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Affen und kleinen Kindern. Greif zu, Ohm Jakob, geh den neuen Weg, den kein anderer vor dir ging!« Seine Stimme bebte, in nervöser Hast stiess er den Rauch aus der Zigarette.

      »Ich verstehe kein Wort!« sagte der Alte.

      »Oh, du musst es verstehen, Ohm Jakob! – Hörtest du nicht, was er erzählte? – Schaff ein Alraunwesen: eines das lebt, eines das Fleisch hat und Blut! – Du kannst es, Onkel, du allein und sonst kein Mensch auf der Welt!«

       Der Geheimrat sah ihn an, unsicher, fragend. Aber in der Stimme des Studenten lag eine solche Überzeugung, eine solch starke Kraft des Glaubens, dass er stutzig wurde, gegen seinen Willen.

      »Drück dich klarer aus, Frank,« sagte er. »Ich weiss wirklich nicht, was du willst.«

      Sein Neffe schüttelte hastig den Kopf. »Jetzt nicht, Ohm Jakob. Ich werde dich nach Hause begleiten, wenn du erlaubst.« Er wandte sich rasch, trat zu Minchen, die den Kaffee herumreichte, nahm eine Tasse und noch eine, leerte sie in raschen Zügen.

      – – Söfchen, das andere Mädchen, war ihrem Tröster entronnen. Und Dr. Mohnen lief herum, war da und war dort, geschäftig wie ein Kuhschwanz zur Fliegenzeit. In den Fingern immer noch das Bedürfnis, etwas auswaschen, angreifen zu müssen, nahm er das Alräunchen, rieb mit einer grossen Serviette daran herum, wischte den Staub ab, der es rings umklebte. Es nutzte kaum etwas: seit Jahrhunderten nicht gereinigt machte das Alräunchen wohl eine Serviette schmutzig nach der andern, aber selbst wurde es darum doch nicht blanker. Da fasste es der geschäftige Doktor, schwang es hoch und warf es mit geschicktem Schwung mitten hinein in die grosse Bowle.

       »Da trink, Alräunchen!« rief er. »Bist schlecht behandelt worden in diesem Hause. Wirst gewiss Durst haben.« Dann stieg er auf einen Stuhl und redete eine lange feierliche Rede auf die beiden weissgekleideten Jungfräulein. »Mögen sie es ewig bleiben,« schloss er, »das wünsche ich von ganzem Herzen!«

      Er log; er wünschte es gar nicht. Keiner wünschte es und die zwei jungen Dämchen am allerwenigsten. Aber sie klatschten doch mit den andern, gingen zu ihm, knixten und bedankten sich.

      – Kaplan Schröder stand bei dem Justizrat, schimpfte mächtig, dass nun der Termin immer näher rücke, an dem das neue Bürgerliche Gesetzbuch eingeführt werden solle. Kaum zehn Jahre mehr – – und aus war's mit dem Code Napoléon. Und man hatte dasselbe Recht im Rheinlande, wie – – drüben in Preussen. Gar nicht auszudenken!

      »Ja,« seufzte der Justizrat, »und die Arbeit! Was man da alles wieder lernen muss. Als ob man nicht gerade genug zu tun hätte.« – Ihm war's im Grunde völlig gleichgültig: er würde sich ebensowenig mit der Lektüre des Bürgerlichen beschäftigen, wie er je das Rheinische Recht studiert hatte. Gott sei Dank, seine Examina hatte man ja gemacht.

      Die Fürstin empfahl sich, nahm Frau Marion mit sich in ihrem Wagen. Aber Olga blieb wieder zurück bei ihrer Freundin. Auch die andern gingen, verabschiedeten sich, einer nach dem andern.

      »Willst du nicht auch gehen, Ohm Jakob?« fragte der Student.

       »Ich muss noch warten,« sagte der Geheimrat, »mein Wagen ist noch nicht da. Er wird wohl kommen im Augenblick.«

      Frank Braun sah aus dem Fenster. Da jagte die kleine Frau von Dollinger über die Treppe, flink wie ein Eichhorn, trotz ihrer vierzig Jahre, hinunter in den Garten. Fiel hin, sprang wieder auf, flog zu auf die starke Buche, umschlang den Stamm mit beiden Armen und Beinen. Und sinnlos, völlig betrunken von Wein und Gier, küsste sie den Stamm mit heissen, brünstigen Lippen. Stanislaus Schacht löste sie ab, wie einen Käfer, der sich festhält. Nicht roh, aber kräftig und stark, immer noch nüchtern, trotz der ungeheuren Mengen Wein, die er trank. Sie schrie, klammerte sich fest, wollte nicht fort von dem glatten Stamm. Aber er hob sie hoch, nahm sie auf seine Arme. Da erkannte sie ihn, riss seinen Hut ab, küsste ihn, laut schallend, wild schreiend, mitten auf die Glatze –

      Der Professor war aufgestanden, sprach noch ein letztes Wort mit dem Justizrat.

      »Ich habe eine Bitte,« sagte er. »Wollen Sie mir das Unglücksmännchen schenken?«

      Frau Gontram ersparte ihrem Manne die Antwort: »Jewiss, Herr Jeheimrat, nehme Sie et nur mit, dat fiese Alräunche! – Dat is sicher mehr wat für Jungjeselle!«

       Sie griff in die grosse Bowle, zog das Wurzelmännchen heraus. Aber sie stiess mit dem harten Holz an den Rand, ein heller Klang flog durch den Raum. Und zersprungen bis zum Grunde brach der herrliche alte Kristall auseinander, zerfiel zu Scherben, goss seinen süssen Inhalt über Tisch und Boden.

      »Heilije Mutter Jottes!« rief sie aus. »Et is jewiss jut, dat dat freche Ding nu endlich aus 'm Haus kömmt!«

      Drittes Kapitel,

      das zu wissen tut, wie Frank Braun den Geheimrat überredete, Alraune zu schaffen.

      Sie sassen im Wagen, Professor ten Brinken und sein Neffe. Sie sprachen nicht. Frank Braun lehnte sich zurück, starrte vor sich hin, tief versunken in seine Gedanken. Still beobachtete ihn der Geheimrat, schielte lauernd zu ihm hinüber.

      Kaum eine halbe Stunde dauerte die Fahrt. Sie rollten über die Landstrasse, bogen rechts ein, rappelten über das holprige Pflaster von Lendenich. Dort, mitten im Dorf, lag der grosse Stammsitz der Brinken, ein mächtiger, fast viereckiger Komplex, Garten und Park, und darin, nach der Strasse zu, eine Reihe kleiner unansehnlicher alter Gebäude. Sie bogen um die Ecke, vorbei an dem Schutzpatron des Dorfes, dem heiligen Nepomuk; sein Standbild, geschmückt mit Blumen und zwei ewigen Lämpchen war in eine Ecknische des Herrenhauses eingelassen. Die Pferde standen; ein Diener schloss das innere Tor auf, öffnete den Schlag der Kutsche.

      »Bring uns Wein, Aloys,« befahl der Geheimrat, »wir gehen in die Bibliothek.« Er wandte sich zu seinem Neffen. »Willst du hier schlafen, Frank? Oder soll der Kutscher warten?«

       Der Student schüttelte den Kopf. »Beides nicht. Ich werde zu Fuss zurückgehen zur Stadt.«

      Sie schritten über den Hof, betraten das lange niedere Haus zur rechten Seite. Es war eigentlich nur ein riesiger Saal, dazu ein winziges Vorzimmer und ein paar kleine Nebengelasse. Rings an den Wänden standen die langen, ungeheuren Regale, dicht besetzt mit Tausenden von Bänden. Niedere Glaskasten standen hier und da, voll von römischen Ausgrabungen; viele Gräber waren hier ausgeleert, beraubt um ihre geizig bewahrten Schätze. Den Boden deckten grosse Teppiche; ein paar Schreibtische, Sessel und Sofas standen herum.

      Sie traten ein, der Geheimrat warf sein Alräunchen auf den Diwan. Sie brannten die Kerzen an, rückten ein paar Sessel zusammen, setzten sich nieder. Und der Diener entkorkte die staubige Flasche.

      »Du kannst gehen,« sagte sein Herr, »aber leg dich nicht nieder; der junge Herr geht wieder und du musst das Tor schliessen.«

      – »Nun?« wandte er sich dann seinem Neffen zu.

      Frank Braun trank. Er nahm das Wurzelmännchen auf und spielte damit. Es war immer noch ein wenig feucht und schien jetzt fast biegsam zu sein.

       »Es gibt sich deutlich genug,« murmelte er. »Da sind die Augen – alle beide. Da quillt die Nase vor und da öffnet sich der Mund. Schau doch, Ohm Jakob, sieht es nicht aus, als ob es grinse? Die Ärmchen sind etwas verkümmert und die Beinchen zusammengewachsen bis zum Knie hinab. Es ist ein seltsames Ding.« Er hielt es hoch, drehte es nach allen Seiten. »Schau dich um, Alräunchen!« rief er. »Hier ist deine neue Heimat. Hier passt du her, zu Herrn Jakob ten Brinken, besser noch als in das Haus der Gontrams.

       »Du bist alt,« fuhr er fort, »vierhundert, vielleicht sechshundert Jahre alt und noch mehr. Deinen Vater henkten sie, weil er ein Mordbube war, oder ein Rossdieb, oder auch, weil er Spottverse machte auf irgendeinen grossen Herrn im Panzer oder im Priesterhemd. Einerlei was er tat, er war ein Verbrecher in seiner Zeit, und sie henkten ihn. Da spie er sein letztes Leben hinein in die Erde, zeugte dich, du seltsames Wesen. Und die Mutter Erde empfing dieses Lebewohl des Verbrechers in ihrem fruchtbaren Schoss und geheimnisvoll kreisste sie und gebar – dich. Sie, die Riesige, die Allgewaltige – dich, du

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