu einer Vergnügungs-fahrt machen müsse und würde.22

       Weigel, wie der Eigentümer dieser ,ausländischen Versorgungsanstalt’ (ein Spottname, den die Heilinger der Weigelschen Agentur gaben) hieß, war ein dicker, vollgenährt und blühend aussehender Mann, ungefähr sechs- bis achtunddreißig Jahre alt, mit ein wenig fest umgeschnürter Kravatte, was seinen Augen etwas Stieres gab, und sonst einem leisen Anflug von Grau in den sonst braunen, widerspenstigen Haaren. Die Augen waren groß, blau und ziemlich ausdruckslos; ein fast mitleidiges Lächeln aber, das oft, und besonders dann, wenn er irgendjemandes Meinung bestritt, um seine Mundwinkel spielte, gab dem Ausdruck seiner Züge jene scheinbare Überlegenheit, die sich zuversichtliche Menschen, wenn man es ihnen gestattet, oft über andere anzumaßen wissen. Ganz vorzüglich wußte er diese Miene anzunehmen, wenn er über Amerika oder irgendeinen überseeischen Fleck Landes sprach, über dem für ihn ein gewisser heiliger und unantastbarer Zauber schwamm, und jemand dann irgendeinen Zweifel gegen das Gesagte zu hegen wagte. Er schwärmte besonders für Amerika, und es gab deshalb auch seiner Aussage nach keinen größeren Lügner in der Stadt als den Redakteur des Tageblatts, den Advokaten und Doktor Heyde in Heilingen. Dieser und er waren denn auch, wie sich das leicht denken läßt, grimme und erbitterte Feinde und Gegner, wo sich nur irgendeine Gelegenheit dazu fand.

       Weigel bekam, wie das gewöhnlich bei den Agenturen der Schiffsbeförderung üblich und der Fall ist, für jede Person, die er einem Bremer oder Hamburger Reeder sicher an Bord lieferte, einen Taler, kurzweg genannt ,für den Kopf’, und er teilte deshalb die Leute – seine Mitbürger sowohl wie sämtliche übrige Bewohner Deutschlands – in solche ein, ,die Energie hatten’, d.h. zu ihm kamen und sich bei ihm einen ,Platz nach Amerika’ besorgen ließen, wo sie nachher drüben selber sehen konnten, wie sie fertig wurden, und in solche, die ,im alten Schlendrian hinkrochen und hier lieber verfaulten, ehe sie einen männlichen, entscheidenden Schritt taten, ihrer Existenz auf die Beine zu helfen.’ Jeder, der hier blieb, betrog ihn aber wissentlich und mit kaltem Blut um seinen, ihm in ehrlichem Verdienst zustehenden Taler, und es verstand sich von selbst, daß er vor einem solchen Menschen keine Achtung haben konnte.

       Er selber kannte die Verhältnisse Amerikas nur aus Büchern, die das Land lobten, denn andere las er gar nicht und bekam er sie einmal zufällig in die Hand, so warf er sie auch gewiß mit einem Kernfluch über den ,nichtswürdigen Literaten, der wieder einmal einen ganzen Band voll Lügen zusammengeschmiert’, in die Ecke. Sein größter Ärger war aber jedenfalls – und so regelmäßig, wie die Uhr morgens acht schlug – das Tageblatt, das er der häufigen Annoncen wegen halten m u ß t e, und das ebenso regelmäßig kleine gehässige und schmutzige Artikel gegen Amerika, wie überhaupt gegen alles brachte, was sich frei und selbstständig bewegte.

       Zehnmal hatte er sich schon vorgenommen, den ,kleinen erbärmlichen Doktor’ zu prügeln, und sehr vielen Leuten würde er dadurch ein großes Vergnügen bereitet haben; aber er unterließ es doch jedesmal auch wieder, wenn sich ihm gleich oft genug Gelegenheit dazu bot; beide mußten jedenfalls schon einmal früher etwas miteinander gehabt haben, vielleicht mehr voneinander wissen, als beiden zuträglich war, und ein solcher Bruch wäre da nicht rätlich gewesen.

       Sonst lebte Weigel still und anscheinend als ein vollkommen guter und achtbarer Bürger vor sich hin, aber im Stillen wirkte und wühlte er seinem Ziel entgegen, und richtete in der Tat viel Unheil an. Seine Beschreibungen Amerikas, die er sich selber in kleinen Broschüren aus anderen Büchern zusammentrug und um ein Billiges verkaufte, waren ein langsames Gift, das er in manche friedliche und glückliche Familie warf, ein Saatkorn, das

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