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aber vor drei Wochen hatte er wieder ein Schreiben in ihrer klar linierten Handschrift und dem zarten Rosenduft erhalten, den er automatisch mit seiner Kindsbraut verband. Nach Rosen hatte auch Miss Beaufort geduftet. Ansonsten hatten die Cousine seines Schwagers und seine Frau nichts gemeinsam.

      Die Erinnerung an Annabells schmalen Körper ließ seine Hände feucht werden. Ohne es zu wollen, standen ihm die Bilder ihrer ersten Nacht deutlich vor Augen. Noch auf dem Verlobungsball seines Bruders war ein Lakai an ihn herangetreten und hatte ihm eine Nachricht übergeben. In kurzen Sätzen wurde er gebeten, in ein bestimmtes Zimmer zu kommen, und da er Einladungen solcherart selten unbeachtet ließ und er durch die Initialen A. S. besonders erpicht gewesen war, sie anzunehmen, war er damals direkt in ihr Zimmer gegangen. Die Erinnerung zerrte an seiner Brust, ließ ihn aber dennoch die Augen schließen, um die Bilder hinter geschlossenen Lidern zu betrachten.

      Es war dunkel gewesen. Die Vorhänge waren zugezogen und im Kamin kein Feuer gemacht worden. Er hatte gelächelt. Stets war er bei solchen Treffen mit offenen Armen willkommen geheißen worden, selbstverständlich im Kerzenlicht, und seine Partnerinnen waren meist hübsch verpackt. Bei Annabell war es anders, und es hatte keine Verwunderung in ihm geweckt, lediglich zärtliches Glück. In der Annahme, sie würde zumindest wach auf sein Eintreffen warten, war er an das Bett getreten. Erst als er Justaucorps, Weste, Hemd und Hose abgelegt hatte und unter das Laken gerutscht war, wurde auch diese Annahme korrigiert. Sie hatte tief und fest geschlafen, was ihn allerdings nicht davon abgehalten hatte, sie zu küssen. Die Süße ihrer Lippen hatten ihn fast wahnsinnig werden lassen vor Begierde, aber ihre kleinen, zarten Seufzer waren es wert gewesen, ihren zarten Körper zu erkunden und Schauer der Lust über ihn zu schicken. Sie hatte ihn zögerlich liebkost, und das Feuer ihrer Küsse hatte ihn schließlich bewogen, ihre Knie zu spreizen und in sie einzudringen.

      Mit heftig pochendem Herz und erwachender Lust riss Nathan die Augen wieder auf. Es war nie ein guter Einfall, an diese Nacht zurückzudenken, denn er endete im Desaster. Auch so viele Jahre später brachte ihn der bloße Gedanke an alles, was danach geschehen war, in Rage. Er gab ihr nicht die Schuld an dem Debakel, aber er gab ihr die Schuld an seinen aus ihrem Entzug resultierenden sexuellen Vorlieben. Bevor er sie kannte, war sein Frauengeschmack wenig exklusiv, seither konnte eine Frau noch so hübsch sein und die Rundungen noch so verführerisch, wahre Befriedigung fand er nur bei extrem schmalen Frauen mit kindlichen Rundungen, Frauen wie Mandy. Und selbst bei ihr bedurfte es gewisser Tricks, um den Akt vollziehen zu können.

      Es war, als hätte Annabell ihm die Fähigkeit geraubt, einer Frau beizuwohnen. Ein tief sitzendes Trauma, wenn man seinen früheren Lebenswandel bedachte. Als jüngerer Sohn hatte er seine Zeit damit zugebracht, Röcken hinterherzusteigen und so viele Frauen zu verführen, wie sich bewerkstelligen ließ. Sein Bruder Albert, der bereits den Titel des Duke of Kent getragen hatte, war darüber alles andere als amüsiert gewesen und hatte ihm nicht selten gedroht, ihm die Apanage zu streichen.

      Nathan sah zu dem Bild über dem Kamin. Ein fast lebensgroßes Abbild seines Bruders hing dort und sah seit dessen Tod missbilligend auf ihn herab. Nathan hatte schon einige Male mit dem Gedanken gespielt, es abzuhängen. Auch dieses Mal war er arg geneigt. Dass ihm aber unverhofft das Bild Bell Beauforts vor Augen stand, ließ ihn davon Abstand nehmen. Bell trug ihren Namen zu Recht. Sie war schön. Das Blau ihrer Iris, das frische Rot ihrer Lippen, der Alabaster ihrer Haut. Seine abgeflaute Lust flackerte wieder auf. Suffolks Cousine war alles andere als kindlich. Dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, war damit doch ein gutes Zeichen. Er atmete tief durch und hoffte, dass sein Interesse an Bell Beaufort bedeutete, dass es noch Hoffnung für ihn gab und nicht, dass er noch weiter in die Liederlichkeit absackte. Eine Liederlichkeit, die vor sieben Jahren in der unglückseligen Nacht der Verlobung seines Bruders mit Madeleine Windermere ihren bisherigen Höhepunkt erlebt hatte.

       Windermere Castle, Cumbrien Sommer 1789, die Nacht der Verlobung Lady Madeleine Windermeres mit Albert Mannings, Duke of Kent

      »Bitte … nicht!« Tränenerstickte Worte, die Nathan fast seine eiserne Selbstbeherrschung kosteten. Konnte es sein, dass er sich geirrt hatte? Konnte es sein, dass ihre Nachricht tatsächlich nur eine Bitte war, noch einmal über den Vorfall am Morgen zu sprechen? Er verfluchte sein Ungestüm. Annabell war anders als die Frauen, die ihn zu sich baten, verheiratet oder nicht. Wenn sie nun ganz unschuldig lediglich mit ihm hatte sprechen wollen? Oder Trost bedurfte? Madeleine hatte ihn bei ihrem Tanz doch von dem Verschwinden der Schwester, der Lady Suffolk, unterrichtet. Das war in Hinblick auf ihre bisherigen Zusammentreffen wahrscheinlicher als ein plötzliches amouröses Interesse an ihm, wo sie erst am Morgen vor ihm davongelaufen war, als er sie hatte küssen wollen. Und viel mehr!

      Verdammt, fluchte er innerlich. Ihr Entgegenkommen war nicht dem Wunsch entsprungen, bei ihm zu liegen, sondern ein Produkt ihrer Schläfrigkeit gepaart mit rudimentärer Lust, die Reaktion auf seine Liebkosung. Er hatte ein unschuldiges Mädchen im Schlaf verführt. Entsetzt aufstöhnend sackte er leicht über ihr zusammen. Sie keuchte und schnappte nach Luft. Es war ihm unmöglich, ihrer Bitte nachzukommen, überlegte Nathan mit fest aufeinander gepressten Lidern. Es war viel zu spät, um jetzt noch aufzuhören. Er richtete sich wieder auf und sah in ihr vor Qual verzogenes Gesicht. Er bereitete ihr Schmerzen. Galle stieg in ihm auf.

      »Annabell.« Schweiß perlte auf seiner Stirn, als er sich langsam aus ihr zurückzog. Er rollte sich von ihr runter und schloss gepeinigt die Augen. Neben sich fühlte er, wie sich seine unglückliche Geliebte zusammenrollte und leise vor sich her weinte. Er atmete tief durch. Als er sich sicher sein konnte, sich im Griff zu haben, drehte er sich zu ihr um.

      »Annabell …«

      Was auch immer Nathan sagen wollte, wurde vom Öffnen der Zimmertür verschluckt. Der Schein einiger Kerzen erhellte den Eingang und anscheinend genug von den Begebenheiten im Raum, dass eine Frauenstimme, die er erst verspätet als die der Lady Windermere erkannte, zu kreischen begann. Im Nu füllte sich das Zimmer mit einigen Gästen der Hausparty, die genüsslich die pikante Szenerie aufnahmen. Vergeblich versuchte Nathan, die völlig aufgelöste Annabell abzuschirmen, aber ihre Tante hatte kein Erbarmen mit der schamlosen Nichte und zog ihr die schützende Decke vom Bett. Erbost sprang Nathan auf, packte kurzerhand nach den Armen der unwillkommenen Gäste und schob sie mit verbitterter Gewalt aus dem Raum. Mit dem Schließen der Tür riet er dem von Weinkrämpfen geschüttelten Mädchen schroff: »Zieh dir etwas an.« Da sie nicht sofort Folge leistete, ging er zu dem im Bett kauernden Mädchen und zwang es, ihn anzusehen. In ihren übergroßen, blauen Augen stand verständnislose Hoffnungslosigkeit vermischt mit Schmerz, der ihn schlucken ließ. Er hatte sie nicht verletzen wollen. War sich doch sicher gewesen, warten zu können, nur um den Entschluss baldmöglichst über Bord zu werfen und mit dem Reichen des kleinen Fingers gleich den ganzen Leib seiner armen, kleinen Annabell zu verschlingen. Aber für Bedauern war nun keine Zeit.

      »Der Ausgang dieser Geschichte tut mir ehrlich leid, aber es ist besser, wenn du dich jetzt anziehst, damit du deinen scheinheiligen Anklägern nicht völlig schutzlos gegenüberstehst. Glaub mir, du wirst es bereuen, im Nachthemd vor sie zu treten.«

      Zittrig nickte sie, wobei ihr große Perlen salzigen Nasses aus den Augen flossen. Ungelenk stieg sie aus dem Bett und holte aus dem Schrank ein leichtes Vormittagskleid, um es überzuziehen. Kaum war es ihr gelungen, mit bebenden Fingern die Knöpfe zu schließen, da flog die Tür auf, und der Duke of Kent stürmte in das schmale Schlafzimmer, dicht gefolgt von Lord Windermere.

      »Verdammt, Nathan!«, brüllte der Duke außer sich vor Zorn.

      »Verfluchtes, undankbares Miststück!«, bellte Windermere fast gleichzeitig und hob drohend die Faust.

      »Ich habe dich gewarnt, Nathan! Nun ist das Maß voll! Entscheide dich für eine Laufbahn, bring deine Geschäfte in Ordnung, und zum Ende des Monats will ich dich in Uniform sehen!« Albert sah verärgert von seinem sittenlosen Bruder zu seiner Gespielin und presste schockiert hervor: »Gott, sie ist doch noch ein Kind!«

      Nathan ballte die Hände zu Fäusten und ließ die Litanei seines Bruders über sich ergehen; erst als sich sein Bruder abfällig über das Mädchen äußerte, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Lass sie aus dem Spiel!«

      Albert

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