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      Als Eva-Maria Drempel sich zum Mittagessen an den Tisch setzen wollte, wich sie im letzten Moment vor der fauchenden Katze zurück. Sie ärgerte sich insgeheim, dass sie es damals nicht geschafft hatte, Frieda, wie der Kater von der Familie genannt wurde, anzunehmen. Sie hatte sich in all den Jahren nicht daran gewöhnen können, dass Frieda alle Menschen anfauchte. Nicht aber ihren Mann Edmund, ihre Tochter Elisabeth sowie deren Geschwister. Eva und Kater Frieda waren nie Freunde geworden.

      Elisabeth, Betti gerufen, hatte den Tisch gedeckt. Ihr Vater lächelte sie an:

      „Ich verstehe, wenn Du immer wieder daran erinnerst, dass es eine gute Tat war, Kater Frieda das Leben zu retten.“

      Bettis Geschwister, Chriss und Alex, schwie-gen. Edmund, von seiner Frau Eddi genannt, fuhr fort:

      „Nun ist Zeit für weitere gute Taten.“

      Eva-Maria griff Eddis letztes Wort auf:

      „Eddi, Du bist doch bald fertig. Kann ich Dich bitte gleich unter vier Augen sprechen? Es ist wich-tig!“

      Ihr Mann nahm ruhig den weißen Arztkittel von der Rückenlehne seines Stuhls und warf ihn über seinen linken Arm.

      „Gehen wir ins Wohnzimmer, meine Liebe.“

      Die Kinder blieben am Esszimmertisch sitzen. Kater Frieda schnurrte unter einem der langen Brokatvorhänge.

      „Ich kann mich einfach nicht an dieses Viech gewöhnen“, lamentierte Eva-Maria.

      „Du hast Dich ja damals auch nicht um das verletzte Tier gekümmert.“

      „Gut, lassen wir das. Ich möchte mit Dir unsere gemeinsame Zukunft besprechen.“

      „Aha, es geht um Deine oder auch unsere Klinik, nicht wahr?“

      „Ja, stelle Dir nur vor, es ist so gut wie sicher, dass wir die Klinik übernehmen können, ich meine natürlich den Umbau und Ausbau des alten Hotels am Neroberg.“

      „Du weißt, dass die Finanzierung bis jetzt noch nicht ganz geklärt ist. Wir müssen das noch mit der Bank klären.“

      „Darüber habe ich inzwischen schon mit Doktor Fels gesprochen. Und inzwischen auch mit den Krankenkassen. Die sind sehr an einer Zusam-menarbeit mit uns interessiert. Für unser Vorhaben werden wir genug Patienten haben. Hinzu kommen noch die Kunden, die Deine Fähigkeiten als Chirurg nutzen werden.“

      „Du meinst die, die unsinnigerweise wild auf Schönheitsoperationen sind.“

      „Ja, Du kannst das doch, warum willst Du das nicht nutzen? Also kurzum, die Finanzierung ist gesichert.“

      „Denkst Du daran, dass die Kinder auch weiterhin Geld kosten werden? Das müssen wir in der Planung berücksichtigen.“

      „Alles eingerechnet, mein Schatz! Wir werden bald selbstständig. Du wirst Dein eigener Herr sein und kannst Deine Fähigkeiten endlich entfalten! Ich freue mich! Du bist doch einverstanden? Es sind doch schließlich gute Nachrichten.“

      Edmund nickte. Er konnte sich nicht gegen den Eifer seine Frau wehren und fand keine weiteren Worte. Eva übersah die Pause. Sie sprang auf und verließ den Raum.

      Betti konnte diesen einen furchtbaren Tag nicht vergessen. Es war ein düsterer Herbstnachmittag in ihrer Heimatstadt Wiesbaden. Auf der Straße vor der Villa der Familie Drempel war wenig Verkehr. Dichter Nebel stieg träge und langsam den Hang des Neroberges hinauf. Sie hatte soeben das Haus verlassen, um eine Klassenkameradin zu besuchen, als das für sie Unbegreifliche geschah. Eine kleine Katze lief über die Straße, ein vorbei rasendes Motorrad erfasste sie und zerquetschte ihr Hinterteil. In das vorbeiheulende und allmählich abtauchende Geräusch der Zweiradmaschine mischte sich ein hell aufsteigender schriller Schmerzensschrei.

      Blutend, halb zerquetscht lag die kleine Katze auf der Straße. Und Betti hatte den für sie bösen Mann in seiner schwarzen Motorradkluft natürlich nicht packen können. In Sekundenschnelle war er weg. Die Katze lag mitten auf der Straße. Jammerte wimmernd. Betti überwand den Schreck und hob sie ohne Angst und Ekel auf. Vorsichtig trug sie sie zu ihrem Vater ins Haus. Er sorgte sofort für das gequälte Tier, bereitete ein Körbchen und pflegte es. Betti blieb geraume Zeit fast den ganzen Tag bei der Katze. Sie schwänzte sogar die Schule. Ihre Geschwister halfen ihr bei der Pflege der Katze. Schließlich wurde die Katze gesund und sprang jedes Mal, wenn Betti kam, auf ihre Schulter und legte sich wie ein Schal um ihren Hals. Das war wie ein immer wieder kehrendes Dankeschön. Betti nannte die Katze Frieda. Obwohl es sich um ein Katzenmädchen handelte, entschied man sich diesen Namen zu behalten. Kater Frieda. Fortan fauchte der Kater alle Menschen, die ihn nicht gepflegt hatten, an, also auch Bettis Mutter Eva.

      Nach dem gemeinsamen Mittagessen saßen die Kinder noch kurze Zeit zusammen am Tisch. Betti nahm Kater Frieda auf den Arm.

      „Du und Kater Frieda, ihr seid ein tolles Paar!“, sagte ihre Schwester Chriss.

      „Na und?“

      „Es sind die Unzertrennlichen.“, ergänzte Alex und stand auf.

      „Schade, dass die Eltern uns nicht in ihre Pläne mit der Klinik einbeziehen. Die Pläne der Alten sind die zukünftigen Wege der Jungen.“, meinte Chriss.

      „Du bist unser Philosoph, Bruder. Wenn es wichtig ist, was unsere Eltern wollen, werden wir es schon erfahren.“, entgegnete Betti.

      „Der Herr in seiner Güte soll es fügen!“, beendete Alex für sich das Gespräch beim Hinausgehen.

       2

      Nachdem die Kinder mit dem Vater wenig später das Haus verlassen hatten, telefonierte Eva mit dem Architekten, Herrn Adalbert Fels.

      „Wir sind übereingekommen, dass unser Vorhaben mit den Namen Residence oder Drempelklinik in Angriff genommen werden kann.“

      „Wie schön, dass Sie unser sagen.“

      Eva lächelte und warf während des weiteren Gespräches einen Blick auf die eingegangene Post. Darunter befand sich der Brief eines Notars. Sie wurde neugierig und beendete das Gespräch.

      „Ich rufe später zurück!“

      Notar Dr. E. G. Breckhader stand da als Absender. Das Schreiben war mit dem Vermerk Vertraulich an Eddi persönlich gerichtet. Was kann das nur sein? Sie rief sofort die Asklepios Paulinen Klinik an, in der Edmund arbeitete. Ihre Stimme war seiner Sekretärin bekannt. Sie verband sofort.

      „Ja, Drempel hier.“

      „Eddi, ich bin es. In der Post ist ein vertraulicher Brief für Dich. Es scheint wichtig zu sein. Er ist von einem Notar namens Breckhader, Doktor Breck-hader. Kennst Du den?“

      „Nein, was steht denn in dem Brief?“

      „Ich habe ihn nicht geöffnet.“

      „Dann schaue doch einfach mal rein.“

      Eva öffnete das Schreiben.

      „Es handelt sich um eine Erbangelegenheit und eine Einladung wegen eines Vermächtnisses. Wenn ich das richtig verstehe, hat es mit den USA zu tun. Da wird der Ort Hartfort genannt. Du sollst den Notar deswegen aufsuchen.“

      „Das hat ja bestimmt Zeit bis heute Abend. Es könnte mit Onkel Ferdinand zu tun haben. Nein, das kann nur mit Onkel Ferdinand zu tun haben. Gib mir trotzdem doch schon mal die Telefonnummer dieses Notars, bitte. Dann werde ich ihn wegen des Termins im Laufe des Tages noch anrufen können.“

      Eddi notierte sich die Telefonnummer.

      „Ich habe lange nichts mehr von Onkel Ferdinand gehört, aber der hatte ja sowieso nie Zeit wegen seiner Firma. Die hat ihn stark, sehr stark eingebunden, ja ihn regelrecht beherrscht und möglicherweise abhängig gemacht.“

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