Скачать книгу

Alle aus, daß die Falleri immer still und in sich gekehrt gewesen wäre, und Niemand erinnerte sich, daß sie je gelacht hätte, aber für bös hatten sie sie nie gehalten. Sie war gefällig, wo sie nur immer konnte, auch nie klatschig oder zänkisch gewesen, und eigentlich schien es den Leuten bei etwas kälterem Blut leid zu thun, daß sie sich, im Zorn vielleicht, der letzt erfahrenen Mißhandlung wegen, so weit vergangen haben sollte. /44/ Von da ging dann der Beamte zu Baumstetters hinüber, wo er freilich nur das Beste über das Mädchen hörte - damals war sie ja aber auch noch fast ein Kind. Nur ihr verschlossenes Benehmen rügten sie ebenso wie des Schulzen Frau.

      Dann, um nichts zu versäumen, zog er auch im Gemeinde-Haus Erkundigungen ein, und die „alte Kunzen" meinte, als sie von dem Verdacht hörte, der auf dem Mädchen lastete: „Na ja, der habe ich es schon lange prophezeit, daß sie es noch einmal zu so 'was bringen würde, denn das ist ein schlechtes, undankbares Geschöpf und verdient die Brodkruste nicht, die sie kriegt." Etwas Bestimmtes wußte sie aber auch nicht über Valerie anzugeben.

      Weit anders aber nahm der alte Bänkelsänger die Nachricht auf, daß man die „Falleri" im Verdacht der Brandstiftung und deshalb eingefangen habe. Im ersten Moment fuhr er wie der Blitz von seinem Lager in die Höhe, fiel dann aber auch gleich wieder mit einem Schmerzensschrei auf seine Matratze zurück und stöhnte:

      „Oh mein Rücken! - wenn ich mich nur regen könnte!"

      „Und wißt Ihr etwas über das Mädchen anzugeben," frug der Beamte, „das zu ihren Gunsten spräche, oder den einmal gefaßten Verdacht bestätigte?"

      „Ja," sagte der Alte nach einer Weile, in der er sich erst mit augenscheinlichem Schmerz auf seinem Lager gewunden, denn jedenfalls hatte ihm die plötzliche Bewegung weh gethan, „allerdings habe ich das, Herr Polizeicommissar, und zwar weiter nichts, als daß die Falleri das bravste und beste Kind ist, was je von nichtsnutzigem, geizigem, schmierigem Volk schlecht behandelt und unter die Füße getreten wurde. Mein Geschäft war früher, Mordgeschichten abzusingen, um den Leuten für ein paar Sechser abschreckende Beispiele vor Augen zu führen, und ich habe in meiner Zeit viele schreckliche Blut- und Schauderscenen abgeleiert, aber nie im Leben - selbst nicht nach jenem Scheusal, das seine eigene Schwiegermutter umbrachte - eine Lebensbeschreibung, die so viel Jammer und Elend enthält, als die des Kindes, das sie jetzt der Brandstiftung bezichtigen." /45/ „Also Sie halten das Mädchen für schuldlos?" sagte der Polizeicommissar.

      Der Alte sah ihn groß an, drehte sich dann plötzlich mit vieler Leichtigkeit auf die andere Seite und erwiderte kein Wort mehr.

      Der Beamte konnte nichts weiter im Dorf erfahren, als daß die Gefangene an dem Abend von ihrer bisherigen Miethsherrin, des Verdachtes eines allerdings unerwiesenen Diebstahls wegen, geschlagen sei, im Aerger und in der Aufregung das Haus verlassen habe und etwa noch eine Stunde später und nach angebrochener Nacht im Dorfe gesehen wäre. Damit fuhr er in die Stadt zurück und beschied nur noch vorher auf morgen früh zum Zeugenverhör des Schulzen Frau und jenen Knecht, der die Angeklagte am gestrigen Abend im Dorf noch spät gesehen haben wollte.

      Indessen hatte den alten Bänkelsänger im Gemeinde-Haus eine ganz eigene Unruhe erfaßt. Er warf sich fortwährend auf seinem Lager hin und her und ruhte nicht eher, bis die Frau Kunze noch einmal zum Bader hinüber ging, daß er käme und ihm etwas zum Einreiben gäbe. Er müßte gesund werden, wie er sagte, und wieder aufstehen und in die Stadt gehen, um selber zu sehen, was sie mit der Falleri anfingen, denn dem Kinde dürfe kein Unrecht geschehen, und wenn er selber darüber zu Grunde gehen sollte.

      Der Bader kam auch gegen Abend und brachte ihm eine Salbe mit, die er selbst erfunden haben wollte, und die außerordentlich heilkräftig sein sollte. Damit rieb er sich ein, wickelte sich in seine wollene Decke und schlief dann ein.

      Die Salbe mußte aber doch nicht recht gewirkt haben, oder er war auch vielleicht in der Nacht ruhiger geworden, denn er verließ am nächsten Morgen sein Bett noch nicht, sondern erklärte nur, daß er sich bedeutend besser fühle und in den nächsten Tagen hoffe, aufstehen zu können. /46/

      6.

      Die Brandstifterin.

      Am nächsten Morgen sollte das erste Verhör stattfinden, und der alte Untersuchungsrichter hatte, in der Ueberzeugung, daß die Verbrecherin auch heute leugnen würde, schon einen Wagen bestellt, auf dem sie - unter starker Bedeckung natürlich - an Ort und Stelle geführt werden konnte. Dort lagen auch die Leichen der bei dem Brand verunglückten Menschen, und wenn man ihr so die Folgen ihrer That vor Augen führte, hätte ein verstockteres Herz dazu gehört, als es das Kind besaß, das Vollbrachte selbst in deren Gegenwart noch abzuschwören.

      Außerdem waren auf elf Uhr die Zeugen aus Osterhagen bestellt und warteten schon im Vorzimmer - der Knecht in seiner besten Jacke, des Schulzen Frau in riesiger, mit Bändern behangener und reich gestickter Mütze, den vollen Busen mit einer Unzahl silberner Ketten und anderen Schmucksachen behangen, denn das Alles hatte sie aus dem Brande gerettet; war das doch ihre erste Sorge gewesen.

      Der Untersuchungsrichter saß schon in seinem Bureau, der Protokollant mit einer Anzahl geschnittener Federn am Tisch vor einer ganzen Schicht neuer Papierbogen, unbeschriebener „Acten in Sachen der Valerie Edmund wegen Brandstiftung". Einer der Polizeibeamten wurde jetzt beordert, die Gefangene herunter zu holen.

      Der Gefängnißwärter hatte sie gestern Abend, als er ihr einen Krug mit Wasser und ein Stück Brod brachte, verlassen, wie sie mit gefalteten Händen auf ihrer Pritsche saß und still und regungslos vor sich nieder starrte - so saß sie noch, als er die Thür um elf Uhr Morgens wieder öffnete; so mußte sie die ganze Nacht gesessen haben, denn die wollene Decke, die er ihr, zusammengefaltet, auf die Matratze gelegt, war nicht von ihrer Stelle genommen und das Lager jedenfalls unberührt. /47/ „Hallo, Mädel!" rief der Mann erstaunt, „bist Du die ganze Nacht da so sitzen geblieben? Was? und keinen Bissen gegessen, keinen Schluck getrunken? Das thut's nicht, Kind," setzte er kopfschüttelnd hinzu, „dabei kommst Du von Kräften und gehst zu Grunde. Wenn das Verhör nun jetzt ein paar Stunden dauert, wie willst Du's aushalten?"

      „Es wird nicht so lange dauern," sagte das junge Mädchen leise.

      „Ja, wer kann's wissen," brummte der Alte; „aber Du sollst hinunter kommen. Die Herren sind Alle schon da - willst Du Dich nicht ein bischen zurecht machen? Du siehst ja ganz blutig im Gesicht aus."

      „Zum Verhör soll ich kommen?" sagte Valerie und stand von ihrer Bank auf.

      „Ja wohl, Kind - wasch Dir nur erst einmal das Blut von der Stirne."

      Valerie erwiderte kein Wort weiter; sie ging zu dem in der Ecke stehenden blechernen Waschkumpen und badete sich Gesicht und Hände in dem frischen Wasser, strich sich dann die Haare glatt und sagte leise:

      „Lassen Sie uns gehen; je eher desto bester."

      Der Gefängnißwärter schüttelte mit dem Kopf. Er hatte in seinem langen Leben manche Erfahrung gesammelt und die Charaktere seiner zahllosen Gefangenen nicht ohne Erfolg studirt. Diese hier kam ihm aber nicht wie eine bösartige Verbrecherin vor, und trotzdem schien sie ganz in einander gebrochen und sah auch so merkwürdig bleich und elend aus. Aber was ging's ihn an; er that nur seine Pflicht, und sein Schlüsselbund aufgreifend, öffnete er der Gefangenen die schmale Thür und führte sie die Treppe hinab durch den Corridor zu dem Zimmer des schon seiner harrenden Assessors.

      In dem Corridor saß des Schulzen Frau in all' ihrem Staat, und neben ihr stand der Knecht vom Hof, der ebenfalls mit als Zeuge einberufen war, und als Valerie an ihr vorüber ging, rief sie aus :

      „Oh, das schlechte, miserablige Ding! - sollte man es denn für möglich halten.'"

      „Wenn Sie das Maul nicht halten," sagte aber der alte /48/ Gefängnißwärter, der sich nach ihr umdrehte, „so werden Sie ebenfalls eingesteckt und kommen auf Nummero Sicher. Hier hat Niemand zu reden, der nicht gefragt wird."

      Die Frau schwieg verdutzt still, denn so hatte noch Niemand mit ihr, der Schulzin aus Osterhagen, gesprochen. Valerie aber hörte entweder die Worte gar nicht, oder achtete nicht darauf. Sie schritt still an ihrer früheren Herrin, ohne auch nur den Blick vom Boden zu nehmen, vorüber und verschwand

Скачать книгу